Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Sommerpause am Freitag erklärt, „Licht am Ende des Tunnels“ zu sehen. Aus heutiger Sicht sei „sehr wahrscheinlich, dass wir bereits nächsten Sommer zu unserer gewohnten Normalität zurückkehren werden können“, so Kurz mit Bezug auf Gespräche mit Experten, die er die vergangenen Monate über geführt hätte.

Bis dahin stehe Österreich ein weiterer Durchgang an Einschränkungen bevor, wenn die kalte Jahreszeit eine Verlagerung in die Innenräume und damit wohl auch mehr Ansteckungen bedinge: „Es werden Wellenbewegungen sein, mit Erfolgen und Rückschlägen, mit Verschärfungen und Lockerungen.“ Kurz verspricht dabei, nach dem Grundsatz „So viel Freiheit wie möglich, so viele Einschränkungen wie notwendig“ vorzugehen.

Schon kommende Woche am Mittwoch wird der Ministerrat über neue Maßnahmen diskutieren.

"Nächstes Jahr wieder Wachstum"

Wirtschaftlich verspricht Kurz, „nächstes Jahr wird das Wachstum zurückkehren“. Dazu sollen in den nächsten Monaten längst angekündigte Punkte aus dem Regierungsprogramm umgesetzt werden, darunter:

  • Eine neue Körperschaftsform, die "Austrian Limited", soll rasch und unbürokratisch zu gründen sein, die Beteiligung von Mitarbeitern soll einfacher werden 
  • Steuerliche Anreize für die Finanzierung von innovativen KMUs und Start-Up
  • Maßnahmen zur Stärkung des Eigenkapitals
  • Anreize zur ökologischen Transformation

Um in den nächsten Jahren viele der neuen Arbeitslosen zu vermitteln, soll eine "Arbeitsstiftung" bei der Umschulung in den Sektoren Pflege und Digitalisierung helfen - Kurz beziffert den Bedarf in diesen Bereichen bei zusätzlichen 90.000 Stellen in den nächsten zehn Jahren.

Wie bereits berichtet will die Regierung gemeinsam mit den Sozialpartnern neue Regeln für Home Office-Arbeit erarbeiten.

Als exportorientiertes Land sei Österreich Profiteur der international vernetzten Wirtschaft, so Kurz. Gleichzeitig gebe es aber Bereiche in denen es möglich und wünschenswert sei, österreichische Produkte zu kaufen und regional zu konsumieren. "Zum Beispiel bei Lebensmitteln können wir einfach und leicht auf regionale, österreichische Produkte setzen. Das ist gesund, schützt das Klima, ist gut für die Landwirtschaft und gibt Sicherheit in Zeiten der Krise. Die öffentliche Hand wird hier mit gutem Beispiel vorangehen und künftig in öffentlichen Kantinen, wann immer möglich, regional einkaufen", so der Kanzler.

Digitalriesen sollen mehr Steuern zahlen

Lob gab es für den EU-750-Milliarden-Wiederaufbaufonds, dem Kurz im Vorfeld kritisch gegenübergestanden war: Der sei eine "große Chance, aber nur wenn die Mittel entsprechend investiert werden. Wir werden hier gemeinsam mit anderen Staaten auf europäischer Ebene initiativ sein, dass auch genau darauf geachtet wird, dass die Mittel  zielgerichtet investiert werden".

Ebenfalls auf EU-Ebene will sich Kurz dafür einsetzen, dass US- und asiatische Technologieunternehmen mehr Steuern zahlen: Diese seien Gewinner der Krise und sollten ihren Teil beitragen.

Mehr Personal soll es für "Brennpunktschulen geben", sagt Kurz: Nachdem rund sieben Prozent der Schüler im Zuge des Lockdowns unerreichbar waren, soll es zusätzliches administratives und psychosoziales Personal geben.

"Pakt gegen Einsamkeit im Alter"

Auf dem Programm für die kommenden Monate steht auch ein "Pakt gegen Einsamkeit im Alter". „Jeder Mensch in Österreich hat es sich verdient, in Würde zu altern", so der Kanzler in einer am Donnerstag verteilten Aussendung. Dazu gehöre auch auch, "dass man sich nicht alleine fühlt und die eigene Familie sowie Freunde regelmäßig sehen kann. Wir wollen daher mit einem Pakt gegen Einsamkeit im Alter ein sicheres Umfeld schaffen, um auch im Herbst und Winter Besuche und Kontakt in Altersheimen oder Krankenhäusern weiterhin zu ermöglichen.“

Besuchsverbote in Altersheimen oder Krankenhäusern hätten die Einsamkeit alter Menschen im Frühjahr verstärkt. Die Bundesregierung werde daher gemeinsam mit den Ländern "einen Pakt ausarbeiten, wie wir Alterseinsamkeit effektiv bekämpfen und auch vorbeugen können. Im Zuge dessen arbeiten wir an der Schaffung eines sicheren Umfeldes für Pflegeheime und Krankenhäuser, um auch weiterhin bei möglicherweise wieder steigenden Infektionszahlen im Herbst und Winter Besuche und Kontakt zu ermöglichen", so Kurz. Es werde einen runden Tisch mit den betroffenen Organisationen und der Zivilgesellschaft geben.

Austauschprogramme mit anderen kleinen Staaten

Dann kündigt Kurz noch ein neues "Krisensicherheitsgesetz" an: Dieses soll "eine moderne Grundlage für abgestimmtes Handeln einzelner Behörden" sein, aber auch "unbürokratische Beschaffungsvorgänge ermöglichen, damit wir für die nächste Herausforderung gerüstet sind – ganz gleich ob es sich um eine Pandemie, einen Terroranschlag oder einen Cyberangriff handelt", verspricht Kurz.

Intensiveren Austausch will die Regierung künftig mit anderen kleineren und mittleren Staaten pflegen - eine Lehre aus dem stetigen Informationsaustausch während der Pandemie. Unter anderen mit Australien, Äthiopien, Costa Rica, Israel, Norwegen, den VAE, der Schweiz, Südkorea und Uruguay will Kurz "strategische Partnerschaftsabkommen" schließen, die wirtschaftliche und  wissenschaftliche Kooperation sowie Jugend-Austauschprogramme umfassen sollen.

Zuletzt will Kurz der Politik angesichts der Geschwindigkeit der Entscheidungen der vergangenen Monate Zeit zur Reflexion einräumen: In einem "Philosophicum" mit Konrad Paul Liessmann und anderen "führenden Wissenschaftlern" soll es dafür ein neues Format geben.

FPÖ sieht Flop, SPÖ nur PR-Getöse

Die Bilanz der Opposition nach der Kanzler-Rede fiel gedämpft aus. Die FPÖ sprach von einem "reinen Flop", die SPÖ kritisierte den türkisen "Ego-Trip" und bezeichnete den Kurz-Auftritt als "PR-Getöse". Die NEOS fanden in der Rede viele Schlagworte, aber wenig Substanz.

FPÖ-Chef Norbert Hofer wertete die Erklärung von Kurz am Freitag als Flop, sie sei nichts gewesen als eine Aneinanderreihung inhaltsloser Floskeln. Zugleich holte Hofer per Aussendung zum Rundumschlag gegen die gesamte Regierungsmannschaft aus. "Diese Regierung hat alles, was unsere Eltern und Großeltern nach dem Krieg aufgebaut haben, in wenigen Monaten ruiniert", kritisierte der freiheitliche Bundesparteiobmann die bisherigen Corona-Maßnahmen. "Die Verantwortung dafür tragen ein als Minister agierender Volksschullehrer und ein Bundeskanzler, der nicht bereit ist, selbigen Chaosminister abzulösen. Die übrigen Angehörigen der Bundesregierung sind Politiker ohne Eigenschaften und weitgehend unsichtbar - und was Werner Kogler betrifft, überlegt sich die FPÖ bereits die Einbringung einer Vermisstenanzeige."

Besonders verärgert zeigte sich der FPÖ-Obmann über die zynische Ankündigung, einen Pakt gegen Alterseinsamkeit installieren zu wollen. "Denn es waren Kurz und Anschober, die mit ihren verfassungswidrigen Verordnungen das Ziel verfolgt haben, ältere Menschen in deren Wohnungen zu isolieren", kritisierte er.

Die SPÖ hatte Kanzler Kurz bereits im Vorfeld der Rede attackiert - und die Kritik riss auch am Freitag nicht ab. Für Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch war die Erklärung "ein von viel PR-Getöse begleiteter Ego-Trip von Kurz und, was viel schlimmer ist, eine inhaltliche Nullnummer ohne konkrete Lösungen", teilte er mit. "Statt endlich echte Lösungen zur Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu liefern, hat Kurz wieder nur die üblichen leeren Versprechen und Ankündigungen von sich gegeben", kritisierte Deutsch.

In dieselbe Kerbe schlug SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. "Keinen konkreten Plan gab es vom Kanzler, nur viele Ankündigungen und blumige Worte", bemängelte er. Dabei bräuchte es in der Krise dringend "konkrete Lösungen und Konzepte" sowohl für Betriebe als auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Aus Sicht der NEOS blieb Kurz viele Antworten schuldig. "Viele Ankündigungen, viele Schlagworte, wenig Substanz", kommentierte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger den Auftritt. "Eine Perspektive, wie es jetzt unmittelbar weitergehen soll, konnte Kurz nicht geben", kritisierte sie - weder für Unternehmer noch für Schulen noch für Menschen am Arbeitsmarkt.

Kritik von AK und ÖGB

Arbeiterkammer und Gewerkschaftbund äußerten ebenfalls Kritik, ihnen fehlen vor allem Maßnahmen für die Arbeitslosen.

AK-Präsidentin Renate Anderl hat vor allem "ein Eingehen auf die Lehrlingsproblematik und die Arbeitslosen, die darf man nicht vergessen", gefehlt. "Das war sicher zu wenig konkret", sagte Anderl im Gespräch mit der APA. Kurz habe zwar angedeutet, in der Pflege und durch die Digitalisierung neue Jobs schaffen zu wollen, "aber gerade in der Pflege muss die Arbeit auch attraktiver werden", sagte Anderl. "Der Druck auf die Einzelnen ist riesig. Wir brauchen gute Jobs mit gutem Einkommen." Anderl bekräftigte auch den Ruf nach einer Aufstockung des AMS-Personals, um Arbeitslose besser zu vermitteln. "Auch unsere Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes bleibt."

Gerne nehme die AK als einer der Sozialpartner "den Ball auf, neue Regeln fürs Home-Office zu finden. Wir werden uns rasch zusammensetzen", so Anderl. "Klar ist, dass die Heimarbeit für beide Seiten - Beschäftigte und Betriebe - freiwillig sein muss." Noch seien Fragen im Arbeitsrecht und versicherungstechnischer Natur offen. "Sollte jemand an der 11-Stunden-Nachtruhe sägen, dann kommt von uns auf jeden Fall ein Nein", so die AK-Präsidentin.

Unzufrieden mit den Ausführungen von Kanzler Kurz zeigte sich auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, der vor allem Hilfe für Arbeitnehmer und Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, vermisste. "Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss die oberste Priorität haben. Die geplante Arbeitsstiftung ist zwar schön und gut, dass aber darüber hinaus offenbar keine Maßnahmen geplant sind, ist enttäuschend", kritisierte Katzian per Aussendung. "Qualifizierungsprogramme für Ältere fehlen völlig und auch für Lehrlinge sind scheinbar überhaupt keine Maßnahmen geplant", zeigte er sich enttäuscht.

Lob von WKÖ, IV und Bauern

Die Wirtschaftskammer-Spitze lobte Kurz hingegen dafür, dass er "zum richtigen Zeitpunkt eine nachhaltige Standortstrategie mit wichtigen Impulsen für aktive rot-weiß-rote Ansiedelungspolitik" forciere. "Jetzt heißt es: Stärken und Mut machen. Damit wir sowohl die Gesundheits-, wie auch die Wirtschaftskrise überwinden können. Jobs entstehen nur, wenn wir vorausdenken und Investitionen in Zukunftsbranchen ermöglichen", teilte WKÖ-Präsident Harald Mahrer per Aussendung mit.

"Wir müssen die Lehren aus der Krise zu ziehen, den Standort weiter stärken und uns im internationalen Wettbewerb noch aktiver positionieren", bekräftigte auch Generalsekretär Karlheinz Kopf. Um Menschen in Beschäftigung zu bringen und eine solche nachhaltig zu ermöglichen, brauche es "frische Impulse", sagte er und ergänzte: "Gezielte Entlastung, die konsequente Umsetzung konjunkturstützender Maßnahmen und die Gewährung von Investitionsanreizen sind für unsere Betriebe essenziell."

Ähnlich positive Rückmeldungen kamen von der Industriellenvereinigung. "Die heutigen Ausführungen geben Anlass für Zuversicht und klare Perspektiven, wie sie Menschen und Wirtschaftsstandort in diesen schwierigen Zeiten brauchen", sagte IV-Präsident Georg Knill in einer Aussendung. Die Industrie sei zwar massiv von der Coronakrise getroffen worden, so Knill. "Aber die diversen Prognosen lassen bereits erste Anzeichen einer Erholung in absehbarer Zeit erkennen." Nun müsse es darum gehen, für ein nachhaltiges Wachstum und damit für neue, sichere Arbeitsplätze zu sorgen. Ein wichtiges Signal sei daher die Ankündigung, dass standortstärkende Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm vorgezogen werden sollen, sagte der IV-Präsident.

Der ÖVP-Bauernbund begrüßte am Freitag vor allem den Vorstoß von Kanzler Kurz für mehr regionale Lebensmittelproduktion. "Jetzt gilt es, die angekündigte Regionalisierung auf allen Ebenen konsequent mit Leben zu erfüllen", sagte Bauernbund-Präsident Georg Strasser in einer Mitteilung.

Caritas, Hilfswerk, Seniorenbund begrüßen Vorstoß

Die Ankündigung der Regierung, mit Blick auf die Coronakrise Maßnahmen zur Bekämpfung der Alterseinsamkeit zu ergreifen, hat bei Caritas, Hilfswerk und dem ÖVP-Seniorenbund ein positives Echo hervorgerufen. Alle drei Organisationen begrüßten den am Freitag in der Rede von Kanzler Sebastian Kurz erwähnten "Pakt gegen die Einsamkeit".

Dass sich die Regierung dieses Themas annehme, sei "wichtig und erfreulich", teilte Caritas-Präsident Michael Landau mit. Allerdings sei das Thema zu wichtig, um parteipolitisch vereinnahmt zu werden, stellte er klar und schlug vor, zumindest mittelfristig einen Regierungsbeauftragten gegen Einsamkeit einzusetzen.

Ein Maßnahmenpaket zur Eindämmung der Einsamkeit sei bereits seit längerer Zeit, schon vor der Coronakrise, eine von der katholischen Kirche erhobene Forderung, erinnerte die Caritas am Freitag. Die Einsamkeit sei eine "Zivilisationskrankheit in westlichen Gesellschaften", die Alte und Junge gleichermaßen betreffe und durch Covid-19 "massiv verschärft" worden sei, so Landau.

Auch das Hilfswerk betonte, dass Einsamkeit kein durch die Krise entstandenes, aber sehr wohl ein durch die Krise verschärftes Problem ist. Die Hilfsorganisation freute sich daher, "dass die Bundesregierung das Thema nun aktiv aufnehme", wie in einer Aussendung mitgeteilt wurde. Nicht nur in den stationären Einrichtungen wie Spitälern und Pflegeheimen zeige sich die besondere Herausforderung, die durch die Maßnahmen zur Infektionsabwehr entstanden seien, auch in der häuslichen Pflege sei man damit konfrontiert, meinte Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreich. Er verwies auf pflegende Angehörige, die gerade jetzt Unterstützung bräuchten. Erfahrungen aus der Praxis werde man jedenfalls gerne beim geplanten "Runden Tisch" zu dem Thema einbringen, sagte Karas.

Begrüßt wurde die Ankündigung der Regierung auch vom ÖVP-Seniorenbund. Präsidentin Ingrid Korosec versprach per Aussendung, sich beim Runden Tisch "intensiv" einzubringen.