Vor zwei Tagen, am Dienstag, sind die ersten 40.000 Dosen des russischen Corona-Impfstoffes „Sputnik V“ in Ungarn eingetroffen. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto begründete die Beschaffung aus Russland mit den Versäumnissen der Europäischen Union.

Brüssel habe versagt, weswegen die EU das Leben der Menschen in Europa und den baldigen Aufschwung der europäischen Wirtschaft gefährde, kritisierte der Minister. Szijjarto erinnerte daran, dass Ungarn das erste EU-Land war, das „Sputnik V“ zuließ. Ungarn hat insgesamt zwei Millionen Dosen von „Sputnik V“ bestellt, die innerhalb von drei Monaten in Ungarn eintreffen sollen, zitierte die Ungarische Nachrichtenagentur MTI den Minister. Die 40.000 Dosen, die für die Immunisierung von 20.000 Bürgern ausreichen, werden zunächst vom Zentrum für Nationale Volksgesundheit (NNK) geprüft, bevor sie verimpft werden. Laut einer Umfrage des Institutes „Pulzus“ sind aber nur zwei Prozent der Ungarn bereit, sich den russischen Impfstoff spritzen zu lassen.

Dazu kommen widersprüchliche Meldungen zum Impfstoff selbst. Nach Kritik an fehlenden belastbaren Studien haben russische Forscher ebenfalls am Dienstag weitere Details zu ihrem Corona-Impfstoff veröffentlicht. Demnach hat das Vakzin eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent. Gleichzeitig berichtete das Nachrichtenportal „Euractiv“, dass die ungarische Ärztekammer derzeit unter Verweis auf fehlendes Datenmaterial weder den russischen, noch den ebenfalls in Erwägung gezogenen chinesischen Impfstoff empfehlen kann.

Ist Sputnik aber dennoch eine Alternative für Europa, etwa um die weit hinter Plan liegenden Lieferungen von AstraZeneca auszugleichen? FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer sieht „eine Chance für Österreich“. „Nach dem Versagen der EU bei der Organisation der Impfstoffe und der Pleite in Österreich rund um AstraZeneca wäre es an der Zeit, Kontakt zu Russland aufzunehmen, so wie es Ungarn bereits erfolgreich getan hat“, sagte er. Immerhin werde der Impfstoff bereits in 15 Ländern eingesetzt, etwa in Algerien, Bolivien, Argentinien oder seit wenigen Tagen in Mexiko. Diese Woche erst hatte sich Tschechien an Russland mit der Bitte um Hilfe gewendet. Auch die Neos können dem etwas abgewinnen, so Gesundheitssprecher Gerald Loacker: „Ganz oben stehen natürlich die Qualitätskriterien, die eingehalten werden müssen. Sollte sich aber bestätigen, dass Sputnik V sicher ist und zuverlässig wirkt, dann muss die Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Anschober, dafür sorgen, dass Österreich augenblicklich in die Beschaffung geht.“

Zuerst Freigabe durch die EMA

Loacker setzt aber eine Prüfung durch die europäische Arzneimittelagentur EMA voraus, was dieser Tage selbst EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nicht mehr ausschließen mochte. In Gesprächen mit EU-Abgeordneten zeigte sie sich offen für eine mögliche Zulassung; zur gleichen Zeit äußerte sich auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in diese Richtung: Jedes Vakzin sei in der EU „herzlich willkommen“, sofern die EU-Arzneimittelbehörde EMA dies empfehle, sagte sie in der ARD-Sendung "Farbe bekennen". Der österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober zeigte sich heute am Rande einer Pressekonferenz der Idee gegenüber aufgeschlossen: „Mir persönlich ist der Name eines Impfstoffes völlig gleich. Es kommt immer auf die Qualität an“, so Anschober.

Bundeskanzler Kurz wies gestern allerdings darauf hin, dass sich die Frage derzeit gar nicht stelle, da Sputnik bis dato noch keinen Zulassungsantrag bei der EMA gestellt habe. Er plädiert aber auch dafür, dass es bei der Frage der Zulassung von Impfstoffen keine geopolitischen Tabus geben dürfe. „Die EMA sollte natürlich auch die Zulassung von chinesischen Impfstoffen oder des russischen Impfstoffs prüfen“, sobald diese den Antrag gestellt hätten, erklärte Kurz. Die Agentur mit Sitz in Stockholm ist damit der Dreh- und Angelpunkt: zwar steht es jedem Mitgliedsland an sich frei, ein Mittel wie Sputnik selbst per Notfallzulassung einzusetzen, allerdings ist damit auch die volle Haftung verbunden. Auf EU-Ebene gibt man den Ball damit bis auf weiteres an die Länder zurück; Sputnik hat für Brüssel jedenfalls auch eine politische Dimension, denn die Beziehungen zu Russland sind nach Cyberattacken, Ukraine, dem Streit um Nordstream 2 und zuletzt dem Fall Nawalny auf einem Tiefpunkt. Russland als Retter nach einem europäischen Impfdebakel – diesen Eindruck will man nicht wirklich entstehen lassen.

Als gewiss gilt, dass Sputnik nicht Teil der offiziellen EU-Impfstrategie wird, sondern bestenfalls als Ergänzung zu sehen ist. Ungewiss ist dazu, ob im Falle von "Einzelbestellungen" einzelner Länder die Lieferkapazitäten ausreichend wären.

Wirkungsvolle Kombinationen

Einen hoffnungsvollen Ausweg aus dieser Debatte könnten nun ausgerechnet britische Forscher finden. Sie wollen in einer klinischen Studie die Impfstoff-Wirksamkeit bei der Kombination zweier unterschiedlicher Wirkstoffe testen. Wie das National Institute for Health Research mitteilte, sollen dabei die beiden bisher in Großbritannien zugelassenen Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Oxford/AstraZeneca in unterschiedlicher Abfolge als erste und zweite Dosis verwendet werden.

Gleichzeitig wollen die Forscher auch herausfinden, wie sich unterschiedliche Intervalle von vier bis zu zwölf Wochen zwischen der Gabe der beiden Dosen auswirken. Angesichts potenzieller Engpässe in der Impfstofflieferung sei es definitiv von Vorteil, Daten zu haben, die eine flexiblere Impfstoffvergabe erlaubten, sagte der stellvertretende medizinische Chefberater der britischen Regierung, Jonathan Van-Tam. Er fügte hinzu: "Es ist auch möglich, dass durch die Kombination von Impfstoffen die Immunreaktion erhöht werden könnte und ein länger anhaltendes und höheres Niveau an Antikörpern hervorgerufen werden könnte", so Van-Tam. Das müsse nun getestet werden.

Eine ähnliche Studie hatten russische Forscher bereits Ende vergangenen Jahres angekündigt. Dabei soll eine Kombination aus „Sputnik V“ und AstraZeneca zum Einsatz kommen.