Der Ski-Weltcup steht an und es sind nicht nur die fast sommerlichen Temperaturen oder der Abgang von Marcel Hirscher, die Gesprächsthema sind. Nein, es geht auch um eine Läuferin, die noch gar kein Weltcuprennen gewonnen hat: Katharina Liensberger.Die Vorarlbergerin wollte diesen Sommer zur Vorarlberger Skimarke „Kästle“ wechseln. Dieser Wechsel löste ein Erdbeben aus, dessen Folgen noch nicht absehbar sind. Ebenso wenig ist absehbar, ob Liensberger in dieser Saison überhaupt am Start stehen darf. Im folgenden der Versuch einer Erklärung, wie es so weit kommen konnte – und was das System „ÖSV“ damit zu tun hat.

Zunächst ein – wichtiger – Exkurs.

Der Ski-Pool

In diesen Tagen dreht sich viel um den „Austria Ski Pool“. Doch was ist das eigentlich? Per Definition ist der Austria Ski Pool „ein Verein,  dessen Ziel die Förderung des alpinen und nordischen Skisports in Österreich darstellt“. So ist es auf der Homepage des Pools zu lesen. Im Verein, der 1971 gegründet wurde, sind der Österreichische Skiverband (ÖSV), die Wirtschaftskammer (WK), die Republik Österreich und ausgewählte Vertreter der Wintersportindustrie vertreten. Das Ziel ist es, Voraussetzungen für sportliche Erfolge im Wintersport zu schaffen.

Und das funktioniert, indem einzig jene Firmen ÖSV-Sportler ausrüsten dürfen, die auch als Mitglied im Skipool aufgenommen sind. Dafür sind naturgemäß Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. In Österreich sind diese die höchsten, was keine Überraschung ist. Mit bzw. durch diese Gelder wird aber in erster Linie die Basisfinanzierung für „Training und Wettkampf“, wie es heißt, gelegt. 

In den Zeiten vor Peter Schröcksnadel hatte der Skipool auch sportliche Macht, die Eigentümer der Skirfirmen übten des öfteren Druck auf die sportliche Führung aus. Schröcksnadel hat diesen Einfluss zurückgedrängt, in den Satzungen ist sogar ausdrücklich davon die Rede, dass die Mitglieder „die sportliche Unabhängigkeit des ÖSV“ akzeptieren.

Die Anfänge der Kästle-Verbindung

Der Skipool umfasst also derzeit an die 300 Firmen, die damit auch mit dem ÖSV in wirtschaftlicher Verbindung stehen. Trotzdem fällt nicht alles leicht, denn etwa die Skispringer taten sich zuletzt schwer, Skiausrüster zu finden. Die Folge waren Ski, die von Firmen wie „flugreisen.de“ oder „BWT“ in Auftrag gegeben wurden. Nun aber wollte man, so hört man, beim ÖSV diese „Skimarken“, die nichts mit dem Skisport zu tun haben, wieder ein wenig zurückdrängen und sprach Produzenten an, ob diese nicht auf diesem Weg unterstützen würden. So wird man heuer deswegen auch die neue Skimarke „Augment“, mit der zuletzt Philipp Schörghofer unterwegs war, auch im nordischen Sport ausrüsten. Und auch auf Kästle kam man zu, die wieder gegründete Vorarlberger Skifirma sollte im nordischen Bereich ausrüsten und stimmte zu.

Doch damit nicht genug: Kästle wollte naturgemäß auch im alpinen Sektor nach 22 Jahren wieder zurück in den Weltcup und suchte im Mai um Aufnahme in den Pool an.  Diese wurde auch gewährt. Allerdings, und das bekennt auch Pool-Geschäftsführer Reinhold Zitz, habe man nicht damit gerechnet, dass diese Aufnahme sofort in einem beabsichtigten Engagement einer Weltcupläuferin münden würde.

Dazu muss man sagen: Es ist eine Art „ungeschriebenes Gesetz“ im Pool, das neue Mitglieder zuerst im Nachwuchs ausrüsten und ihr Material mit dem „Testpool“ Nachwuchs auf Weltcup-Niveau bringen.

Der Ausrüstungsvertrag

Ein wesentlicher Bestandteil des Pools ist der sogenannte „Ausrüstungsvertrag“. Der ist nämlich für alle Athlet*innen zwingend vorgeschrieben. Das steht aber so nicht in der Satzung, die die Mitglieder des Austria Ski Pools ausgehändigt bekommen.  Was die Athlet*innen aber wissen: Sie müssen Jahr für Jahr in eine Excel-Liste eintragen, welche Ausrüster sie für Ski/Schuh/Bindung/Stöcke/Helm/Brille/Handschuhe  haben. Diese Liste muss bis Ende Mai an den Skipool gesendet werden, der dann die Gesamtübersicht über knapp 400 auszurüstende Athleten erstellt.

Hat nun ein(e) Athlet*in keinen Ausrüster gefunden, dann hilft der Pool bzw. der Verband bei der Suche. Das Ziel ist es natürlich, jedem Athleten einen Ausrüster für alle Teile zur Verfügung zu stellen. Für Peter Schröcksnadel ist dieser Ausrüstungsvertrag vor allem auch Schutz für den Athleten, aber auch für die Firmen. Denn mit diesem Vertrag soll Sicherheit geschaffen werden – sowohl Firmen als auch Sportler können so nicht mitten in der Saison getauscht werden, weil es kurzfristig andere oder vermeintlich bessere Optionen gibt.

Ohne gültigen Ausrüstungsvertrag muss man damit rechnen, dass man keine Rennlizenz bekommt bzw. diese entzogen wird. Auf diesen Umstand wurde Liensberger und ihr Umfeld wiederholt hingewiesen, erklärt man im ÖSV. Eines dieser Ultimaten endete am 15. August, da war Liensberger mit dem Team gerade in Neuseeland. Theoretisch hätte man sie zwingen können, abzureisen, der ÖSV ließ die Vorarlbergerin aber weiter trainieren.

Bereits zuvor war bei der Pool-Generalversammlung und in weiterführenden Gesprächen klar geworden, dass die Situation ziemlich zerfahren und die Fronten verhärtet ist. Bei Kästle stört man sich vor allem daran, dass der Pool-Vorstand den Vertrag von Liensberger mit der Skifirma Mitte Juni schlicht für ungültig erklärte

Die Krux ist ein Satz

In der Definition dieses Vertrages bzw. der Ausrüstung liegt ein wesentliches Detail, an dem sich der Streit um Liensberger entzündet. Denn Kästle fragte beim Verband an, ob es den Athleten erlaubt sei, Ausrüstungsgegenstände zu kaufen – das wurde mit ja beantwortet. Samt dem Zusatz: „Aber normalerweise werden die Produkte schon kostenlos und leihweise bereit gestellt. Wie gesagt, man muss mit den Firmen reden“. Vonseiten Kästles wird das so interpretiert, dass sich das „reden mit den Firmen“ auf den Kauf der Produkte bezieht, nicht aber auf eine Unterschrift unter einen Ausrüstungsvertrag.

Kästle, das selbst weder Schuhe noch Bindung produziert, ging nun davon aus, dass man sich „irgendeinen“ Schuh kaufen dürfe. Man tat das und wollte Liensberger auf deren Wunsch hin mit einem Lange-Produkt ausstatten, das dann noch von einem erfahrenen Schuhservicemann auf die 22-Jährige abgestimmt wurde. Das Problem: Lange-Skischuhe gehören zum Rossignol-Konzern – jene Firma, die Liensberger völlig überraschend Mitte Mai verließ. Nun weigerte sich aber Rossignol, zuzustimmen, dass  Liensberger auf einem Lange-Schuh im Weltcup fährt und verweigerte die Unterschrift unter dem Ausrüstungsvertrag. Und damit stand Liensberger plötzlich ohne Schuhe da.

An diesem Detail entbrennt nach wie vor der Streit zwischen Kästle, dem Pool und dem ÖSV – und es ist auch für den Normalbürger unverständlich, warum man im Weltcup nicht einfach ein Produkt kaufen und verwenden darf.Rudi Huber, der CEO der SRS, der Vereinigung der Skiproduzenten im Weltcup, drückt es so aus: „Man muss sich eben an gewisse Regeln halten, wenn man im Weltcup fährt. Und eine davon besagt eben, dass man den Ausrüstungsvertrag braucht. Jeder, der im Weltcup und in Ski-Pools ist, weiß das.“

Ausnahmen bestätigen übrigens die Regel: So ist durchaus bekannt, dass Marcel Hirscher trotz eines Ausrüstungsvertrages mit Atomic eine Marker-Bindung verwendete. Das geschah aber mit Zustimmung beider Firmen und war deshalb gedeckt. Ebenso kann es sein, dass vor allem Nachwuchsläufer nicht unbeschränkt Ausrüstung zur Verfügung gestellt bekommen, die müssen sich dann ebenfalls Ski oder gar Schuhe kaufen. Allerdings eben nur Produkte jener Marke, mit der sie einen Ausrüstungsvertrag abgeschlossen haben.   

Warum der Deal mit „Dalbello“ nich funktionierte

Nun ging man bei Kästle daran, Ersatz zu finden und meinte, das mit dem Schuhhersteller „Dalbello“ auch zu schaffen. Das Problem: Dalbello hatte im Frühjahr keinen geeigneten Schuh für den Weltcup, produzierte aber über den Sommer ein neues Modell. Nur: Ausrüstungsvertrag wollte man trotzdem keinen vergeben. „Hätten wir das getan, würden wir der Athletin versprechen, dass wir einen Schuh haben, der gut genug für sie ist. Ohne Tests aber können wir das nicht garantieren“, erklärt Michael Mangold, der Rennchef der Marker/Völkl/Dalbello-Gruppe in Deutschland. Hätte man mehr Zeit gehabt, um in Ansätzen zu sehen, ob der neue Schuh auch wirklich den Erwartungen gerecht wird, wäre ein Vertrag wahrscheinlich gewesen. So aber traute man sich bei „dalbello“ nicht. Und, nicht zu vergessen. Man wollte auch den ÖSV nicht verärgern.

Exkurs: Die Firma Stöckli

Kästle ist ein reiner Skierzeuger, das ist in heutigen Zeiten schon fast eine Seltenheit, aber auch kein Einzelfall. Auch die Firma „Augment“ oder die Schweizer Skifirma „Stöckli“ produzieren selbst keine Bindungen oder Schuhe. Stöckli aber schloss schon vor dem Eintritt in den Schweizer Skipool Kooperationsverträge mit anderen Firmen ab – und verkauft deren Produkte auch in den fünf eigenen Sportgeschäften in der Schweiz. Kästle verabsäumte es, solche Kooperationen aufzubauen.

Das Problem ist nun folgendes: Wie man hört, machte man sich mit dem Vorgehen im Frühjahr auch bei der Konkurrenz bzw. den Mitbewerbern keine Freunde. Weil man eben gegen das „ungeschriebene Gesetz“ verstieß, dass man nicht sofort mit Pool-Eintritt eine Weltcupläuferin ausrüstet. Nicht zuletzt deswegen fällt es Kästle nun auch so schwer bzw. schafft man es nicht, einen Partner für Bindung/Platten/Schuhe zu finden.  

Der Vertrag mit Rossignol und das Ultimatum

Als absehbar wurde, dass sich keine Schuh-Lösung für Katharina Liensberger abzeichnet, wurde der ÖSV wieder aktiv und verhandelte mit der Firma Rossignol – jener Firma, die Liensberger bis dato ausgerüstet hatte. Und es gelang, all ihre Daten aus den Vorjahren zu bekommen. Rennleiter Stephane Mougin reiste, so hört man, noch vor kurzem sechseinhalb Stunden von Chamonix nach Hohenems in Vorarlberg, um persönlich mit ÖSV-Präsident und Pool-Spitze zu verhandeln. So hoffte man, dass Liensberger doch noch im Weltcup starten dürfe.

Das Problem: Liensberger wurde nur eine Option vorgelegt: Sie müsste den Vertrag für zwei Saison unterschreiben. Zugleich wurde der Vertrag der Skifirma Kästle mit dem Skipool vom Pool mit Wirkung zum April 2021 gekündigt. Das heißt vorerst: Liensberger wird zumindest zwei Jahre, wahrscheinlich länger, nicht auf Kästle fahren dürfen, wenn sie den Rossignol-Vertrag unterschreibt. Deshalb blieb auch das Ultimatum bis zum vergangenen Mittwoch ohne Wirkung und Liensberger fehlt in Sölden.

Nun hat sie bis zum 15. November Zeit, um doch noch zu unterzeichnen. Tut sie das nicht, ist die Saison für sie beendet, denn dann würde sie keine Lizenz vom Verband bekommen. Damit allerdings wäre eventuell doch noch der Weg zu Kästle frei – denn nach einer Saison „Standzeit“ dürfte sie im Frühjahr mit Kästle einen neuen Anlauf wagen – bis dahin müssten dann aber die Frage des Schuhlieferanten geklärt sein.

Fix scheint, dass es für die Läuferin zu keiner restlos befriedigenden Lösung kommen kann. Denn keine der Seiten will nachgeben. Die Skiindustrie steht übrigens – mit Ausnahme  von Kästle natürlich – hinter der Entscheidung des ÖSV. Man wolle die Regeln eben eingehalten wissen, so hört man. Der ÖSV will das auch Kästle und dessen tschechischen Eigentümer Tomas Nemecz klar machen. Der tschechische Multimillionär reiste deshalb mit der Kästle-Geschäftsführung und Miteigentümer Alexander Lotschak, einem Wirtschaftsanwalt mit Ski-Vergangenheit, eigens nach Sölden an.

Offen bleibt, ob nicht eine der Parteien doch noch den juristischen Weg einschlägt. Bei Kästle, betont Lotschak trotz aller Enttäuschung, wolle man den eingeschlagenen Weg fortsetzen, „das Konzept, eine österreichische Marke mit österreichischen Erfolgen und österreichischen Athleten zu sein“, soll also beibehalten werden. Und man ist sich sicher, mit Rainer Nachbaur, der einst bei Blizzard schon die Erfolgsski von Reinfried Herbst baute, den Mann zu haben, der Liensberger, die nur sechs Kilometer von der Firma Kästle entfernt wohnt, schnell Erfolgsmaterial liefern könne.

Ein Rechtsstreit wäre da nicht hilfreich. Obwohl man im Erfolgsfalle aus Sicht von Kästle/Liensberger eine – für den Skisport  - ähnliche Dimension und Folgen auslösen könnte wie einst das Bosman-Urteil im Fußball. Wenn man Erfolg hat. Doch bis es so weit sein würde, das wissen alle, vergehen viele Monate, wenn nicht Jahre.

Liensberger wird das für diese Saison nicht helfen. Das ist traurig, aber nachvollziehbar. Das Umfeld hat gedacht, die Regeln biegen zu können. Das System lässt sich das nicht gefallen Die Leidtragend ist und bleibt eine 22-jährige Athletin. Und der Sport.

Tatsache ist: Es wurde viel Porzellan zerschlagen.