Heute tagen erneut das Parteipräsidium und danach der Vorstand der SPÖ. Die Chefin, Pamela Rendi-Wagner, soll als Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl aus der Taufe gehoben werden. Trotz aller innerparteilichen Bedenken, ob sie den Turbo-Wahlkampf im Angesicht einer mehr als gut geölten türkisen Wahlkampfmaschine stemmt.

Die SPÖ hatte die Angst vor der Entscheidung, die Regierung aus dem Amt zu entfernen, Sonntagabend überwunden. Trotz des Debakels bei der Wahl fasste sich das Parteipräsidium ein Herz. Gestern Früh, bei der Klubsitzung, war die Frage, ob man Sebastian Kurz tatsächlich das Vertrauen versagen, die Speere der Bevölkerung damit auf sich ziehen solle, Geschichte. So wie Stunden später die Ära des türkis-blauen Kanzlers.

Es war, als hätte die SPÖ eine Befreiung erlebt: All die taktischen Überlegungen, all das Zögern, das in den Tagen zuvor das Handeln der Partei und ihrer Vorsitzenden lähmte, schien vorbei. Pamela Rendi-Wagner legte nach langer Zeit wieder einen guten Auftritt hin. „Es ist ein schamloser, zügelloser, verantwortungsloser Griff nach der Macht, den wir hier sehen“, attackierte sie Kurz im Parlament. Aber: „Alle Macht geht vom Volke aus, und von den Menschen, nicht von Ihnen!“

Kurz habe sich mit einem geschickten Schachzug der FPÖ entledigt, um sich handstreichartig über Nacht eine Alleinregierung zu besorgen. Ohne Mehrheit im Parlament. Das ist die neue Erzählung der Roten. Immerhin hat man eine. Dafür nimmt man offenbar alle damit verbundenen Risiken in Kauf.

Selbstlähmung der SPÖ

Es ist ein Risiko, am Tag nach einem Erdrutschsieg für Sebastian Kurz’ ÖVP, und im Angesicht einer Medienlandschaft, die angesichts der neuen Lage mehrheitlich mit Unverständnis reagiert. Aber es ist auch die Befreiung aus einer Knebelung, die in den vergangenen Monaten zusehends zur Selbstlähmung der SPÖ geführt hatte.

Pamela Rendi-Wagner war mit Vorschusslorbeeren ins Amt gestartet, nachdem Vorgänger Christian Kern im Herbst 2017 abrupt verloren gegangen war. Die stilsichere, eloquente Beamtin aus dem Gesundheitsministerium, erste Frau im Amt der Parteivorsitzenden, sollte der SPÖ ein neues Gesicht geben, der traditionsbewussten „Arbeiter“-Partei, der zunehmend die Arbeiter abhandenkamen, einen neuen Stempel aufdrücken.

Dem "Projekt Pam" fehlte die Bühne

Das „Projekt Pam“ blieb im Ansatz stecken. Es fehlte die Bühne, es fehlte die Relevanz – die größte Oppositionspartei des Landes wurde von der türkis-blauen Regierung ausgespielt und an den Rand gedrückt.
Erschreckend der Auftritt bei Armin Wolf am Wahlabend: Eine unsichere Frau, die ins Kichern abglitt, mit grauen Funktionärsgesichtern im Hintergrund. Deutlicher hätte man den Unterschied zwischen der stylischer türkiser PR-Maschinerie und SPÖ-Kommunikation nicht zeichnen können.

Anlauf zu neuer Vielstimmigkeit

Das soll jetzt anders werden. Dass es mit Rendi-Wagner allein nicht klappt, ist den Granden der Partei inzwischen bewusst, ein Wechsel scheint wenig sinnvoll, schon allein mangels Alternative. Man versucht es mit einem Anlauf zur Vielstimmigkeit. An der Seite Rendi-Wagners hat sich der Steirer Jörg Leichtfried zur Speerspitze entwickelt, er führte auch gestern – neben der Chefin – das große Wort. Den starken Gewerkschaftern soll eine Rolle zukommen, aber es werden auch neue Gesichter gesucht. Parteigeschäftsführer Thomas Drozda wird im Sinne der Einheit nicht infrage gestellt, aber, so heißt es mit mahnendem Unterton: „Er kann jede Hilfe brauchen.“

Neue Berater für Rendi-Wagner

Der Beraterkreis der SPÖ-Chefin soll sich erweitern, die Länder wollen ein gewichtiges Wort mitreden. Während der Steirer Michael Schickhofer sich zurückzieht und Leichtfried den Vortritt lässt, um die fragile ÖVP-SPÖ-Koalition im Land nicht zu gefährden, bringt sich der Kärntner SPÖ-Chef Peter Kaiser vernehmlich ein. „Das Zögern und Zaudern ist weg. Wichtig wird künftig ein besseres Abstimmen zwischen Ländern und Bund. Einschätzungen der Landesorganisationen müssen in die Wahlbewegung eingebunden werden. Wir müssen das, was wir wollen, an die Menschen bringen.“

Die eine oder andere "Reparatur"

Die Aufregung werde sich bald legen, ist sich ein Mann der steirischen Basis, Baugewerkschafter Beppo Muchitsch, gewiss. „Es ist keine Staats-, sondern nur eine Regierungskrise.“ Das Parlament werde ganz normal den Sommer über arbeiten. Und Muchitsch macht neugierig: Es könnte zur einen oder anderen „Reparatur“ des bisherigen Regierungskurses kommen – „Reparaturen, die den Steuerzahler nichts kosten“.

Abschied von DNA der SPÖ?

Am Anfang steht die Analyse. Von einem „Scheiß-Ergebnis“ hatte der Tiroler Parteichef Georg Dornauer am Wahlabend gesprochen. Zu denken geben der SPÖ Details: 48 Prozent der über 60-Jährigen wählten ÖVP, andererseits gelang es der SPÖ, neben den Grünen, auch die Jugend zu erreichen, besser als VP und FP. Auch die Themen seien zu überdenken. Muchitsch: „Mit der Sozialkiste allein schaffen wir es nicht mehr, wir werden Themen brauchen, an die man sich, wenn man vom Stammtisch aufsteht, noch erinnert.“