Tag 40: 18. April: Jammern, Nein. Belastendes teilen, Ja!
Nun geht sie zu Ende, die Fastenzeit und damit mein „Jammerfasten“. Es war eine interessante Zeit. Darum ging es mir: stärker auf meine Gedanken und Worte zu achten, mein Wohlbefinden zu verbessern. Meine Kinder wiesen mich auf „Fehler“ hin, der eine sehr tolerant, die andere sehr genau. Danke dafür, das war hilfreich! Nicht zu jammern war aber das geringere Problem, mein Glaube, Achtsamkeit und Dankbarkeit, tanzen, Katzen streicheln (auch wenn Kurti der größte Jammerkater auf Gottes Erdboden ist!), Freunde treffen, Bücher zum Thema lesen meine stärksten Waffen. Die größere Herausforderung war es, das Gedankenkreisen ums Thema zu stoppen und den Grat zu finden zwischen sinn- und endloser Jammerei und der berechtigten Feststellung belastender Fakten, die mitzuteilen sie oft schon erträglicher macht und sein darf. Immer alles nur positiv zu sehen, ist unmöglich, fühlt sich unecht an. Mein Knackpunkt bleibt der Verkehr. Und ich glaube, diese Fehltritte gönne ich mir auch weiterhin – zur Unterhaltung aller Mitfahrenden.
Tag 35, 14. April:
Jammern hat viele Aspekte. Der christliche hat in der Karwoche Raum. Das Wort ist abgeleitet vom althochdeutschen Wort „kara“, es bedeutet „Trauer, Klage“. Die Karwoche hat am gestrigen Palmsonntag begonnen und endet am Karsamstag. Die Christen gedenken in dieser Zeit des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu.
Diakonie-Direktorin und Pfarrerin Maria Katharina Moser widmet sich auf evang-wien.at dem Thema „Jammern“, sie schreibt: „Leid ist das zentrale Stichwort. Jammern ist mehr und etwas anderes als lästern. Das sehen wir, wenn wir an die Wurzel des Wortes gehen: Jammern kommt vom althochdeutschen jāmar und meint Wehgeschrei, Elend, Verzweiflung.“ Die Bibel wüsste, wie wichtig es sei, dem Leid und der Verzweiflung Ausdruck zu geben. Sie tue das in Form von Klageliedern. Sie zitiert die Psychologin Leoni Saechtling, die betont, dass Jammern helfen könne, negative Erlebnisse zu realisieren und sich mit anderen verbunden zu fühlen: „Wenn man in seinem Leid gesehen wird, kann man es eher loslassen.“ Leid als zentraler Dreh- und Angelpunkt, gerade in dieser Woche, in der Jesu Leid am Karfreitag seinen Höhepunkt findet.
Auch die christliche Tradition, so Moser weiter, wüsste, wie wichtig es sei, Leid wahrzunehmen. Sie würde dem Leid eine Gedenkwoche widmen: die Karwoche, die mit dem Palmsonntag beginnt. Moser: „Gott selbst begibt sich in Jesus Christus in die Niederungen unseres menschlichen Lebens. Durchleidet Verleumdung, Verachtung, Gewalt, Ohnmacht. Ruft am Kreuz Worte aus einem Klagepsalm: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.‘ Stirbt einen qualvollen Tod.“ Ihr Fazit: „Wir dürfen jammern. Aber richtig. Die Karwoche schafft dafür Raum.“
Die Karwoche also - Fastenwoche vom Jammerfasten?
Tag 32, 10. April: Ich bin positiv ansteckend!
Heute möchte ich etwas mit Ihnen teilen, das mich einfach sehr freut: Ich bin, genauer gesagt „Jammerfasten“ ist „ansteckend“! Meine zuletzt offenbar im Steigen begriffene Positivität und Fröhlichkeit „schwappe“ auf sie über, meldete mir eine liebe Kollegin heute zurück.
Auch während der vergangenen 32 Tage haben mich immer wieder Mitteilungen auf diversen Kanälen erreicht, dass Menschen sich durch meine Fastenaktion inspiriert fühlen, es mir gleichzutun. Achtsamer auf das Positive und Schöne im Leben zu schauen. Und weniger zu jammern, zu nörgeln, sich aufzuregen. Über jeden Einzelnen, der mir beim Jammerfasten „Gesellschaft leistet“, freue ich mich riesig. Denn jeder zählt. Jeder kann wieder Inspiration für ein anderes Gegenüber sein. Ins Wasser fällt ein Stein und so, Sie wissen schon... In diesem Sinne, seien wir ansteckend!
PS: Falls Ihnen die Liedzeile nichts sagen sollte, hier der Text eines meiner Lieblingslieder (Manfred Siebald):
Ins Wasser fällt ein Stein
Ganz heimlich, still und leise
Und ist er noch so klein
Er zieht doch weite Kreise
Wo Gottes große Liebe
In einen Menschen fällt
Da wirkt sie fort, in Tat und Wort
Hinaus in unsre Welt
Ein Funke, kaum zu sehen
Entfacht doch helle Flammen
Und die im Dunkeln stehn
Die ruft der Schein zusammen
Wo Gottes große Liebe
In einem Menschen brennt
Da wird die Welt, vom Licht erhellt
Da bleibt nichts was uns trennt
Nimm Gottes Liebe an
Du brauchst dich nicht allein zu mühen
Denn seine Liebe kann
In deinem Leben Kreise ziehen
Und füllt sie erst dein Leben
Und setzt sie dich in Brand
Gehst du hinaus, teilst Liebe aus
Denn Gott füllt dir die Hand
Gott füllt dir die Hand
Tag 30, 8. April: Nörgelfasten statt Jammerfasten
Das Jammerfasten geht mehr und mehr in Richtung „Nörgelfasten“. Darauf zu verzichten, bedrückende, auch traurige Erlebnisse nicht in Worte zu fassen, nicht auszusprechen, fühlt sich zunehmend nicht ungesund und künstlich an. Ich unterscheide immer stärker zwischen „Nörgeln“ - sinnlos und verzichtbar - und dem Mitteilen von belastenden Ereignissen mit Vertrauten. Das fühlt sich lebbar und stimmig an. Und gesund. Es entlastet, negative Gefühle in knappe (!) Worte fassen zu dürfen in einem Rahmen, der Sicherheit bietet. Es tut einfach gut, in düsteren Minuten Empathie und Mitgefühl, Verständnis entgegengebracht zu bekommen. Gepaart mit einem sich verstärkenden Fokus auf Positives und der täglich mehrfach bewusst praktizierten Dankbarkeit für so vieles pendelt sich langsam ein Gleichgewicht der Kräfte ein. Wie immer ist Ausgewogenheit der goldene Schnitt.
Tag 26, 3. April: Auf der Suche nach der Definition
Zehn Tage noch, dann ist sie vorbei, meine Jammer-Fastenzeit. Ein Gedanke hat sich in den letzten Tagen im Auge des Hurrikans festgesetzt: Punktuell Kritisches, Negatives anzusprechen, auszusprechen - ist das noch legitim oder schon jammern? Ich bezeichne es mir selbst gegenüber (und fallweise auch meinen Gesprächspartnern) großzügig als „eine sachliche Feststellung treffen.“ Würde ich mir das nicht hin und wieder zugestehen, ginge ich mir mit meiner rosaroten Optimistenbrille wohl schon selbst fallweise unsagbar auf die Nerven. Nichtsdestotrotz gelingt es mir deutlich besser als noch vor 30 Tagen, gezielt und aktiv den Fokus auf Schönes zu lenken, sollte die Stimmung einmal abzufallen drohen.
Tag 23., 31. März: Auf den Fokus kommt es an
Die Sonne scheint, juhu! Auch wenn ich Regen mag - vor allem, wenn ich‘s mir bei trübem Wetter Zuhause gemütlich und kuschelig machen kann - und dankbar (!) dafür bin, wenn regelmäßig ausreichend davon vom Himmel fällt: Nachdem ich am Wochenende in voller Regenmontur in die Redaktion geradelt bin, wars heute schön, ebendies im Sonnenschein zu machen und durch die Fenster des Newsrooms auf blauen Himmel zu sehnen.
Dafür hätte die Nachrichtenlage des Vormittags genügend Stoff zum Jammern hergegeben: eine verstorbene Schriftstellerin, ein verstorbener Politiker, ein verstorbener Promi-Hund, Verletzte und Tote bei (Natur)Katastrophen im Ausland, Teuerung, Defizit, leere Fördertöpfe, auf der anderen Seite astronomische Spitzengehälter, beendete Sportkarrieren... das hat durchaus Potenzial, die Stimmung zu drücken. Wenn man es zulässt. Aber da Lamentieren weder die Realität verändert noch persönlich weiterhilft, haben meine Kollegin und ich positive Storys gefunden: ein süßes Giraffenbaby, Junkfood-Verbot an Mexikos Schulen, eine großartige Kultur-Berichterstattung rund um das Filmfestival „Diagonale“, ein lustiges Hundevideo. Dazu noch der Sonnenschein - voila, dieser Mix klingt doch gleich viel besser. Alles eine Sache des Fokus.
Sonntag 30. März: Dankbarkeit verlängert das Leben
Ich habe ja bereits geschrieben (Tag 4, 8. März), dass Dankbarkeit die einzige Emotion ist, die Wut, Frust, Neid, Angst verdrängen kann - Emotionen, die mit Jammern oft einhergehen. Wem das noch zu wenig Anreiz ist, weniger zu jammern und stattdessen dankbar für das Schöne in seinem Leben zu sein, der möge sich die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie vergegenwärtigen.
Forscher der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston (USA) haben erstmals den Zusammenhang zwischen einem langen Leben und dem Gefühl der Dankbarkeit untersucht. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Jama Psychiatry“ veröffentlicht. An der Studie nahmen 49.275 Probandinnen teil. Sie hatten 2016 Fragebögen zum Thema Dankbarkeit ausgefüllt. Drei Jahre später wurde eine weitere Untersuchung durchgeführt, bei der festgestellt wurde, dass 4608 Teilnehmerinnen verstorben waren, großteils aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Wissenschaftler stellten in der Folge fest, dass Personen, die einen höheren Grad an Dankbarkeit aufwiesen, ein um 9 Prozent geringeres Risiko hatten zu versterben – im Vergleich zu den Teilnehmerinnen, die nur wenig Dankbarkeit in ihrem Leben verspürten. Die Studie liefert den ersten empirischen Beweis dafür, dass das Erleben von Dankbarkeit die Lebenserwartung erhöhen kann.
Die Psychologin Ilona Bürgel betont, dass Dankbarkeit das Bewusstsein dafür ist, wie gut es das Leben mit uns meint. Dankbarkeit hat diese nachweisbaren Effekte im Alltag:
- Dankbarkeit richtet unsere Aufmerksamkeit auf das Gute im Leben, selbst in schwierigen Zeiten.
- Dankbarkeit verbessert unsere sozialen Beziehungen und steigert unseren Selbstwert, weil wir erkennen, dass es andere Menschen gut mit uns meinen und sozusagen in uns „investieren“.
- Dankbarkeit hilft uns, die angenehmen Dinge des Lebens nicht als selbstverständlich anzusehen.
- Dankbarkeit verhindert negative Gefühle wie Ärger oder Neid, da wir nicht gleichzeitig dankbar sein können.
- Dankbarkeit macht uns stressresistenter, weil wir schwierige Situationen relativieren können.
- Dankbarkeit hat positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit, da sie das Immunsystem stärkt, Schmerzen weniger intensiv empfunden werden, der Blutdruck sinkt und der Schlaf verbessert wird.
- Durch den dankbaren Blick auf die guten Seiten des Lebens nehmen wir immer mehr davon wahr und steigern somit unser Wohlbefinden.
- Dankbare Menschen sind hilfsbereite Menschen, da die Freude über das Gute, das ihnen widerfährt, ihre Bereitschaft erhöht, selbst Gutes zu tun.
Tag 21, 28. März: „Was war das Beste am heutigen Tag?“
Mir fällt derzeit auf, wie viel und wie oft in Gesprächen zwischen Tür und Angel gejammert wird. Neuerdings begrüße ich daher Menschen mit den Worten, „Was ist das Beste, das du heute erlebt hast“ statt des üblichen „Wie geht‘s?“ Wirkt Wunder, und ich bekomme nach einem zunächst erstaunten Blick immer öfter konkrete Antworten und nette, unterhaltsame, schöne Ereignisse geschildert. Freu mich über jede einzelne!
Tag 19, 26. März: Gehirn in 66 Tagen umprogrammieren
Bei vielen von uns ist Jammern einfach eine Gewohnheit. Seit ich jammerfaste, fällt mir das im Gespräch mit meinen sehr geschätzten und vielfach geliebten Mitmenschen verstärkt auf - und ja, auch bei mir selbst. Oft merkt man erst spät, dass man schon wieder mittendrin ist. Doch wie lange dauert es, sich „umzuprogrammieren“? Geht sich das in den 40 Tagen überhaupt aus? Die Psychologin Phillippa Lally fand mithilfe eines Experiments heraus, dass es in etwa 66 Tage dauert, neue Gewohnheiten zu etablieren. Tatsächlich sind bei regelmäßiger Wiederholung Veränderungen im präfrontalen Cortex im Gehirn messbar, der für die Selbstkontrolle zuständig ist. Neuronale Verbindungen wachsen und restrukturieren sich, das Areal wächst. Muskelaufbau im Gehirn sozusagen. Na dann, lasst uns fleißig weitertrainieren - und zwar bis zum 9. Mai!
Tag 20, 24. März: Herzhaft lachen steigert die Glücksgefühle
Neue Woche, neues Glück. Den gestrigen Abend auf Schloss Albeck bei „Zwei Männer ganz nackt“ (Sebastian Thiery) verbracht. Wie gut es doch tut, einfach herzhaft und laut zu lachen, im Chor mit vielen anderen! Vielleicht sollten neben dem Tanzkurs auch regelmäßige Kabarett-Besuche aufs Anti-Jammern-Programm.
Sonntag, 23. März: Zeit des Abschiednehmens
Sonntage sind zwar vom Fasten ausgenommen, es herrscht aber trotzdem Bedarf, Bedürfnis für einen Eintrag im Fastentagebuch. Es ist eine Zeit des Abschiednehmens. Von unserem Zwerghamsterfräulein „Sunny“, mit der es zu Ende geht. Von unserem französischen Austauschschüler Baptiste, der unser Familienleben eine Woche lang einfach nur bereichert hat. Und von einer großartigen Persönlichkeit unserer Gemeinde: Wir, die evangelische Grazer Heilandskirche, haben am Sonntag „unseren“ Diözesankantor Thomas Wrenger in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. So viele Erinnerungen, die da hochkommen. „Pink Panther“ und „Star Wars“ im Gottesdienst. Krippenspielproben, bei denen er mit Inbrunst und Liebe alles aus den kleinen SchauspielerInnen herausholte. Gestern flossen Tränen, nicht nur bei mir. Tiefe Dankbarkeit, sein Wirken erlebt haben zu dürfen. Doch das Loslassen fühlt sich nicht nach „dürfen“ an, wie es uns Pfarrer Felix Hulla in seiner Predigt ans Herz legt. Dort herrscht derzeit einfach großer Jammer.
Tag 16, 22. März: Einatmen - ausatmen - schweigen
Wem immer ich erzähle, dass ich derzeit gerade jammerfaste, reagiert erstaunt und ungläubig. „Du?“, kommt dann meist, „du bist doch immer so positiv und fröhlich.“ Stimmt, gebe ich zu -wenn auch bei weitem nicht immer. Also bin ich in mich gegangen, um herauszufinden, woran das liegen könnte. Prägend war wohl, früh erkannt zu haben, dass hohe Erwartungen zu großen Enttäuschungen führen können. Diesen Mechanismus einmal erkannt, strebe ich seither danach, zum einen möglichst keine Erwartungen zu haben, sondern die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Mich auf das zu konzentrieren, was ich in der Hand habe und gestalten kann. Und statt mich als Opfer der Umstände zu betrachten, bin ich lieber Akteur und überlege bei Rückschlägen lieber, was ich statt Jammern tun könnte. Erster Schritt in solchen Situationen: Tief einatmen, tief ausatmen. Und der Goldtipp: Erstmal schweigen.
Tag 14, 20. März: Jammern als Ventil
Der Gedanke „Jammern als Ventil“ ließ mir keine Ruhe - außerdem versuche ich grundsätzlich, ein Thema von mehreren Seiten zu betrachten und bin keine Freundin von Schwarz und Weiß. Und tatsächlich ist neben anderen auch die Familientherapeutin Birgit Salewski der Meinung, dass Jammern mehrere sinnvolle Funktionen haben kann.
- Jammern zur Entlastung: Abbau von Stress und Anspannung. Das Teilen von Kummer, Sorgen, Ärger, Ängsten mit anderen Menschen entlastet nachweislich.
- Jammern, um in Kontakt zu kommen: Jammern zur Kontaktaufnahme mit einem Gegenüber - und um festzustellen, ob dieses eine Situation ähnlich beurteilt, gleich belastend empfindet - oder vielleicht völlig anders.
- Jammern aus Solidarität: Wir jammern mit anderen mit, um unsere Solidarität zu bekunden: „Du bist nicht alleine, mir ergeht es ähnlich“, nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
- Jammern, um Aufmerksamkeit, Hilfe zu erhalten: Wir wünschen uns Trost, jemanden, der sich um mich kümmert oder mir hilft.
Natürlich kann jeder, jede stets versuchen, sich selbst zu regulieren und reflektieren und allem etwas Positives abzugewinnen. Aber das gelingt eben nicht immer, und auch nicht jedem, jeder. Daher hab auch ich das Gefühl: Fünfe immer wieder mal grade sein lassen und ein kurzes Jammern als Stoßseufzer rauslassen statt es rosa einzufärben oder runterzuschlucken, ist manchmal vielleicht sogar gesünder. Solange es bewusst geschieht und man nicht zum für sich und andere unerträglichen Dauernörgler mutiert. Wie immer macht die Dosis das Gift. Salewski empfiehlt, zu reflektieren: „Was belastet mich gerade? Was erhoffe ich mir vom Gemecker? Was könnte ich stattdessen tun? Vielleicht um Hilfe bitten, ein konkretes Problem aktiv lösen - oder Sport treiben, um Dampf abzulassen.“
Tag 13, 19. März: „Mach die nicht selber fertig!“
Von einem Leser habe ich einen sehr brauchbaren Tipp gegen „Jammeranfälle“ bekommen, die auch ihn manchmal hinterrücks überfallen: „Alter, jetzt bist du grad wieder dabei, dich selber fertig zu machen! Das lass ma jetzt sein“, denkt sich in solchen Momenten „kano“. Danke dafür! Dem Grundgedanken des mit Jammern „sich selber Fertigmachens“ kann ich viel abgewinnen. So ist es nämlich tatsächlich.
Wissenschafter der Stanford University haben in einer Studie herausgefunden, dass ständiges Jammern nicht nur einsam macht, es wirkt sich auch negativ auf unser Gehirn aus. Die Forscher entdeckten, dass chronische Unzufriedenheit den Hippocampus verkleinert, der für unsere Gedächtnisleistung verantwortlich ist. Chronisches Jammern führt also zu Vergesslichkeit.
Zudem erhöht Jammern das Stresslevel. Es wird vermehrt das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, das kurzfristig zu Unruhezuständen und Herzrasen und längerfristig zu Fettleibigkeit, Diabetes und Herz-Kreislauf-Problemen führt.
Klingt doch alles wirklich nicht gut. Also noch ein paar schöne Worte zum Abschluss, mit denen ich hoffentlich wieder ein Lächeln in Ihr Gesicht zaubern kann: Denken Sie an eine bunte Blumenwiese, Knospen, Sonnenstrahlen, Vogelgezwitscher, Blütenduft, Hyazinthen, Schneeglöckchen, Narzissen, Tulpen und Vergissmeinnicht. Besser, oder? Und wenn sich demnächst ein Jammeranfall anschleicht, beherzigen Sie ganz einfach den Tipp von User „kano“.
Tag 12, 18. März: Blütenexplosionen und Frühlingsausbruch
Stille Blütenexplosionen überall, sogar im Kellerabteil höre ich ein Vöglein tirilieren - ernsthaft, wer könnte angesichts dieses Frühlingseinbruchs ins Jammern verfallen? Also ich nicht. Nicht einmal mich in meinem Schwung einbremsende Verkehrsteilnehmer können mir ein Seufzen entlocken. Dazu durfte ich ein Wellness-Wochenende inklusive Wintereinbruch (ohne Laptop, daher die Tagebuchpause) mit der besten aller Freundinnen genießen, einen Salsa-Abend mit dem besten aller Tanzpartner, einen gemütlichen Nachmittag mit den besten Kindern der Welt - also was das Jammerfasten angeht, kann ich mir derzeit zu Recht auf die Schultern klopfen.
Dennoch beschäftige ich mich nach wie vor intensiv mit dem Thema. Im Internet bin ich auf eine Jammerfasten-Challenge gestoßen. Der Psychologe und Coach Peter Beer sagt darin, dass eine von zwei Komponenten des Jammers unsere Konditionierung und Prägung durch die Gesellschaft sei. „Verhaltensweisen wie Jammern und Schimpfen haben alle ihren Zweck. Sie erfüllen bestimmte menschliche Bedürfnisse, wie zum Beispiel, gesehen zu werden. Wenn es mir schlecht geht, nehmen mich andere mehr wahr. Ein anderer Grund kann sein, dass sich durchs Jammern Gemeinsamkeiten herausstellen, die eine Verbindung zu anderen Personen schaffen. Etwa über das Wetter schimpfen oder den blöden Chef“, so Beer. Auf Deutsch: Mitleid heischen und mit der jammernden Masse mitwabern. Die zweite Komponente ist unser katastrophalisierendes Gehirn. Bedeutet, unser Gehirn ist evolutionär so verschaltet, dass es sich mehr aufs Negative fokussiert, weil das vor vielen tausend Jahren unser Überleben sicherte.
Da habe ich es mehr mit dem Lied, das mich in meiner Kindheit begleitet hat: „Sei ein lebend‘ger Fisch, schwimme doch gegen den Strom, auf und wag‘ es frisch, Freude und Sieg ist dein Lohn. Nur die toten Fische schwimmen immer mit dem Strom, lassen sich mit allen andern treiben. Haben weder Kraft noch Mut, was anderes zu tun, wollen in der großen Masse bleiben.“ Also, hoch die Flossen!
Tag 9, 14. März: Ein heimtückischer Jammeranfall
Es regnet - und ich bin glücklich, dass ich heute einen Homeoffice-Tag habe und mich nicht aufs Fahrrad schwingen muss. Die Kinder sahen schon weniger glücklich aus, als sie sich auf den Weg in die Schule machten. Aber gejammert hat niemand. Vielleicht bin ich ja ansteckend, wer weiß.
Wobei: Gestern überkam es mich. Ein Jammeranfall. Er überfiel mich hinterrücks, heimtückisch. Beim Autofahren, hatte aber nichts mit Autofahren zu tun. Nach drei Minuten unterbrach mich meine Tochter: „Mama, DAS war jetzt aber Jammern!“, stellte sie amüsiert, gnadenlos – und völlig zurecht fest. Das Schlimme, ich war so in Fahrt, dass ich es nicht mal merkte. Das Gute: Es hat gut getan, es rauszulassen, vielleicht ist so ein Reinigungsprozess hin und wieder einfach notwendig, solange er ein Einzelereignis bleibt. Und: Ich hatte ein Korrektiv im Außen, das mich aufmerksam machte. Dafür bin ich dankbar. Und auch für weitere Tipps, die sowas künftig unterbinden. Gerne her damit!
Tag 8, 13. März: Von Gedanken, Worten und Taten
Bin zwar nicht abergläubisch, aber da die 13 meine Glückszahl ist, starte ich mit einem zuversichtlichen Glücksgefühl in diesen Tag. Das hält auch ein paar Stunden an - bis ich meine E-Mails checke. Eines mit dem Betreff „SOS!“ lässt meine Alarmglocken schrillen. Die Lehrerin meines Sohnes bittet mich, nächste Woche statt eines Austauschschülers aus Frankreich zwei Buben im Alter von 16, 17 Jahren aufzunehmen. Und statt in lautstarkes Wehklagen zu verfallen, verneige ich mich innerlich mit gefalteten Händen, atme tief ein und aus, ziehe meine Mundwinkel hoch und bedanke mich beim Universum für diese Herausforderung. Mal sehen, wie meine Jammer-Bilanz nächste Woche ausfällt.
Genau zum richtigen Zeitpunkt kreuzt folgender Spruch meinen Weg:
Was übrigens noch hilft gegen Jammer und Jammern: Katze streicheln. Eine Katze zu streicheln, tut körperlich gut, da haben zahlreiche Studien ergeben. Im Umgang mit Katzen schüttet der menschliche Körper vermehrt Oxytocin aus. Das Kuschelhormon wirkt beruhigend, senkt den Blutdruck und kurbelt die Wundheilung an. Gleichzeitig schüttet der Körper weniger vom Stresshormon Kortisol aus. Wie praktisch, dass gleich drei dieser Kuschelkugeln auf vier Pfoten unser Zuhause durchstreifen und bereichern. Das wird helfen nächste Woche.
Tag 7, 12. März: Ändere deine Routinen
Anstelle zahlreicher Vorsätze und endloser Regelwerke, die von jetzt auf gleich umgesetzt werden sollen, hat der Autor Stephen Guise das Konzept der „Mini-Gewohnheiten“ entwickelt. Es empfiehlt, gewünschte Verhaltensänderungen in „Mini-Schritten“ vorzunehmen. Wichtig ist, dass die neuen Gewohnheiten leicht in den Alltag integrierbar sind. Solche kleinen beständigen Veränderungen schaffen die Basis für weitere positive Gewohnheiten. In meinem Fall: Die nächste Autofahrt mit Friede und Freude im Herzen durchleben - und mit viel Nachsicht gegenüber allen, die es halt nicht so gut können wie ich ;-) (Achtung: #IronieOn)!
Tag 6, 11. März: „Mensch, lerne tanzen!“
Die erste Woche wird heute voll. Und ich bin zufrieden. Bis auf ein paar Ausrutscher (ja, ich gestehe, beim Autofahren!) habe ich nicht gejammert, die Morgen- und Abendroutinen täglich brav vollzogen, Sonnenschein und Vogelgezwitscher aufgesaugt, auf meine Sprache und meine Gedanken geachtet - und meinen ultimativen Anti-Jammer-Booster entdeckt: Tanzen. Kann ich jeder und jedem empfehlen, die oder der halbwegs gerne tanzt und es schon länger brachliegen hat lassen. Tanzschule in zumutbarer Nähe suchen, einen passenden Kurs heraussuchen (bei mir ist es gerade Salsa), anmelden - und hingehen! Man schlägt so viele Fliegen mit einer Klappe: Bewegung, soziale Interaktion, Gedächtnistraining, Koordination - und im besten Fall hat man einfach viel Spaß dabei. Sonst ist bestimmt auch jedes andere Hobby geeignet, die Laune und die Mundwinkel zu heben. Apropos Mundwinkel! Mein Geheimrezept: Täglich mehrmals die Mundwinkel heben, einfach so. Wirkt innerlich Wunder - und wirkt auch äußerlich ansteckend.
Tag 5, 10. März: Fokus auf das Positive
Eine Möglichkeit, die Achtsamkeit und Positivität zu schärfen, ist folgende Routine: Täglich in der Früh und am Abend je drei Dinge bewusst machen - und am besten notieren, für die man dankbar ist oder schöne Erlebnisse, die man hatte. Wichtig dabei ist es, intensiv zu fühlen, was man sich vergegenwärtigt. Das praktiziere ich nun seit einigen Tagen und mir fällt auf, dass sich mein Blick für Positives schärft. Am Radweg in die Arbeit sind es nicht mehr die Schlechtfahrer, sondern die Sonnenstrahlen, die mir entgegen scheinen, das fröhliche Gezwitscher der Vögel, das herzliche Lächeln, das mir die Reinigungsdame im Foyer schenkt, das kräftige „Guten Morgen“ des Portiers. Da starte ich den Laptop gleich noch fröhlicher als sonst.
Dinge, über die ich sonst gerne gejammert habe (meist Haushaltsdinge, andere Verkehrsteilnehmer oder mangelnde Ich-Zeit), sind plötzlich weniger wichtig, kleiner, und werden von positiven Dingen überstrahlt. Wie der Vorfreude auf den Tanzkurs heute Abend. Oder das lustige Mittagessen mit den KollegInnen. Da bleibe ich dran.
Tag 4, 8. März: Dankbarkeit gegen Wut und Angst
Ein lieber Freund hat mir zu Weihnachten ein Achtsamkeits-Tagebuch (“Das 6-Minuten Tagebuch“, Dominik Spenst) geschenkt. Das nehme ich seit Aschermittwoch regelmäßig zur Hand. Von meiner gestrigen Lektüre kommt mir eine Passage immer wieder in den Sinn: „Die zwei Emotionen, die uns das meiste versauen, sind Wut und Angst. (...) Dankbarkeit ist einzigartig, da sie diese negativen Emotionen überwältigt.“ Fühlt sich für mich sehr stimmig an. Die Theorie dahinter: Man könne nicht gleichzeitig dankbar und wütend oder besorgt sein. Stammt übrigens von Tony Robbins, der unter anderem Bill Clinton, Serena Williams und Andre Agassi beraten hat. Muss ich unbedingt mal beim Autofahren ausprobieren.
Tag 3, 7. März: Autofahren - die Challenge
Langsam kristallisiert sich die größte Herausforderung heraus: Autofahren. Meine Technik: Atmen - Atmen - Lächeln - und einfach den Mund halten und mir denken: „Wer weiß, vielleicht erspart mir diese Prüfung gerade einen Strafzettel oder einen Unfall ...“ Das werden langweilige Autofahren für meine Kinder, die sich bisher immer prächtig amüsiert haben über meine Untertitel.
Tag 2, 6. März: „Danke für die Inspiration!“
Ich stelle beruhigt fest: Ich jammere wenig - allerdings kreisen meine Gedanken derzeit ständig ums Jammern. Ob das besser ist?
Die Resonanz bei Freunden, Bekannten und Familie auf mein Fastenvorhaben ist enorm. Ich bekomme zahlreiche Nachrichten auf sämtlichen Kanälen: „Alice, das wäre ein guter Fastenvorsatz für viele“, schreibt mir Elisabeth, „Danke für die Inspiration! Ich bin dabei, werde es auch versuchen🙏“, meine Freundin Simone. „Vielleicht machen Freundinnen von mir auch mit🥰“, schreibt mir Heidemarie. Doch sie fragt nach: „Wie macht man damit? Muß ich da meiner Seele Innerstes nach außen tragen?“ Ich beruhige sie: „Beim Jammerfasten geht nur darum, deine Achtsamkeit gegenüber dir selbst, deinen Gedanken, deiner Sprache zu schärfen, zu erhöhen. Den Fokus auf das Schöne, Positive, Gelingende in deinem Leben zu richten und die negativen, störenden Dinge nicht überzubewerten.“
Muss heute noch in die Redaktion, um ein anderes Foto für mein Tagebuch zu machen. Hm, wie illustriert man Jammerfasten?
Tag 1, 5. März: Definiere Jammern
Denkaufgabe: Definiere Jammern. Wenn ich während des Autofahrens feststelle, dass der Autofahrer vor mir seinen Führerschein möglicherweise im Lotto gewonnen hat - ist das Jammern oder eine berechtigte, wenn auch geringfügig zynische Vermutung? „Mama, was für dich Jammern ist, definierst nur Du“, bemerkt mein Sohn am Beifahrersitz jovial. In diesem Fall war‘s dann bitte lediglich eine Feststellung.
Doch die Frage beschäftigt mich - und ich reiche sie an den Duden weiter: „Jammern: Über jemanden, etwas laut und wortreich klagen; seiner Unzufriedenheit über etwas Ausdruck geben.“ Eine andere Definition (Der deutsche Wortschatz) lautet: „Sich wiederholt und merklich (und oft stärker als dem Anlass angemessen) beklagen, beschweren; jammernde, winselnde oder ähnliche Laute von sich geben.“
Gut. Winselnde Laute gebe ich selten von mir, wage ich zu behaupten, stärker als dem Anlass angemessen beschwere ich mich dann doch schon häufiger: über unzureichend ausgebildete Verkehrsteilnehmer, fehlende Fokuspunkte in Online-Artikeln von KollegInnen und den Mangel an glutenfreien Punschkrapfen in der Welt. Hier herrscht definitiv Optimierungsbedarf. Die Ärmel sind hochgekrempelt.
Doch ich bin zufrieden: Der halbe Tag eins ist geschafft und mein Inneres lächelt.
4. März: Morgen geht‘s los: Inneres Wellnessprogramm
„Fastest du etwas?“, fragt mich meine Kollegin plötzlich quer über den Schreibtisch. „Jammern“, antworte ich spontan. Ob ich bereit wäre, meine Erfahrungen mit anderen zu teilen? Warum nicht, ein zusätzlicher Ansporn, durchzuhalten beim Jammerfasten – und vielleicht andere zu animieren, es mir gleichzutun. Kann der Welt insgesamt nur guttun.
Jammerfasten also. Auf Positives konzentrieren, den Fokus auf die schönen Dinge im Leben richten, achtsam wahrnehmen, was gut läuft und dafür dankbar sein - Gründe gibt es genügend, man muss sie nur sehen (wollen). Doch mir ist bewusst: Leicht wird es nicht, den negativen Gedankenstrudel zu unterbrechen, der sich viel zu oft und viel zu rasch einstellt. Und nicht nur ins „Weglächeln“ zu kippen, das Wort „toxische Positivität“ schießt mir ein.
Optimistisch lächelnd starte ich also den Motor für mein 40-tägiges inneres Wellnessprogramm - gespannt, wie es mir dabei gehen wird. Und setze dabei insgeheim auch auf mein Umfeld, das sich bestimmt keine noch so winzige Gelegenheit entgehen lassen wird, mich auf mein Fastenvorhaben hinzuweisen. Ich bitte darum :-)!