"Wir dürfen die Achtung vor dem Virus nicht verlieren": Das sagte Coronavirus-Spezialist Christian Drosten bei der heutigen  Pressekonferenz von Gesundheitsminister Rudolf Anschober, zu der er aus Berlin zugeschaltet war.

Was gerade in China passiere, wo Peking nach einem Anstieg der Fallzahlen wieder drastische Maßnahmen gegen das Virus setzt, sei keine zweite Welle, sondern ein kleiner Ausbruch. "Was wir in allen Bevölkerungen weltweit sehen, ist die erste Welle, die entweder durch Maßnahmen unterbrochen wurde oder auch gar nicht berührt wurde, da zu wenig unternommen wurde oder Maßnahmen zu wenig effizient umgesetzt wurden. Das sehen wir zum Beispiel in Brasilien oder Indien, etwas Ähnliches könnte auch in afrikanischen Ländern passieren: Dort könnte das Infektionsgeschehen weiterlaufen, bis eine Herdenimmunität erreicht ist - das sehe ich mit großer Sorge", sagt Drosten. Auch in den Südstaaten der USA sei die Lage sehr bedenklich: "Die Epidemie läuft auch dort einfach weiter, die Intensivstationen sind schon wieder voll."

Gibt es überhaupt einen Sommer-Effekt?

Die Entwicklung im Süden der USA spreche auch gegen einen großen Temperatur-Effekt, der die Pandemie einbremsen könnte und auf den ja viele im Sommer hoffen: "In den Südstaaten ist es schon sehr heiß und die Fallzahlen sind trotzdem hoch - es könnte sein, dass wir keinen Temperatur-Effekt beobachten, sondern einfach die Wirkung der erfolgreichen Maßnahmen hierzulande sehen." Auf dieser Basis erinnerte Drosten, dass man das Virus nicht vergessen dürfe, auch wenn die Infektionszahlen jetzt sehr niedrig sind.

"Bei all der Diagnostik und dem Testen sind wir immer ein Stück weit blind dafür, was in der Bevölkerung wirklich passiert", sagt Drosten - niemand könne ausschließen, dass wir uns gerade "in einer neuerlichen ansteigenden Flanke der Epidemie befinden". Was es unbedingt zu vermeiden gelte, sei wieder an einen Punkt zu kommen, an dem die Infektionszahlen exponentiell wachsen und notwendige Maßnahmen der Gesellschaft und der Wirtschaft schaden.

Welche Rolle spielen Schulen?

Ein großes Fragezeichen gibt es laut Drosten weiterhin rund um die Rolle von Schulen und Kindertagesstätten in der Ausbreitung des Virus: "Die Wahrheit ist: Wir wissen es einfach noch nicht genau." Laut Drosten seien die meisten Studien zur Rolle von Schulen gemacht worden, nachdem die Schulen bereits geschlossen waren: "Wir wissen nicht was passiert, wenn die Schulen wieder offen sind. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die Übertragung durch Kinder genauso sein könnte wie bei Erwachsenen", sagt Drosten. "Wir müssen auf Ausbrüche in Schulen vorbereitet sein."

Prinzipiell glaubt auch Virologe Drosten daran, dass in Österreich und Deutschland eine zweite Welle verhindert werden könnte - doch dafür müsse etwas getan werden. "Wenn wir nichts tun, wird uns das passieren, was wir jetzt in anderen Ländern beobachten."

Laut Minister Anschober sind weiterhin drei Maßnahmen essenziell, um eine neuerliches exponentielles Wachstum der Infektionen zu verhindern:

  • Contact-Tracing: Die Nachverfolgung von Infektionsketten und die Isolation von Betroffenen müsse noch schneller werden. Anschober hofft hier auch auf die "Stop Corona App" des Roten Kreuz.
  • Notbremse ziehen: "Wenn die Zahlen wieder stark ansteigen, sind wir jederzeit bereit, wieder die Notbremse zu ziehen", sagt Anschober. Das bedeute keinen zweiten Lockdown, aber Lockerungen wie zum Beispiel beim Mund-Nasen-Schutz könnten dann wieder zurückgenommen werden.
  • Die Mitarbeit der Bevölkerung: Abstand halten, Hygieneregeln beachten - "ohne diesen Beitrag jedes Einzelnen können wir nicht erfolgreich sein", sagt Anschober.