In der Wirtschaftskammer gärt es. Auslöser waren Gehaltserhöhungen um 4,2 Prozent für die Mitarbeitenden, inzwischen richtet sich der Zorn mehr auf die Entlohnung der Spitzenfunktionäre bzw. die jüngsten starken Erhöhungen dieser Gagen. Im Zentrum der Kritik steht WKÖ-Präsident Harald Mahrer (ÖVP), der mit schlechter Kommunikation die Lawine losgetreten hat. Nicht nur Unternehmer, FPÖ und NEOS fordern Konsequenzen, auch in Mahrers ÖVP steigt der Frust.
Mahrer wird einerseits vorgeworfen, dass er nach der Kritik an einer Erhöhung der KV-Gehälter in der Kammer die Verschiebung dieser Maßnahme um sechs Monate öffentlich als Halbierung dargestellt habe. Andererseits wird ihm persönlich die Kumulierung von Einkommen aus WKÖ, Wirtschaftsbund, dessen Chef er ist, und Nationalbank, wo er Präsident ist, vorgehalten. Sein Versuch, durch das Ausscheiden aus der OeNB-Funktion Druck herauszunehmen, ging schief, der allgemeine Tenor ist, dass es Konsequenzen in der WKÖ braucht.
Mikl-Leitner: „Frontalschaden“
Niederösterreichs Landeshauptfrau und ÖVP-Landesparteichefin Johanna Mikl-Leitner etwa bezeichnete die Causa am Mittwoch auf APA-Anfrage als „Frontalschaden“: „Der Unmut ist mehr als groß - gerade auch bei unseren großteils ehrenamtlichen Funktionären. Darum ist auch die offene Diskussion innerhalb der Wirtschaftskammer mehr als verständlich.“
Die Entscheidung über Mahrers Funktion als Wirtschaftskammer-Präsident sei keine, die man in St. Pölten zu treffen habe, hielt Mikl-Leitner fest, betonte aber: „Ich gehe davon aus, dass in Wien die richtigen Schlüsse im Sinne der Wirtschaft gezogen werden. Das ist wichtig, denn unsere Betriebe brauchen eine starke und vor allem glaubwürdige Wirtschaftsvertretung.“ „Sie dürfen davon ausgehen, dass jedes Wort der niederösterreichischen Landeshauptfrau mit mir abgestimmt ist“, teilte Wolfgang Ecker, WKNÖ-Präsident und Landesgruppenobmann des Wirtschaftsbundes Niederösterreich, auf Anfrage mit. „Wir erwarten uns eine Schadensbegrenzung für unsere gesamte Organisation. Wir gehen davon aus, dass die Bundesebene weiß, was zu tun ist. Alle weiteren Fragen richten Sie bitte direkt an Harald Mahrer.“
Stelzer: Vertrauen der Unternehmer ist erschüttert
In einem Statement an die APA meldete sich auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) zu Wort: „Das Vertrauen vieler Unternehmerinnen und Unternehmer ist erschüttert. Die Wirtschaftskammer ist nun gefordert, dieses Vertrauen rasch zurückzugewinnen. Mit wem an der Spitze, haben die Gremien in der Wirtschaftskammer oder Harald Mahrer selbst zu entscheiden“, betonte Stelzer.
Klare Worte kamen bei einem APA-Rundruf auch vom Salzburger WK-Präsident und WB-Landesobmann Peter Buchmüller: „Harald Mahrer ist gescheit genug, um selber zu wissen, wann es Zeit ist, zu gehen.“ Das habe er auch bei der kürzlich stattgefundenen Besprechung mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Wirtschaftskammer Österreich gesagt. Der Schaden für die Wirtschaftskammer und die ÖVP sei angerichtet. „Die Diskussion tut uns allen nicht gut. Die Stimmung sehr vieler Salzburger Mitgliedsbetriebe ist die, dass Mahrer nicht mehr tragbar ist.“
Tiroler Adler Runde fordert „sofortigen Rücktritt“
Mit deutlichen Worten meldete sich indes die Tiroler Adler Runde, ein Zusammenschluss von einflussreichen Tiroler Unternehmern, die den „sofortigen Rücktritt“ Mahrers forderten. Der Vorstand sah „jegliche Bodenhaftung sowie Verbindung zu den Unternehmerinnen und Unternehmern verloren“, wurde Mahrers Verhalten vom Vorstand deutlich kritisiert. „Die Wirtschaft braucht Vorbilder, keine politisch agierenden Funktionäre ohne Zukunftsperspektive“, sagte Klaus Mark, Sprecher der „Adler“. Die Unternehmer forderten eine Kammerreform, Transparenz bei den Kammergeldern und die Überprüfung der „Zwangsmitgliedschaft“ in der Kammer.
Rückendeckung von Hattmannsdorfer
Rückendeckung erhielt Mahrer jedoch von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP). „Harald Mahrer nimmt die Kritik sehr ernst, hat darauf reagiert, Konsequenzen gezogen und Reformen angekündigt, daran sollte er gemessen werden“, sagte er dem „Standard“. „Ich halte es für unfair, ihn als Einzelperson dafür verantwortlich zu machen, denn die Entscheidung wurde von allen Fraktionen im erweiterten Präsidium getroffen.“
Kritik von Unternehmern
Einige Unternehmer, die als Pflichtmitglieder die Kammer finanzieren, wagen sich in verschiedenen Medien aus der Deckung und fordern Mahrers Rücktritt oder gleich die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft. Klaus Schiebel, Chef von Schiebel Antriebstechnik, fordert im „Morgenjournal“ Mahrers Rücktritt. Johann Grundner von der gleichnamigen Sondermaschinenfirma bezeichnete in der gleichen Sendung die Erhöhung der Funktionärszulagen um bis zu 60 Prozent als „nicht nachvollziehbar“ und will nur mehr die Hälfte des Kammerbeitrags einzahlen - weil die Kammer nun aufgrund eines Imageschadens ihre Aufgaben nicht mehr voll wahrnehmen könne.
„Wir zahlen mehr als 10 Millionen Euro an Wirtschaftskammer-Beiträgen, die in den letzten Jahren doch sehr gestiegen sind, und wir erwarten uns schon, dass die Wirtschaftskammer an ihrer Struktur arbeitet, um Einsparungspotenziale zu finden - wir in den Betrieben tun das ja auch permanent und verlangen das auch von der Wirtschaftskammer“, sagte der Voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner am Mittwoch am Rande der Präsentation der Halbjahresbilanz.
Der Salzburger Unternehmer Wolfgang Eder, seit 15 Jahren Bundesinnungsmeister der Friseure, stellt in den „Salzburger Nachrichten/SN“ die Existenzberechtigung der Landeskammern infrage. „Wir brauchen keine zehn Kammern“, man habe mit der Bundeskammer eine Zentrale, „die eigentlich alles regelt“, wird er zitiert. Im „Standard“ hinterfragt Martin Mayer, Inhaber des in drei Ländern tätigen Personaldienstleisters Iventa, die Pflichtmitgliedschaft in allen Kammern. Auch auf die Petition des Industriellen Stephan Zöchling zur Straffung der Kammerorganisation und Halbierung der Kammerumlagen bei gleichzeitiger Auflösung eines Teils der Kammerreserven verweisen Medien. Der „Presse“ sagte Zöchling, seinem Boykottaufruf seien bisher „über 100“ Unternehmer gefolgt.
Eine Senkung der Kammerumlage fordern auch Saubermachergründer Hans Roth und der Unternehmer und ehemalige Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, Stefan Stolitzka, in der ORF-Sendung „Bundesland Heute“ Steiermark.
Kritik von FPÖ, NEOS, Grünen
Heftige Kritik an Mahrer kommt von der FPÖ. Die Freiheitliche Wirtschaft (FW), also die Kammerorganisation der FPÖ, will kommende Woche „eine große Reform-Petition zur Wirtschaftskammer“ einbringen. Die Kammer habe überzogene Kosten und sei „zu schwerfällig geworden, um die Interessen der Unternehmer wirksam zu vertreten“. „Die Wirtschaftskammer braucht keine Funktionärsverwaltung, sondern Haltung, Leistung und Zukunftsorientierung“, schreibt FW-Generalsekretär Reinhard Langthaler in einer Aussendung. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz forderte am Mittwoch in einer Pressekonferenz, die Pflicht-Mitgliedschaft in den Kammern abzuschaffen: „Wenn sie so gut sind, wie sie behaupten, werden sie auch so genug Mitglieder haben.“ Kritik übte er auch an der Arbeiterkammer, deren Vertreter in manchen Bundesländern sogar noch mehr verdienten als jene der Wirtschaftskammer. Diese „roten Bonzen“ seien wohl der Grund, warum SPÖ-Chef Andreas Babler seit Tagen schweige.
Die Wirtschaftskammer-Fraktion der NEOS, die UNOS, haben am Dienstag in einer Pressekonferenz ihre Kritik deponiert. Sie wollen künftig nur noch drei regionale Kammern statt neun und eine der beiden Kammerumlagen streichen. Ebenfalls am Dienstag hatten die Grünen eine ersatzlose Streichung der Kammerumlage 2 sowie zahlreiche Reformen gefordert. „Angesichts des jahrelangen Stillstands stellt sich ohnehin die Frage, ob Harald Mahrer der richtige Mann für Reformen ist“, sagte Elisabeth Götze, Wirtschaftssprecherin der Grünen.
Kritik von Kommentatoren und Politologen
Auch in mehreren Zeitungskommentaren wird Mahrers Rücktritt gefordert. In den „Salzburger Nachrichten“ sehen drei Politik-Experten ein direktes Problem für die ÖVP: Heidi Glück, unter anderem ehemals Sprecherin des früheren ÖVP-Kanzlers Wolfgang Schüssel, sieht für die ÖVP einen deutlichen Vertrauensverlust bei Unternehmerinnen und Unternehmern. „Durch die personelle Verknüpfung wird aus einer Kammergeschichte plötzlich auch eine ÖVP-Geschichte“, wird sie in den SN zitiert. Es sei fraglich, ob die nötige Reform mit Mahrer gelingen wird.
Für Meinungsforscher Peter Hajek steht außer Frage, dass die Situation auch für die ÖVP eine Belastung ist. Dass keine Spitzenvertreter aktiv würden zeige, dass es in der Partei ein Machtvakuum gebe. Das große Problem für Mahrer und die WKO sei, dass ohne Not eine Debatte über die Pflichtmitgliedschaft und die WKO-Beiträge losgetreten worden sei, so Hajek laut „SN“. Die Politikwissenschafterin Karin Praprotnik verweist in der Zeitung darauf, dass von der Diskussion vor allem die FPÖ profitiere, die FPÖ könne das Thema „als Beispiel für eine angeblich abgehobene politische Elite vorbringen.“ Da es noch lange bis zu den nächsten Wahlen sei, könne man aber noch nicht sagen, ob das auch in mehr Stimmen umgemünzt werden könne.
Der Politologe Ferdinand Karlhofer bezweifelte im ORF-„Mittagsjournal“, dass Mahrer jetzt der Richtige sei, um Reformen umzusetzen. „Mahrer hat Fehler gemacht, die für einen professionellen Politiker nicht nachvollziehbar sind“, sagte Karlhofer. Er habe einen „vorgestrigen Hang zur Häufung von Ämtern“ und dann auf ein Amt verzichtet, das nicht zur Debatte stand. Dass es jetzt eine Diskussion über die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in der Kammer gebe, sei „einzig und alleine seine Schuld“. Mahrer habe da „schlafende Hunde geweckt“, so Karlhofer, der in dem Gespräch keinen Änderungsbedarf bei der Pflichtmitgliedschaft sah.
Externe Beratung schon eingeleitet
Dabei hat die WKÖ offenbar schon vor Ausbruch der aktuellen Aufregung einen Reformprozess in Gang gesetzt. Denn die Kammer hat bereits eine Ausschreibung gemacht für einen Rahmenvertrag für Beratungsleistungen, wie zuerst „der Standard“ berichtete. Auf diese sollen laut Mitteilung der WKÖ Bundes- und Landeskammern zugreifen können, wenn sie es wollen. Der Leistungsgegenstand decke Beratungsleistungen für Strategieberatung, Organisations- und Prozessberatung, betriebswirtschaftliche Beratung, Personalberatung und Coaching, thematische Fachberatung, Management auf Zeit, Projektmanagement und Change Management ab. Der finanzielle Rahmen sei für vier Jahre (2026 bis 2029) mit 16 Mio. Euro gedeckelt.
Mahrer hatte am Dienstag drei Punkte als Reaktion auf die Kritik angekündigt - einer davon war eine externe Prüfung von Leistungen und Strukturen der Kammer. Die Basis dafür scheint damit bereits gelegt.
Auch Gagen und Pflichtmitgliedschaft in der AK in Fokus
Die Diskussionen um die Wirtschaftskammer bringen auch die Pflichtmitgliedschaft und Gagen in anderen Kammern, insbesondere in der Arbeiterkammer, in die Diskussion. AK-Chefin Renate Anderl verdient mit über 200.000 Euro im Jahr (140 Prozent eines Nationalratsabgeordneten) mehr als Mahrer, der von der WKÖ - ohne Nebenjobs - rund 180.000 Euro bekommt. Die Präsidenten der Arbeiterkammern Oberösterreich und Steiermark kommen laut Kronenzeitung jeweils auf gut 13.000 Euro im Monat, einzelne Direktoren in der Arbeiterkammer auf knapp unter oder etwas mehr als 20.000 Euro im Monat.