Wenn es blöd läuft, in der Debatte eine überraschende Dynamik entsteht, die dann nicht mehr einzufangen ist, zerplatzen die pinken Träume heute ausgerechnet dort, wo um die Jahrhundertwende riesige Gasballone befüllt worden sind: in der alten Ballonhalle auf dem Gelände des Arsenals, die heute als Veranstaltungshalle fungiert. Die Ballons dienten damals nicht der Volksbelustigung, sondern wurden - den heutigen Drohnen vergleichbar - zur militärischen Aufklärung auf den Schlachtfeldern eingesetzt.
Bei Grünen nur einfache Mehrheit
Dass Mitglieder einer Partei über den Einzug in eine Regierung auf Bundesebene entscheiden, ist in Österreich neu. Bei den Grünen stimmten vor fünf Jahren nicht die Basis, sondern unter der Ägide von Werner Kogler knapp 280 Delegierte über den Schulterschluss mit der ÖVP unter Sebastian Kurz. 93,2 Prozent votierten dafür. Die Neos zählen, so der aktuelle Stand, rund 2600 Mitglieder. Knapp 700 wollen sich heute in der Ballonhalle einfinden, rund 1000 wollen sich virtuell zuschalten. Am Nachmittag soll, so der Plan, weißer - oder schwarzer - Rauch über dem Arsenal aufsteigen. Bei den Grünen reichte eine einfache Mehrheit, bei den Neos bedarf es einer Zweidrittelmehrheit.
Offen gesagt
Videokonferenzen am laufenden Band
Bei den Neos zeigt man sich zuversichtlich, dass die pinke Basis den Weg frei macht für den Eintritt in die Regierung. In den letzten Tagen hätten die Mitglieder, erzählen Organisatoren, in zahllosen Videokonferenzen die Möglichkeit gehabt, die Chefverhandler eingehend mit dem Verhandlungsergebnis zu konfrontieren. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger fuhr am Freitag extra in die Steiermark zum Wahlkampfauftakt zur steirischen Gemeinderatswahl, auf der Fahrt dorthin konferierte sie fast zwei Stunden lang mit knapp 100 Mitgliedern, gestern war der designierte Bildungsminister Christoph Wiederkehr mit rund 50 Mitgliedern an der Reihe.
Die einstige Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss, die formell nie Mitglied war, erklärte im Gespräch mit der Kleinen Zeitung unter Verweis auf den beispiellosen Eklat im Weißen Haus sowie die Lage auf den Schlachtfeldern im Osten der Ukraine: „In der jetzigen Situation können wir uns etwas anderes gar nicht leisten. Bei den Mitgliedern gibt es einen starken Wunsch zu gestalten. Ich bin optimistisch.“ Dass sich nicht alle Forderungen, etwa bei den Pensionen, im Koalitionsvertrag wiederfinden, liege in der Natur von solchen Verhandlungen. Eine starke pinke Handschrift ortet Griss bei der Bildung, dem zweiten Kindergartenjahr, der Ganztagsschule. „Die Neos sind die einzige Partei, die vor der Neutralitätsillusion warnen.“
In der Ballonhalle sollen zunächst ein Dutzend Verhandler das Wort ergreifen, neben Meinl-Reisinger und Wiederkehr etwa auch der designierte Staatssekretär Sepp Schellhorn, EU-Abgeordnete Anna Stürgkh oder Justizsprecherin Stefanie Krisper. Dann wird bereits die Frage und Antwortrunde eröffnet. Angesagt haben sich auch Neos-Gründer Hans-Peter Haselsteiner, Ex-Liberalenchefin Heidi Schmidt oder der einstige EU-Abgeordnete Friedhelm Frischenschlager. Dass gewisse Divergenzen unter der breiteren Führungsspitze bei der Debatte aufpoppen, erwarten sich die Organisatoren des Parteitags nicht: Am Freitag habe der erweiterte Parteivorstand, der aus 29 Mitgliedern besteht, einstimmig Meinl-Reisinger, Wiederkehr und Schellhorn in die nächste Regierung entsandt.
Koalitionsvertrag müsste modifiziert werden
Mit einer gewissen Anspannung werden nicht nur beiden anderen Koalitionspartner, Christian Stocker und Andreas Babler, den Livestream (ab 11 Uhr) aus dem Ballonhaus verfolgen, auch bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist das Interesse groß. Was tun, wenn die Neos die Zweidrittelmehrheit für eine Dreierkoalition verfehlen? Niemand will wirklich darüber spekulieren, dem Vernehmen nach soll die Angelobung in der Hofburg in jedem Fall über die Bühne gehen, denn ÖVP und SPÖ verfügen über die nötige parlamentarische Mehrheit, wenn auch nur mit einem Mandat Überhang. Die Hoffnung ist, dass die Neos auch ohne Regierungsbeteiligung die knappe Mehrheit bei Abstimmungen im Nationalrat absichern. In jedem Fall müsste der Koalitionsvertrag modifiziert werden, ÖVP und SPÖ müssten außerdem einen neuen Außen- und Bildungsminister finden.
Indes war die Hofburg am Wochenende der Ort eines geheimen Speed-Datings: Van der Bellen lud jedes Regierungsmitglied, das er noch nicht kennt, zu einem Kennenlerntermin hinter die Tapetentüre. Von den 21 Köpfen gehörten nur vier der alten Regierung an.