Kurz vor dem Ende der Begutachtungsfrist für das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) ist die Aufregung im Dachverband Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ) groß: Die zusätzlichen Netzentgelte für Erzeuger würden die vielen Maßnahmen, mit denen das ElWG den Übergang zu einem effizienten und günstigen Stromsystem vorantreiben soll, konterkarieren. „Sie sind ein doppelter Bumerang“, sagt Florian Maringer, Geschäftsführer IG Windkraft, „weil sie einerseits Investitionen in neue Anlagen unmöglich machen und andererseits die Stromrechnung für Haushalte erhöhen.“ Der Aufschrei in der Branche sei deshalb so heftig, weil es sich um einen substanziellen Eingriff in Planungssicherheit und Ausbau der erneuerbaren Energie handle.
Auch wenn immer wieder die Rede davon ist: „Die Aussage, dass Erneuerbare derzeit nichts für den Netzausbau zahlen, ist falsch“, sagt Martina Prechtl-Grundnig, Geschäftsführerin des EEÖ. Gemäß einer aktuellen Analyse der Agentur ACER, die den europäischen Energiemarkt überwacht, gebe es in Österreich die zweithöchsten Netztarife für Erzeuger europaweit, „und in keinem einzigen Nachbarland Österreichs gibt es Einspeisetarife“. Die Folge sei auch eine Verzerrung der Wettbewerbsfähigkeit.
Eine Milliarde Euro Kostenbeitrag
Von Windenergie-Anlagen allein kamen in den vergangenen 15 Jahren laut EEÖ knapp 800 Millionen Euro für Netzausbau und -betrieb, die etwas jüngere Photovoltaik steuerte in den vergangenen sechs Jahren etwa 200 Millionen Euro bei. „Wir zahlen bereits jetzt maßgebliche Beiträge, die tief im Tarifsystem vergraben sind. Schon jetzt erschwert das die Lieferung günstiger Energie für Haushalte und Industrie“, erklärt Florian Maringer, Geschäftsführer der IG Windkraft. Er warnt vor höheren Preisen für Verbraucher.
„Wir haben 500.000 Anlagenbetreiber, die nicht wissen, ob sie Einspeisetarife bezahlen müssen, ab wann und wofür“, beschreibt Vera Immitzer, Geschäftsführerin PV Austria, die unsichere Situation. „Das betrifft kleine wie große, gewerbliche wie landwirtschaftliche Anlagen und entzieht ihnen jede Planungssicherheit.“ Jetzt schon sei der Rückgang der Nachfrage nach neuen PV-Anlagen deutlich. „De facto steht der PV-Markt, unter diesen Bedingungen kommen keine neuen Aufträge mehr herein.“
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Investitionen kaum noch machbar
Energiewendeprojekte werden, so Maringer, heute normalerweise mit 20 Prozent Eigenkapital und 80 Prozent Fremdkapital realisiert. Die kolportierten Netzkosten für Anlagenbetreiber lägen jetzt allerdings beim Zehnfachen des von Finanzminister Marterbauer einst vorgeschlagenen und von allen Regierungsparteien abgelehnten Energiewendetransformationsbeitrags von 3 Euro pro Megawattstunde. Derartige Mehrkosten, die man gegenüber dem Kreditgeber nicht einmal genau beziffern könne, würden die Finanzierung entsprechend teuer bzw. unmöglich machen. Maringer: „Bis 2030 könnten wir 7 Milliarden Euro in Österreich investieren, das steht jetzt insgesamt massiv an der Kippe.“
Spitzenkappung nicht praxistauglich
Der zweite Punkt, der letztlich zur Verteuerung von Strom führen werde, ist, so Maringer, die Spitzenkappung, die dazu führe, dass der Kredit, der zum Investieren nötig ist, mit weniger Stromertrag finanziert werden muss. Die PV-Branche ist nicht generell gegen Spitzenkappung, wie Vera Immitzer betont. Eine technische Begrenzung bei PV-Anlagen müsse aber praxistauglich und nachvollziehbar bei 70 Prozent der Modulleistung erfolgen und nicht, wie derzeit vorgeschlagen, bei 60 Prozent. Sonst wären vor allem bei größeren Anlagen Einspeiseverluste von bis zu 8 Prozent die Folge, „und nicht 3 oder 4 Prozent, wie es von Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer immer verkauft wird.“ Das sei ein gravierender Einschnitt, der Effizienz unmöglich mache. Bei einer Kappung auf 70 Prozent, 30 Prozent stünden kann für den Eigenverbrauch oder eine Speicherung zur Verfügung, läge der Verlust zwischen 2 und 3 Prozent, „das ist akzeptierbar, wenn es zur Netzentlastung beiträgt.“
Windkraft kennt allerdings überhaupt keine Spitzen, sie produziert zwei Drittel ihres Stroms im Winter – zu einer Zeit, in der besonders viel Energie gebraucht wird, weil zu diesen Zeiten PV und Wasserkraft weniger liefern. “Kappt man hier willkürlich, verschenkt die Bundesregierung sauberen und unabhängigen Strom und verschärft die Achterbahnfahrt der Preise samt weiterer Abhängigkeit gegenüber Öl- und Gasdiktaturen weiter,” erklärt IG Windkraft-Geschäftsführer Florian Maringer.
Wirtschaftsstandort büßt Vertrauen ein
“Im Vorjahr wurden aufgrund einer fachlich nicht nachvollziehbaren Marktprämien-Verordnung bereits voll funktionsfähige Anlagen vom Netz genommen“, berichtet Hans-Christian Kirchmeier, Vorstandsvorsitzender der IG Holzkraft. Dadurch habe der Wirtschaftsstandort Österreich Vertrauen, heimische Energieproduktion, Arbeitsplätze und Wertschöpfung verloren. Das dürfe sich durch weitere kontraproduktive Maßnahmen nicht wiederholen, sonst kämen Erzeuger erneuerbarer Energie an die Grenzen der wirtschaftlichen Tragbarkeit.
Der Entwurf des ElWG enthält laut Dachverband bereits wichtige Maßnahmen zur Entlastung der Netzkosten – etwa die Fernsteuerbarkeit bei PV-Anlagen, vermehrte Transparenz für verfügbare Einspeisekapazitäten um etwa Speicher richtig zu platzieren oder auch eine Plattform zum Handel und Abwicklung von Flexibilitätsleistungen. Die verlängerte Abschreibedauer für Netzinvestitionen und eine Überarbeitung der Tarifstruktur seien ebenfalls positiv. Diese Instrumente müssten zuerst ihre Wirkung entfalten, bevor man die „Kostenkeule“ einsetzt.
Wettbewerbsbehörde: „Keine Verbesserung der Verbraucherrechte“
Am Mittwoch ist es zu weiteren kritischen Einschätzungen gekommen. Die Wettbewerbsbehörde (BWB) sieht im geplanten gesetzlichen Preisänderungsrecht „keine Verbesserung der Verbraucherrechte“. Sie wies am Mittwoch auch darauf hin, dass Regeln für eine neuerliche Energiekrise fehlen. Klimaschützer von Global 2000 und Fridays for Future vermissen in dem Gesetz ein Bekenntnis zur Klimaneutralität 2040. Die Armutskonferenz drängt darauf, den Sozialtarif auch für Arbeitslose zu öffnen.
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) hatte den Gesetzesentwurf für das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) Anfang Juli an den Nationalrat übermittelt. Diesen Freitag endet die Begutachtungsfrist. Bisher wurden 335 Stellungnahmen abgegeben. Beteiligt haben sich auch viele Privatpersonen, die sich über die geplanten Netzentgelte für Solarstrom ärgern. „Die Einführung zusätzlicher Netzgebühren für die Einspeisung aus privaten PV-Anlagen bestraft jene, die einen Beitrag zur Energiewende leisten“, kritisierte etwa ein Bürger aus Vorarlberg.
Auch der Gewerkschaftsbund (ÖGB) fordert hier Nachbesserungen. „Haushalte, die Strom für den Eigenbedarf erzeugen, sollen nicht zusätzlich belastet werden“, so Bundesgeschäftsführerin Helene Schuberth. Stärker an den Netzkosten beteiligt werden sollten hingegen kommerzielle Einspeiser und Händler. Greenpeace schlägt vor, dass fossile Stromerzeuger einen größeren Anteil der Netzgebühren übernehmen.
Mit dem Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) will die Regierung Strom günstiger machen. Hattmannsdorfer warb wörtlich mit einer „Strompreis-Runter-Garantie“. Branchenvertreter sagen jedoch, dass Strom durch das Gesetz teurer werde, weil die Erzeuger die Netzgebühren auf den Strompreis aufschlagen werden.
„Lediglich im kleinen Cent-Bereich pro eingespeister Kilowattstunde“
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer und Staatssekretärin Elisabeth Zehetner hatten zuletzt „die Klarstellung der E-Control begrüßt“, wonach „etwaige Netzinfrastrukturbeiträge für private PV-Anlagen lediglich im kleinen Cent-Bereich pro eingespeister Kilowattstunde liegen würden“. Es wird betont: „Diese Beiträge wären jedenfalls verursachungsgerecht ausgestaltet und stellen die Investitionssicherheit für Haushalte, Betriebe und Energiegemeinschaften sicher.“