In Deutschland wetteifern die beiden Ersten darum, wer den Kanzleranspruch stellen darf. Ist es wirklich klug, dass Armin Laschet so tut, als wäre er trotz der Verluste und Platz zwei der „natürliche Kanzler“?

GERO NEUGEBAUER: Er steht damit auf alle Fälle als schlechter Verlierer da – handelt jedoch wider besseres Wissen. Laschet hat nach Zahlen und nach moralischen Kriterien verloren, selbst wenn er Recht hat, dass auch der Verlierer einen Versuch starten darf, eine Koalition zu bilden. So zu tun, als ob der Verlierer ein ehrenvoller Zweiter und der Sieger nur „Vorletzter“ sei, ist angesichts der hohen Verluste der Union gegenüber 2017 fragwürdig.

Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass der Kanzler am Ende noch Armin Laschet heißen wird?

Meines Erachtens unwahrscheinlich, denn es beginnt in der Union bereits eine Auseinandersetzung über seine Legitimation, eine Regierung anführen zu wollen – nach diesem Stimmenverlust, der auf eine geringe Wertschätzung für den Kandidaten sowohl als Wahlkämpfer als auch als potenzieller Kanzler zurückgeführt wird. Wenn, dann käme eher eine Ablösung als CDU-Vorsitzender infrage.


Aber wird Olaf Scholz angesichts der inhaltlichen Unterschiede seiner möglichen Partner eine Koalition zustande bringen?

Es kommt darauf an, wie weit sich Grüne und FDP einig sind, gemeinsam und nicht gegeneinander in einer Regierung zu agieren. Werden sie sich darin einig, dann ist es faktisch egal, wer unter ihnen Kanzler ist; dann kommt es darauf an, was ihnen geboten wird, ohne dass der Bieter sein Gesicht und seine Glaubwürdigkeit verliert; zugleich muss der Bieter allerdings als Kanzler auch die Politik der eigenen Partei nachhaltig in die Regierungsarbeit einbringen.

Wird das nicht doch alles wieder in einer GroKo enden?

Nein, wohl kaum. Dagegen spricht die Stimmung in der SPD und auch politische Differenzen in Fragen der Modernisierung der Politik, den Vorstellungen über soziale Gerechtigkeit und in der Steuerpolitik.

Wie lässt sich der Absturz der Union nach 16 Jahren Merkel erklären?

Da gibt es eine ganze Reihe an Faktoren: Abnutzungserscheinungen nach 16 Jahren Regierungsarbeit mit nachlassender Effizienz – Stichwort: Pandemiebekämpfung. Die Streitigkeiten in der CDU über ihr Führungspersonal; Skandale unter Beteiligung von Unionsabgeordneten; mangelhafte Geschlossenheit zwischen CDU und CSU – Stichwort: Söder. Dazu Schwächen und Fehler im Wahlkampf.



Die Grünen haben einen mäßigen Erfolg eingefahren - trotz der Unwetter-Katastrophe diesen Sommer. Kann das wirklich nur an dem geschönten Lebenslauf von Frau Baerbock liegen?

Nein, der Fauxpas mit dem Lebenslauf war für Leute relevant, die ohnehin nicht Grün wählen wollten. Relevanter war vielleicht ihre geringe Kompetenzzuschreibung als Kanzlerin. Ein wichtiger Faktor war, dass die an sich herausragende Bedeutung des Politikfelds Klimapolitik bei den Bürgern für ihre Wahlentscheidung dennoch nur geringeren Stellenwert hinter anderen Fragen hatte, etwa sozialpolitischen.

Hat Markus Söder eines Tages noch eine Chance in Berlin?

Wenn Söder in zwei Jahren überzeugend die Landtagswahl gewinnt, wird er sich bestimmt wieder melden. Das jährliche lokale Oktoberfest hier kann er eröffnen, aber nichts genaues weiß man nicht, denn für den Bundespräsidenten ist er noch zu jung, und als Cola-Light-Trinker wird er misstrauisch beäugt.