Mitten in der Lese, draußen tragen die Helferinnen und Helfer die Kisten voller Trauben zusammen, sitzt Eduard Tscheppe vom Gut Oggau und wirkt, als sei er gerade aus einem verlängerten Wochenende zurückgekommen. Keine Spur von Hektik, kein Getriebener, sondern einer, der seine Ruhe fast schon zelebriert. „Wir sehen die Lese nicht als Stress, sondern als Belohnung für ein intensives Jahr“, sagt er und lächelt, während seine Frau Stephanie, das Feuer im Duo, draußen die Fäden zieht. Er selbst ist, wie er sagt, das Wasser: ausgleichend, ruhig – auch wenn es manchmal in ihm brodelt.
Vor bald zwanzig Jahren haben die beiden das Weingut übernommen und sofort ihren eigenen Weg eingeschlagen: Naturwein, biodynamisch, ohne Zusätze, dafür mit jeder Menge Handarbeit. Anfangs in Österreich ein Kampf gegen Windmühlen. Trübe Weine, eigenwillige Aromen – das stieß auf Stirnrunzeln, nicht auf Beifall. Aber dann kam die weite Welt: London, Kopenhagen, Skandinavien. Dort verstanden Sommeliers und neugierige Gastronomen, was die Tscheppes meinten, wenn sie sagten, dass Wein nicht Produkt, sondern Kulturgut ist. Heute sind es rund 50.000 Flaschen im Jahr, mehr als 90 Prozent gehen in den Export. „Wir können uns nicht skalieren. Jeder Schritt ist Handarbeit, jeder Weingarten verlangt Aufmerksamkeit. Das macht den Wein knapp, aber genau das ist auch sein Wert.“
Knapp und charakterstark. Jeder Wein trägt ein Gesicht, einen Namen, eine Persönlichkeit. Die Idee kam 2007 mit dem ersten Jahrgang, als man keine Referenzen hatte und sich die Weingärten neu erschließen musste. „Die Böden prägen den Charakter. Schotter bringt jugendliche Frische, Schiefer eine gewisse Gelassenheit, Kalk Ernsthaftigkeit. Die Weine sind wie Familienmitglieder, sie entwickeln sich ständig weiter. Mal introvertierter, mal extrovertierter, mal mit ein bisschen mehr Speck auf den Hüften, mal schlanker. Aber immer wiedererkennbar.“ Es sei, sagt Tscheppe, jedes Mal wie das Wiedersehen mit einem Kind, das von einem Auslandsjahr zurückkommt: dieselbe Persönlichkeit, aber mit neuen Facetten.
Dass die Lese inzwischen regelmäßig schon im August startet, nimmt er mit derselben Gelassenheit. „Wir lesen nicht früher, um Frische zu bewahren, sondern weil die Trauben eben früher reif sind.“ Ein Effekt des Klimas – und auch der Biodynamie. „Wir können die Kraft der Rebe so lenken, dass sie früh auf die Frucht geht. So bekommen wir harmonisch reife Trauben, ohne dass der Zucker explodiert.“ Entscheidend sei nicht der Zucker, sondern die Balance. „Das beste Jahr ist immer das nächste. Jedes Jahr bringt mehr Erfahrung, mehr Vitalität im Boden, mehr Resilienz in den Pflanzen.“
Während andernorts über große oder kleine Jahrgänge gestritten wird, hält er wenig davon. „Früher galt ein Jahr als gut, wenn viel Sonne war und viel Zucker. Wir sehen das völlig anders. Für uns zählt die Harmonie, nicht die Maximierung.“ Dass das nicht immer einfach ist, verschweigt er nicht. Aber Aufgeben? Keine Option. „Die Lese ist wie eine Geburt. Man vergisst die Mühen, sobald das Kind da ist.“
Überhaupt redet Tscheppe lieber von Kreisläufen als von Krisen. Von Bäumen, die er in die Weingärten pflanzt, um Mikroklima und Bodenleben zu verbessern. Von Kompost, Kräuterauszügen und Pferden statt Traktoren. „Jeder Baum entzieht der Atmosphäre Kohlenstoff, jeder Baum verbessert unser System.“ Missionarisch klingt das nicht, eher pragmatisch. „Wir sitzen auch im Flugzeug, wenn wir unsere Weine präsentieren. Es geht nicht darum, päpstlicher als der Papst zu sein, sondern eine Haltung zu finden, die zu uns passt.“
Dass sich die Konsumgewohnheiten ändern, weiß er. Junge trinken weniger, die Branche kämpft mit Überproduktion. „Aber die Natur lehrt uns: Am Ende ist es gut. Oft nur nicht so, wie wir es erwarten.“ So klingt einer, der sich nicht vom Chaos verrückt machen lässt. „Erwartungshaltungen führen zu Enttäuschungen. Offenheit führt zu Überraschungen.“ Ein Satz, der für seine Weine gilt – und für das Leben sowieso.