63 Prozent der Menschen in Österreich sind für eine Zulassung von sogenanntem Laborfleisch, sofern es für sicher befunden wurde. Das zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Onlineumfrage im Auftrag des Thinktanks Good Food Institute Europe durch YouGov. Heftige Kritik kam von Vertretern des Landwirtschaftssektors, der Bauernbund sah eine „Kampfansage“.

Generell sei das Interesse an „nachhaltigeren“ Ernährungsformen groß, legte die Umfrage weiter nahe: 59 Prozent finden, dass zu viele tierische Produkte konsumiert werden. 47 Prozent wünschen sich Alternativen zu Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten. 30 Prozent der gut 1000 Befragten der laut YouGov repräsentativen Studie gaben an, dass sie selbst in den nächsten zwei Jahren mehr pflanzliche Fleischalternativen konsumieren wollen, 28 Prozent mehr pflanzliche Milchalternativen. 60 Prozent finden, „dass die Politik die Benachteiligung von pflanzlichen Milchalternativen bei der Mehrwertsteuer“ beenden müsse.

59 Prozent berichteten, dass sie auch schon von im Labor produziertem Fleisch gehört hätten. 42 Prozent würden „Laborfleisch“ zumindest einmal probieren. Von den unter 35-Jährigen und Flexitariern – sogenannte flexible Vegetarier, die Fleisch aus Massenproduktion ablehnen – sagte das jeweils sogar mehr als die Hälfte. 66 Prozent finden, dass „kultiviertes Fleisch“ auch in Österreich hergestellt werden soll, wenn es auf den Markt kommt, damit die heimische Wirtschaft profitieren kann. „Diese Position wird in allen Wählergruppen geteilt“, hieß es im Bericht zur Umfrage.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig fordert erst eine EU-weite Diskussion
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig fordert erst eine EU-weite Diskussion © Bml Hemerka

„Hinter Laborfleisch steht eine riesige Industrie-Lobby. Es geht um die Frage, ob wir uns künftig mit Kunstfleisch aus der Fabrik oder mit natürlichen, regionalen Lebensmitteln ernähren wollen“, gab Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) zu denken. „Industrielles Laborfleisch“ stehe im Widerspruch „zu unseren bäuerlichen Familienbetrieben und unserer natürlichen Lebensmittelproduktion. Hier werden Inhaltsstoffe und Methoden eingesetzt, deren Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt noch keiner gänzlich kennt“.

„Sorgen und Ängste geschürt“

Er forderte gegenüber der APA eine breite Diskussion sowie Transparenz und eine umfassende Folgenabschätzung in der EU. Sonst drohe, „dass wir uns beim Essen in eine blinde Abhängigkeit einiger weniger internationaler Großkonzerne begeben“. Gemeinsam mit Italien und Frankreich „habe ich deshalb vor der drohenden Marktzulassung eine breite Diskussion auf EU-Ebene gefordert“, so der Minister. „Österreichs Vorstoß haben 18 EU-Länder unterstützt.“

„Kultiviertes Fleisch muss ein gründliches, mehrstufiges Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor es auf den europäischen Markt kommt“, sagte Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager beim Good Food Institute Europe. Die Ergebnisse würden zeigen, „dass die Österreicher keine ideologisch aufgeladenen Debatten wollen, sondern dass sie es den Menschen überlassen wollen, ob sie kultiviertes Fleisch essen oder nichrt“. Bauernbund-Präsident Georg Strasser bezeichnete die Ergebnisse hingegen als unseriös: „Diese Onlineumfrage ist nicht repräsentativ und wurde von einer NGO lanciert, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die natürliche Lebensmittelproduktion zu verteufeln.“ So würden „Sorgen und Ängste bei unseren nachhaltig produzierenden Bauernfamilien“ geschürt. Das Ergebnis sei durch tendenziöse Fragestellungen bewusst provoziert worden. „Das ist eine Kampfansage und wir wollen es nicht zulassen, dass dieser Kampf auf dem Rücken unserer Bäuerinnen und Bauern ausgetragen wird.“

Blut von Kälber-Föten notwendig

Für die Herstellung von „Laborfleisch“ sind Stammzellen notwendig, die aus dem Muskelgewebe eines lebenden Tieres gewonnen werden. Im Labor werden die Zellen in einem Behälter mit einer Nährlösung angereichert. Um sie zu vermehren, ist außerdem ein sogenanntes Wachstumsserum notwendig. Dabei handelte es sich bei den bisher häufig angewendeten Technologien um Blut, das Kälber-Föten entnommen wird. Bei der Gewinnung stirbt sowohl der Fötus als auch das Muttertier. Es wird aber auch bereits mit Methoden geforscht, die ohne dieses fetale Kälberserum auskommen.

Wenn genügend Zellen herangewachsen sind, wird das Endprodukt durch einen Fleischwolf oder mithilfe eines 3D-Druckers geformt. Daraus entstehen dann etwa Burger-Pattys oder Nuggets. Als erstes Land in der EU hat Italien im vergangenen Juli für ein Verbot von Lebensmitteln aus Zellkulturen gestimmt. Das ließ die Debatte in Europa aufflammen.

Gegenteilige Umfrage

Der Verein Wirtschaften am Land kritisierte die Studie ebenfalls und sieht im Thinktank Good Food Institute Europe eine „Lobby-Organisation für pflanzliche und zellbasierte Alternativen zu tierischen Produkten, was eine Voreingenommenheit nahelegt“, hieß es in einer Aussendung. „Hinter künstlich hergestellten Fleischimitaten aus Brutreaktoren steht eine finanziell starke Industrielobby, die ihre eigenen Interessen verfolgt und versucht, die öffentliche Meinung zu formen“, so Robert Pichler, Obmann des Vereins Wirtschaften am Land und Leiter der Abteilung Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im Österreichischen Raiffeisenverband.

Zudem habe es laut Wirtschaften am Land eine unabhängige Studie von Integral Onlinebus gegeben, die im August und September des Vorjahres 1000 Personen im Alter von 18 bis 75 Jahren befragten. Dabei habe sich gezeigt, dass 67 Prozent der Befragten den Konsum von Laborfleisch für sich ausschließen.

Interesse an einer Änderung der Konsumgewohnheiten besteht in Österreich aber laut YouGov auch abseits von „Laborfleisch“, legt die Umfrage nahe: „46 Prozent der Befragten sagen, dass sie in den nächsten zwei Jahren weniger tierische Produkte konsumieren wollen.“ Dabei geht es vor allem um pflanzliche Optionen zu Fleisch oder Milchprodukten. 53 Prozent hoffen, dass Landwirte dabei unterstützt werden, auf einen höheren Anteil von pflanzlichen Lebensmitteln umzustellen. 50 Prozent wollen den Anteil von pflanzlichen Produkten in öffentlichen Kantinen erhöht sehen, zum Beispiel in Schulen und Krankenhäusern.