"Vollkommen sein heißt, sich oft verändert zu haben“, sagte der englische Kardinal John Henry Newman im 19. Jahrhundert. Das Zitat könnte auch Leitspruch des SK Sturm sein. Denn seit Jahren sind die Grazer bekannt für hohe Fluktuation im Kader. Der Grund ist simpel: Spieler sehen an zig Beispielen, dass ein Wechsel in die Steiermark meist zu erheblicher Verbesserung ihrer Leistungsstärke und folglich ihrer Marktwerte führt.

Genau das hat sich in der Vorsaison einmal mehr bewahrheitet. Dank der Vizemeisterschaft und des gewonnenen Cuptitels haben viele Sturm-Akteure Begehrlichkeiten anderer Vereine geweckt. Dass es da zu Abgängen kommt, ist logische Folge, gehört zum Geschäft. Vor allem zu jenem von Sturm. Auch wenn schwarz-weiße Romantiker und auch Vereinsverantwortliche davon träumen, Leistungsträger bis zum Karriereende binden zu können.

Aber: Bei keinem der aktuellen Abgänge aus dem Stamm der Mannschaft handelt es sich um ein Sturm-Urgestein – diese Spezies scheint ohnehin ausgestorben. Sondern es sind allesamt Fußballer, die in der steirischen Hauptstadt ihre ins Stocken geratene Karriere in Schwung bringen wollten (Deni Alar) oder einen Zwischenschritt auf dem Weg zur weiteren Karriere planten (Thorsten Röcher). Dass Spieler dem Ruf des Geldes folgen, ist legitim. Marvin Potzmann, Alar (beide Rapid) und James Jeggo (Austria) haben das getan. Der eine mit einem sauberen, die anderen mit einem weniger sauberen Abgang. Mit ein Grund, warum niemand mehr vereinswappenküssende Kicker, die fortwährend betonen, dass sie absolut nichts von ihrem aktuellen Klub, nein, ihrem Traumverein, weglocken könne, sehen kann.

Weltuntergangsszenarien waren und sind aber deswegen bei Sturm nicht angebracht. Auch diese Saison nicht. Ja, mit Potzmann, Jeggo, Röcher, Alar und mit Abstrichen Bright Edomwonyi haben fünf Stammkräfte den Verein verlassen. Potzmann spielte – meist auf der linken Außenverteidigerposition – eine gute Saison, doch könnte der Portugiese Filipe Ferreira aufgrund seiner Erfahrung und der Tatsache, dass er ein „echter“ Linksfuß ist, sogar ein Upgrade bedeuten. Jeggo wiederum kaschierte spielerische Limits mit Kampfkraft. Sandi Lovric bot schon im Vorjahr sensationelle Leistungen – jetzt gilt es für ihn, konstant zu werden, dann ist Jeggos Lücke schnell geschlossen. Dazu könnten mit Neuzugang Markus Lackner sogar mehr Facetten ins Spiel kommen. Aber ja, Röcher glänzte mit 15 Scorerpunkten. Sein Transfer ermöglicht aber Chancen für andere. Jakob Jantscher etwa, der nach kompletter Vorbereitung hoffentlich sein wahres Leistungsvermögen abruft. Dazu kommt mit Lukas Grozurek (Admira) einer der Aufsteiger der Vorsaison. Klar ist aber, dass die 20 Treffer von Alar eine Topquote darstellen. Jedoch hat der 28-Jährige neben viel Vertrauen immer einen Brecher als Angriffspartner gebraucht, um effektiv zu werden. Man kann Neo-Angreifer Markus Pink (1,88 Meter) zutrauen, in Graz den Durchbruch zu schaffen.

Fasst man die Lage zusammen, bleibt viel Positives: Der SK Sturm verfügt mit Jörg Siebenhandl weiter über den besten österreichischen Bundesliga-Torhüter. Die Abwehr steht dank der Verpflichtung von Anastasios Avlonitis schon jetzt besser als im Vorjahr da. Auch im Mittelfeld kann nicht von Qualitätsverlust gesprochen werden. Selbst bei einem Abgang von Peter Zulj darf man Geschäftsführer Günter Kreissl zutrauen, adäquaten Ersatz zu finden. Einzig im Angriff muss – und wird – es Nachbesserungen geben. Die erste Bewährungsprobe, die Champions-League-Qualifikation (25. Juli/1. August) gegen Ajax Amsterdam, könnte auch mit der Vorsaison-Mannschaft in einem Debakel enden; ebenso wie es mit der aktuellen zum Aufstieg reichen könnte. Das Puzzle ist fast komplett – um es zu vollenden, ist Kreissl gefordert. Und es liegt an Trainer Heiko Vogel, den richtigen Mix zu finden und das Bestmögliche aus dem Kader herauszuholen.

Aber nach den ersten fünf Monaten seiner Amtszeit sollten auch die pessimistischen Sturm-Fans ihre Einstellung überdenken. Der Deutsche hat nach kurzen Anlaufschwierigkeiten überzeugt, auch wenn er ein funktionierendes Gebilde übernahm. Wenn es der 42-Jährige schafft, auch einen Neuaufbau schnell durchzuführen, ist alles möglich. Die Qualität ist vorhanden, sogar neuerliche Titel sind trotz aller Änderungen am Spielersektor zu erreichen – wenn die Kommandozentrale stabil ist.
Es wäre ein Beweis, dass die Grazer Führung die bessere ist. Und ein Fingerzeig an die Wiener Großklubs, dass es nicht reicht, sich eine Handvoll Sturm-Spieler zu kaufen. Denn um Erfolg zu haben, bedarf es mehr – der SK Sturm wird das mit dem neuen Kader beweisen.