Afghanistan war der „gute Krieg“, den es zu gewinnen galt. Zumindest war so die Stimmung in Washington DC im Jahre 2008. Meine Kollegen und ich, so wie auch Zehntausende andere, die im nationalen Sicherheitssektor in den USA arbeiteten, waren in jenen Tagen auf der Suche nach dem Heiligen Gral, wie man den Krieg in Afghanistan gewinnen würde. Augenscheinlich um Afghanistan zu helfen, aber auch um die eigenen Karriere zu fördern. Paschtu-Sprachkurse waren damals in Washington en vogue. Abkommandierung oder Job in Afghanistan galten in den späten Nullerjahren als ein Muss für schnellere Beförderung.


Ich arbeitete damals für ein vom amerikanischen Kongress finanziertes Projekt, um amerikanische Militäroperationen zu reformieren. Monate lang ging ich einer relativ obskuren Frage nach: Was soll die genaue Kompetenz eines Botschafters während einer Aufstandsbekämpfungs-Kampagne sein und ab wann hat er sich dem militärischen Oberkommandierenden im Land unterzuordnen? Unsere Arbeit ging direkt zu Barack Obamas Nationalen Sicherheitsberater Jim Jones. Die meisten der Reformvorschläge wurden ignoriert. Das eigentliche Problem, wie man eine nachhaltige politische Lösung in Afghanistan forcieren könnte, darum kümmerten wir uns nicht.

Zeit in Kabul


Einige Monate später nach einem Jobwechsel fand ich mich im Serena Hotel in Kabul in einem luftgekühlten Konferenzraum wieder. Ein paar Stühle weiter von mir saß der ehemalige Taliban-Botschafter Mullah Zaeef, der einige Jahre im berüchtigten Guantánamo-Lager der Amerikaner inhaftiert war. Andere Anwesenden waren afghanische und pakistanische Politiker, Paschtun-Stammesführer, afghanische und pakistanische Nachrichtendienstler – unter anderem der Ex-Chef des pakistanischen Militär-Nachrichtendienstes Isis sowie einige internationale Diplomaten.

Das Thema dieser Besprechung – Teil eines jahrelangen diskreten diplomatischen Prozesses – war, wie man die nationale Versöhnung mit den Taliban vorantreiben konnte. Die Diskussion war hitzig. Es gab gegenseitige Schuldzuweisungen. So stellte sich heraus, dass ein Stammesführer den pakistanischen Nachrichtendienstler für die Ermordung seines Vaters verantwortlich machte. Dennoch war ein gewisser Optimismus zu spüren, dass man eine politische Lösung vielleicht doch schaffen könnte.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden wir nach eines dieser Treffen im Fahrzeugkonvoi zu einem stark bewachten Komplex innerhalb Kabuls geleitet. Als wir uns nach mehreren Checkpoints und Metalldetektoren in einem großzügigen Warteraum wiederfanden, hatten mein Kollege aus Kanada und ich keine Ahnung, wo wir waren. „Ihr seid im Präsidentenpalast“, hörte ich eine Stimme auf Englisch sagen und erblickte in einer der Ecken einen US-Offizier. Fünf Minuten später marschierte an uns Hamid Karzai, Ex-Präsident Afghanistans, vorbei, mit dem General David Petraeus im Schlepptau. Mein einstiger Chef erstattete den beiden Bericht über unsere Besprechungen und ermutigte alle in ihren Anstrengungen. Der diplomatische Prozess verlief im Sand.

An der Front

Dann kam meine Zeit an der „Front“, die es ja in einem Guerillakrieg nicht wirklich gibt. Meine ganzen Erfahrungen hier zu schildern, würde wohl den Rahmen dieses Artikels sprengen. Nur ist so viel zu sagen: Nach jedem Einsatz machte sich bei mir große Ernüchterung breit, dennoch gehörte ich zu jenen, die glaubten, dass sich in Zukunft eine gewisse Pattsituation einpendeln würde. Da gab es den Moment, in dem ich mit einem Zug afghanischer Soldaten unterwegs war und der Zugskommandant weder die Karte richtig lesen konnte noch den örtlichen Dialekt verstand. Als wir durch ein Dorf patrouillierten, konfiszierte er ein Motorrad und machte eine „Vergnügungstour“.


Luftunterstützung und keine mobilen Reserven: In jeder internen militärischen Analyse schrieb ich fast darüber. Einmal saß ich im Isaf-Hauptquartier in Kabul in einer Besprechung mit einem amerikanischen Generalmajor, der mir über die Erfolge der Regierungstruppen berichtete. Ich war zuvor eben von einer Operation mit afghanischen Streitkräften nahe Dschalalabad zurückgekommen und war frustriert über den fehlenden Angriffsgeist der Truppen dort. Vor allem machten mir aber die fehlenden mobilen Reserven Sorgen. Viele Offiziere lebten in einer Traumwelt von Powerpoints und Shuras mit lokalen Eliten. Den Krieg selbst kämpften junge Soldaten und Offiziere. Ab dem Rang Major war aber selten ein Offizier bei Operationen dabei. Trotz meiner Skepsis glaubte ich nicht, dass der Krieg unvermeidlich verloren gehen würde. Und das, obwohl seit dem Jahr 2001 fast 60.000 Regierungssoldaten fielen.

Die afghanischen Streitkräfte sind letztendlich von der politischen Elite Kabuls verraten worden, so die Meinung vieler Regierungssoldaten. Und die Politiker wiederum glauben, dass der Westen sie verriet. Beide haben recht. Ich persönlich empfinde wegen der Niederlage Scham. Scham darüber, ein winzig kleiner Teil dieses misslungenen Experiments gewesen zu sein. Scham über die eigenen blinden Flecken. Afghanistan war auch mein Krieg. Über Jahre hinweg konnte ich gut bestimmen, wann mein Krieg anfing und ein Ende hat. Ein einfaches Flugticket genügte. Das konnte der große Teil Bevölkerung nie. Ein Krieg, den ich gesehen, erlebt, aber trotz des unglaublichen Leidens im Land nie wirklich spürte. Das ist vielleicht meine größte Scham.