Wer meint, Aktien seien zutiefst spekulativ, könnte sich angesichts massiver Kurskorrekturen in den letzten Wochen bestätigt fühlen. Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse AG, entgegnet: „Ja, Aktien schwanken kurzfristig, aber sie sind langfristig die sicherste und mit Abstand renditeträchtigste Anlageform.“ Die 100-jährige inflationsbereinigte Rendite von Aktien liege bei fünf bis sechs Prozent, damit würden Aktien jede Alternative „um mindestens das Doppelte schlagen“, sagt Boschan. Er erklärt dies so: Allgemeiner Wohlstand wie auch die Wertentwicklung aller Anlageklassen leiteten sich vom profitablen privaten Unternehmertum ab. Über Aktien könne man sich daran direkt beteiligen.

„Ausdruck der Zeit, in der wir leben“

Dennoch sei klar, dass sich kurzfristig auch massive Verluste ergeben können, so wie in den ersten Apriltagen. „Mit einem breit angelegten, hochdiversifizierten lebenslangen Aktiensparen ist es völlig egal, ob und wie der Markt schwankt“, widerspricht Boschan. Denn man verfolge eine langfristige Perspektive. Mit der Volatilität im Finanzmarkt und im wirtschaftlichen Umfeld werde man leben müssen, meint Heimo Scheuch. Der Wienerberger-CEO ist der Aufsichtsratsvorsitzende der Wiener Börse. Das sei auch „Ausdruck der neuen Zeit, in der wir leben“. Ein niedrigverzinstes Sparbuch sei in inflationärem Umfeld das größere Risiko der Wertvernichtung als das Investment in Unternehmen, so Scheuch.

Wiener Börse AG-CEO Christoph Boschan: „Fast fluchtartige Bewegung aus den USA“
Wiener Börse AG-CEO Christoph Boschan: „Fast fluchtartige Bewegung aus den USA“ © Kk

Er mahnt steuerliche Begünstigungen ein, um Bürgern das Investieren in die Daseins- und Pensionsvorsorge zu erleichtern. Pensionskassen sollten verpflichtet werden, in Aktien zu investieren. Scheuch: „Es ist eine Schädigung der jungen Bürger, wenn man Aktien als Pensionsvorsorge nicht zulässt.“ Jede einzelne Pensionsvorsorge-Säule würde von Investitionen am Kapitalmarkt profitieren, sind beide überzeugt: Die erste Säule, getragen vom Umlageverfahren, solle um Investitionen am Kapitalmarkt ergänzt werden, zwei bis drei Prozent sind es in Schweden: „Allein das entlastet die Sozialhaushalte und führt zu mehr Wohlstand“, ist Boschan überzeugt.

Plädoyer für einen österreichischen Staatsfonds

Die zweite Säule des Pensionssystems könnte sich an der Schweiz orientieren, wo die betriebliche Altersvorsorge verpflichtend ist. Für die private Vorsorge – die dritte Säule – sieht Boschan die USA als Vorbild. Und gemeinsam mit Scheuch plädiert er für einen Staatsfonds nach norwegischem Beispiel als vierte Säule. Die Regierung solle sich mit der Privatisierung von Staatsbeteiligungen Geld über die Börse holen. In einen Staatsfonds sollten die gesamten Beteiligungen des Staates eingebracht werden. Entpolitisiert, dem Parlament unterstellt und professionell geführt. Das würde den Standort sichern und den Finanzmarkt stärken, so Scheuch.

Aufsichtsratschef der Wiener Börse Wienerberger-CEO Heimo Scheuch: „Staatsfonds würde den Standort sichern und den Finanzmarkt stärken“
Aufsichtsratschef der Wiener Börse Wienerberger-CEO Heimo Scheuch: „Staatsfonds würde den Standort sichern und den Finanzmarkt stärken“ © Kk

Ist es mehr als ein Strohfeuer, entfacht durch die Zoll-Ver(w)irrung Trumps, dass viele Dollar-Milliarden an Anlegerkapital von den USA nach Europa fließen? Boschan erkennt eine „fast fluchtartige Bewegung aus den USA“. Das sei aber kein Grund zur Häme. Dass Europa derzeit aufgrund seiner relativen Stärke signifikante Kapitalrückflüsse verzeichne, sei auch Folge des relativen Vorteils Europas dank viel niedrigerer Unternehmens-Bewertungen, stabiler Geschäftsmodelle und der aktuellen Euro-Stärke.

Goldpreis als klares Angstbarometer

Der von Rekord zu Rekord galoppierende Goldpreis zeige, dass viele Gold mehr vertrauen als Wertpapieren, die solide Dividenden abwerfen. Für Boschan ist es „tragisch“, dass eine nicht produktive Anlage so attraktiv sei. Er ortet hierin „ein klares Angstbarometer“.

Wie kam es eigentlich dazu, dass sich die Wiener Börse von der Rezession entkoppeln konnte und der ATX kräftig zulegen konnte – um rund 50 Prozent seit Herbst 2023? „Es ist der falsche Konnex, der hergestellt wird. Denn unsere gelisteten Unternehmen sind globale und europäische Player“, erklärt Boschan. Der Markt in Mittel- und Osteuropa wachse weiterhin um 2,5 bis 3,5 Prozent pro Jahr. „So gesehen reflektieren die Zahlen sehr wohl die wirtschaftliche Realität, nur nicht jene in Österreich.“

„Viel billigere Verwaltung in den USA“

Alle würden über die US-Zölle sprechen, weithin unterschätzt sei aber die Verschlankung der Verwaltung unter Präsident Donald Trump, warnt Boschan. „Im besten Fall hat dann die USA eine viel effizientere Verwaltung, in jedem Fall eine, die viel billiger ist“. Das sei dann der globale Wettbewerber, mit dem man es in Europa zu tun habe, selbst wenn der Zollstreit beigelegt wurde. Es brauche daher in der EU und in Österreich eine „Modernisierung“ der Verwaltung. Auch der Finanzmarkt leide weiter „unter dem exponentiellen Zuwachs der Regulierungsintensität“, so Boschan.