Im Sommer 2021 sind wir zurück in der Normalität, das Coronavirus schwächt sich ab: Diese hoffnungsvollen Aussichten präsentierte Kanzler Sebastian Kurz heute. Nicht alle Mediziner und Forscher würden sich so viel Optimismus und Weitblick zutrauen, wie ein Rundruf der Kleinen Zeitung zeigt.

„Wenn uns Covid-19 eines gelehrt hat, dann dass wir nur von einer Woche zur nächsten schauen können“, sagt Robert Krause, Infektionsspezialist an der Med Uni Graz. Ein so weiter Blick in die Zukunft sei schwierig: "Auf Grundlage der Daten, die wir heute haben, würde ich es nicht wagen, so weit in die Zukunft zu schauen", sagt Krause. Die Erkenntnisse zum Virus verändern sich praktisch täglich - ein Beispiel sind für Krause die Reinfektionen, die diese Woche auftauchten und die zeigen: Eine zweite Infektion mit dem Virus ist möglich.

Auch die derzeitige Entwicklung - gestiegene Infektionszahlen, die nicht zu mehr Patienten im Krankenhaus führen - müsse man genau betrachten: "Es scheint, dass junge Menschen, die jetzt den Großteil der Infizierten ausmachen, tatsächlich nicht schwer erkranken", sagt Krause. Im Frühjahr waren viele ältere und vorerkrankte Menschen unter den Infizierten - gleichzeitig müsse man bedenken, dass im Frühjahr auch viel weniger getestet wurde und man vielleicht nur jene erfasste, die schwere Symptome entwickelten. Das könnte nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein. "Und auch jetzt könne es passieren, dass die jungen Leute wieder die Alten in den Familien anstecken", sagt Krause - viele Variablen für eine Prognose.

"Pessimistischere Prognose"

„Müsste ich eine Prognose abgeben, wäre ich vorsichtiger und auch pessimistischer“, sagt Gerald Gartlehner, Experte für evidenzbasierte Medizin an der Uni Krems. Denn: Jene Impfstoffstudien, die sich in der finalen dritten Phase befinden, sind allesamt noch bis Sommer 2021 anberaumt, um belegen zu können, dass die Impfung wirkt und sicher ist. Dann muss der Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. „Das wird sich nicht ausgehen, das Coronavirus wird nach dem Winter nicht weg sein“, so Gartlehners Einschätzung.

„Wir können optimistisch sein, dass im Laufe des nächsten Jahres ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird, was zu einer Entspannung der Situation führen wird“, kommentiert Markus Müller, Rektor der Med Uni Wien. Ob damit die alte Normalität einkehrt, sei eine andere Frage – und was im Sommer 2021 sein werde, könne niemand mit Sicherheit beantworten. Fakt sei jedenfalls: Das Coronavirus werde nicht mehr verschwinden und eine „Normalität“ sei unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten.

Und was steckt hinter einer potenziellen Abschwächung des Virus? „Bis dato sehen wir in Europa keine Anzeichen dafür, dass sich das Virus durch Mutationen abschwächt“, kommentiert Andreas Bergthaler, der das Projekt Mutationsdynamik von SARS-CoV-2 leitet. Zwar wurden schon einzelne Fälle von Virusvarianten beobachtet, die Basen in ihrem Genom verloren hatten - für Europa scheint das im Moment aber keine Rolle zu spielen. Prinzipiell sei es gut möglich, dass das Virus schwächer werde, um besser mit dem Mensch - seinem Wirt - zu koexistieren. Ob und wann das passiert, sei aber offen.