Das Verteidigungsministerium geht nicht an die Neos, für die Mitgliederversammlung hat die Partei trotzdem eine militärische Location gewählt. Die Ballonhalle des Arsenals im Dritten Wiener Gemeindebezirk ist am Sonntag pink beleuchtet, Parteilogos werden auf die gewölbte Decke projiziert. Pink, das steht kurz vor 15 Uhr fest, ist künftig die Farbe einer von drei Regierungsparteien.

620 Parteimitglieder sind vor Ort, um über das zwischen ÖVP, SPÖ und Neos ausverhandelte Regierungsprogramm abzustimmen. 1650 weitere sind online dabei. Mindestens zwei Drittel der Parteibasis müssen ihren Segen geben, damit die Neos eine Koalition eingehen dürfen. Die Hürde wird ohne Probleme übersprungen. 94,13 Prozent der abgegebenen Stimmen befürworten die Regierungsbeteiligung. Damit steht der Angelobung der schwarz-rot-pinken Bundesregierung nichts mehr im Wege. Sie soll am Montag um 11 Uhr in der Hofburg stattfinden.

Außensicht von Alexandra Siegl

„Ohne uns wird sich nichts ändern“

Davor rührt die Neos-Spitze noch einmal die Werbetrommel für den Koalitionspakt. „Ihr alle stimmt heute darüber ab, ob Österreich erneuert werden kann“, kündigt der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr in seiner Eröffnungsrede an. Sollte die Dreierkoalition zustande kommen, wird er Bildungsminister werden. In der Ballonhalle erntet er jedenfalls tosenden Applaus. Das gut 200 Seiten starke Regierungsprogramm, das ausgedruckt auf jedem Sessel liegt, sei nicht „die reine Lehre“ der Neos, erklärt Wiederkehr, „aber ein guter Kompromiss ist ein Erfolg“.

ABD0035_20250302 - WIEN - ÖSTERREICH: Blick in Richtung Bühne, aufgenommen am Sonntag 02. März 2025 anl. einer NEOS-Mitgliederversammlung mit Abstimmung über das Arbeitsprogramm der Dreierkoalition in Wien. - FOTO: APA/TOBIAS STEINMAURER
Mehr als 600 Mitglieder haben sich in der Halle eingefunden © APA / Tobias Steinmaurer

Wiederkehr blickt auf mehr als vier Jahre Regierungserfahrung in Wien zurück, dabei habe er gelernt, dass Regieren „kein Sprint ist, sondern ein Marathon“ sei. „Aber wir haben trainiert und wir haben gute Laufschuhe“. Der Bildungsminister in spe appelliert eindringlich an die Mitglieder, ihre Zustimmung zum Koalitionsabkommen zu geben. „Ohne uns wird sich nichts ändern. Nützen wir gemeinsam diese Chance.“

Video: Pinke Basis stimmte für NEOS-Regierungsbeteiligung

Programm mit „starker pinker Handschrift“

Taylor Swifts „Are you ready for it?”, schallt durch die Halle, als Parteichefin Beate Meinl-Reisinger die Bühne betritt. Die Mitglieder über das Koalitionsabkommen entscheiden zu lassen, sei der „einzige richtige Weg“, betont die pinke Frontfrau, zu viele Menschen würden sich von der Demokratie abwenden, „weil sie das Gefühl haben, sie machen keinen Unterschied“. Sie sei jedenfalls „stolz, auf das, was wir erreicht haben“.

„Anfang Jänner wäre noch nicht möglich gewesen, was jetzt möglich war“, rechtfertigt Meinl-Reisinger, dass es die Neos waren, die damals vom Dreier-Verhandlungstisch als erstes aufgestanden waren. Während der Gespräche zwischen den Freiheitlichen und der Volkspartei hätten viele „aufrechte Demokratinnen und Demokraten, auch die ÖVP, in den Abgrund geblickt“. Jetzt trage das Programm eine „starke pinke, liberale, pro-europäische Handschrift“, sagt Meinl-Reisinger. „Schreiben wir Geschichte heute“, appelliert sie an die Mitglieder, was in der Halle mit Standing Ovations quittiert wird.

ABD0067_20250302 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.l.) Der designierte Deregulierungs-Staatssekretär Sepp Schellhorn (NEOS), die designierte Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) und der designierte Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) am Sonntag 02. März 2025 anl. einer NEOS-Mitgliederversammlung mit Abstimmung über das Arbeitsprogramm der Dreierkoalition in Wien. - FOTO: APA/TOBIAS STEINMAURER
Das künftige pinke Regierungsteam: Sepp Schellhorn, Beate Meinl-Reisinger und Christoph Wiederkehr © APA / Tobias Steinmaurer

Bevor die Mitglieder endgültig ihre Entscheidung fällen, läuft eine Debatte über das Regierungsprogramm. Jedes Mitglied darf sich zwei Minuten lang zu Wort melden. Einfache Parteimitglieder machen von der Möglichkeit ebenso Gebrauch, wie prominente Köpfe wie EU-Abgeordneter Helmut Brandstätter und Heide Schmidt, Gründerin des Liberalen Forums.

Meist positive Wortmeldungen

Die meisten Wortmeldungen fallen positiv aus. Er sei „überrascht, wie toll dieses Programm geworden ist“, sagt ein Redner, es gibt zahlreiche Appelle an andere Mitglieder, zuzustimmen. Er habe überlegt, mit Nein, zu stimmen, erzählt ein Parteimitglied. Er sei aus Wiener Neustadt, kenne Bundeskanzler in spe Christian Stocker, auch von Wiederkehr und dem designierten Staatssekretär Sepp Schellhorn sei er nicht begeistert. Ein Videocall mit Parteichefin Meinl-Reisinger habe ihn dann aber doch noch vom Gegenteil überzeugt. „Ich bin überzeugt davon, dass ein besseres Ergebnis möglich gewesen wäre“, sagt Arlette Zakarian, Landesvorsitzende des „zehnten Bundeslandes“, der Gruppe der Auslandsösterreicher. Zustimmen werde sie trotzdem, „wenn auch nicht ohne Vorbehalte“.  „Die Gründungsmütter und Gründungsväter würden dieses Programm ablehnen“, zeigt sich ein anderes Mitglied überzeugt und bekommt in der Halle dafür nur verhaltenen Applaus.

Umso lauter ist der Jubel, als das Abstimmungsergebnis auf einer großen Videowand eingeblendet wird. Erleichterung dürfte auch bei ÖVP und SPÖ herrschen: Mit dem Ja der Neos-Mitglieder ist der Dreierkoalition ihre letzte Hürde genommen. „Morgen beginnt die Arbeit“, verkündet Parteichefin Meinl-Reisinger. Bereits am Montag wird sie Österreichs neue Außenministerin sein.

Video: Best-of der Rede von Beate Meinl-Reisinger