Die ÖVP malt angesichts des drohenden Endes der türkis-grünen Koalition ein rot-blaues Gespenst an die Wand. SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner sei als künftige Kanzlerin "ein absolutes No-Go", warnte ÖVP-Klubobmann August Wöginger am Samstag in einer Aussendung. Diese hatte sich zuvor als mögliche Regierungschefin ins Spiel gebracht und selbst der FPÖ als Polit-Partner keine Absage erteilt. Am Samstagnachmittag wollen sich Rendi-Wagner und Kickl zudem zum Gespräch treffen.

Rendi-Wagner hatte Freitagabend in der ORF-"ZiB2" gemeint, auch als Bundeskanzlerin zur Verfügung zu stehen, sollte sie dadurch einen Beitrag zu mehr Stabilität im Land leisten können. Eine für sie unwahrscheinliche, aber dennoch mögliche Zusammenarbeit mit der FPÖ - eine in der SPÖ bisher eher undenkbare Variante - rechtfertigte sie mit der derzeitigen außergewöhnliche Situation. Rendi-Wagner geht nicht davon aus, dass etwa Coronamaßnahmen-Kritiker und FPÖ-Chef Herbert Kickl Gesundheitsminister einer solchen Regierung sein würde.

Der einstige SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky erteilt einer möglichen Koalition zwischen der SPÖ und der FPÖ eine klare Absage. "Das ist für mich nicht vorstellbar", meinte Vranitzky im Telefoninterview mit der Kleinen Zeitung

Köstinger: Grüne und SPÖ verursachen "bewusst Chaostage"

Die ÖVP griff die Aussagen der SPÖ-Obfrau gerne auf. "Grüne und SPÖ steuern mit ihren Volten geradewegs ins Chaos und verkaufen ihre eigene Seele und das Land für einen Pakt mit Herbert Kickl", konstatierte Köstinger, die freilich selbst einmal Teil einer türkis-blauen Koalition mit Kickl als Innenminister war. Der Noch-Koalitionspartner der ÖVP verursache mit seinem Verhalten "bewusst Chaostage" und gefährde die politische Stabilität des Landes, meinte Köstinger. Die ÖVP stehe hingegen bereit, die Regierungsarbeit fortzusetzen, wiederholte Köstinger die derzeitige öffentliche Parteilinie.

Vor einer möglichen Kanzlerin Rendi-Wagner warnte explizit Wöginger. Die SPÖ-Vorsitzende sei sogar in ihrer eigenen Partei "völlig umstritten", befand der türkise Klubobmann. Darüber hinaus habe sie in den vergangenen Monaten immer wieder bewiesen, "dass für sie lediglich parteitaktische Interessen an erster Stelle stehen".

Die SPÖ konterte umgehend und schickte dazu Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch aus: "Der türkise Machtzirkel leidet an Realitätsverweigerung, wenn er glaubt, einfach weitermachen zu können wie bisher", meinte Deutsch in einer Aussendung. "Türkis bunkert sich ein und nimmt die eigene Partei und ganz Österreich in Geiselhaft", kritisierte er. "Kurz, Köstinger, Wöginger und Co. stehen für den moralischen Verfall der türkisen ÖVP, für die Anstand, Respekt und Verantwortung seit langem nur mehr Fremdworte sind." Kurz müsse sofort zurücktreten. Die "vernünftigen Kräfte in der ÖVP" sollten sich "von diesem mutmaßlich korrupten System Kurz lösen", empfahl Deutsch.

Schweigen im Grünen Klub

Im Grünen Klub selbst herrschte indes am Samstag das große Schweigen. "Alles zur gegebenen Zeit", so Klubchefin Sigrid Maurer, andere Nationalratsabgeordnete wollten sich gegenüber APA nicht äußern. Man sei in einer heiklen Phase, man wolle die derzeit laufenden Gespräche nicht durch Ansagen von außen stören, hieß es aus dem grünen Umfeld.

Allerdings haben mehrere grüne Abgeordnete in den Sozialen Medien zuletzt scharfe Kritik an Kurz geübt, darunter Nina Tomaselli und David Stögmüller, die beide die Grünen im Ibiza-Untersuchungsausschuss vertreten hatten. "Ein Bundeskanzler der mit diversen Strafverfahren gegen sich selbst beschäftigt ist, kann eine derartige Verantwortung für den gesamten Staat unter diesen Umständen nicht tragen", schreibt Stögmüller auf Facebook. "Kurz stellt die eigenen Interessen über die eines ganzen Landes. Die #ÖVPKrise erschüttert Österreich. Kurz hat nichts verstanden, er ist nicht mehr amtsfähig", heißt es bei Tomaselli auf Twitter.

Ob der Grüne Klub im Falle eines Misstrauensvotums geschlossen abstimmen würde, ist nicht fix. Im Klubstatut ist laut einem Grünen-Mandatar nämlich explizit festgeschrieben, dass es in den Klubbesprechungen und -vorbereitungen keine Absprachen zum Abstimmungsverhalten gibt. Derzeit schaut es aber eben ohnehin danach aus, dass sich die Grünen darin einig sind, Kurz das Misstrauen auszusprechen, sollte er nicht vorher von sich aus gehen.

So haben am späten Freitagabend nach APA-Informationen auch die Grünen Länderspitzen getagt. Dort soll Geschlossenheit geherrscht haben, die Landesparteichefs sicherten Kogler und Maurer freie Hand zu, erfuhr die APA aus mehreren Ländern. Kogler soll in der Sitzung für seinen derzeitigen Kurs Applaus geerntet haben. So sind sich zwar alle einig, dass Kurz weg muss, unterschiedliche Ansichten dürfte es aber noch darüber geben, wie es danach weitergehen soll. Die Festlegung von FPÖ-Chef Herbert Kickl, dass es ohne die Freiheitlichen nicht gehen wird, dürfte übrigens innerhalb kein allzu großes Hindernis sein. Eine Zusammenarbeit mit dem Gottseibeiuns der Grünen könnte man öffentlich etwa damit argumentieren, dass man in schwierigen Zeiten über die Parteigrenzen hinweg Verantwortung für das Land übernehme, hieß es hinter vorgehaltener Hand.

Wie es nun am Wochenende tatsächlich weitergeht, ist unklar. Von der Grünen Spitze war vorerst kein Auftritt angekündigt. Das Kanzleramt war für die APA nicht erreichbar. Im Hintergrund Alternativen zu Kurz an der Parteispitze zu finden, dürfte ziemlich unmöglich sein, solange dieser selbst nicht bereit ist, aufzugeben, meinte ein Vertreter der "schwarzen" ÖVP gegenüber der APA.