Etwa zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung leiden an der einen oder anderen Form von Diabetes mellitus – also Typ 1 oder Typ 2. Allerdings liegt nicht bei jeder bzw. jedem Betroffenen eine Diagnose vor, etwa 30 Prozent dürften zuckerkrank sein, ohne es zu wissen. „Bei vielen bleibt der Diabetes zu Beginn symptomlos“, weiß Harald Sourij von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie am LKH-Universitätsklinikum Graz. Einige andere würden die Symptome sehr lange als solche gar nicht wahrnehmen. „Wenn wir konkret nachfragen, dann stellt sich aber häufig heraus, dass die Symptome durchaus aufgetreten sind, diese die Menschen aber nicht als solche wahrgenommen hatten“, sagt der Experte anlässlich des Weltdiabetestages (14. November).

Doch auf welche Symptome ist zu achten, wann sollte man an Diabetes als Ursache denken? Vorrangig vermehrtes Durstgefühl sowie Harndrang. „Wenn ich Dinge nicht mehr lesen kann, die vor einigen Wochen noch gegangen sind – also plötzlich auftretende Sehstörungen –, sind das jedenfalls Symptome, die auf Diabetes hinweisen können.“ Fallen einem die genannten Symptome auf, sollte man diese bei der Hausärztin bzw. beim Hausarzt abklären lassen. In einem ersten Schritt wird der Nüchternzucker gemessen, zeigen die Laborwerte Auffälligkeiten, kann an eine Fachambulanz bzw. an Spezialisten weiterverwiesen werden. Wenn insbesondere im Kindes- und Jugendlichenalter neben obigen Symptomen auch Gewichtsverlust, Übelkeit sowie Bauchschmerzen auftreten, dann braucht es akut ärztliche Hilfe.

Frühe Diagnose

Etwa 90 Prozent der mehr als 800.000 Menschen, die in Österreich an Diabetes leiden, sind an Typ 2 erkrankt. Während es beim Typ 1 Diabetes aufgrund einer Störung des Immunsystems zu einer Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse und einem Ausfall der Insulinproduktion kommt, liegt bei Typ 2 vor allem eine verminderte Insulinwirkung vor. Und gerade bei Typ 2 geht es darum, die Erkrankung früh zu erkennen, Risikogruppen gut zu überwachen, um rasch und wirkungsvoll therapieren zu können.

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„Das höchste Risiko haben Menschen ab 45 Jahren, die unter Übergewicht bzw. Adipositas leiden bzw. jene, die genetisch vorbelastet sind. Hier sollte unbedingt der Blutzuckerhaushalt überwacht werden“, sagt der Diabetes-Experte. Aussagekräftiger als die Nüchternblutzuckermessung ist jene des Langzeitwertes HbA1c, der nicht nur eine Momentaufnahme ist, sondern den Durchschnittsblutzucker der letzten Wochen widerspiegelt.

Wechseljahre erhöhen das Diabetes-Risiko

Apropos Alter: Mit den Wechseljahren steigt bei Frauen das Risiko für Typ-2-Diabetes. Denn die Umstellung des Hormonsystems kann zu einer Gewichtszunahme und einer Insulinresistenz führen. Die Hormonschwankungen, die vor allem in der Perimenopause auftreten, also in der Zeit vor der letzten Regelblutung, beeinflussen auch den Blutzucker. Hinzu kommt: Der Verlust des hormonellen Herzschutzes, insbesondere durch das weibliche Geschlechtshormon Östrogen, steigert das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.

Steht die Diagnose Diabetes, geht es um die Behandlung. Und diese hat sich während der vergangenen zehn bis 15 Jahre rasch und umfassend verändert. Bilder, die man in Bezug auf Diabetes im Kopf hat – etwa starre Essenszeiten oder ständige Blutzuckermessungen – sind nicht mehr zutreffend. „Ich möchte nicht sagen, dass diese Diagnose nicht trotzdem ein Einschnitt ist, aber wir haben sehr gute Möglichkeiten, die Therapie an das Leben der Menschen anzupassen“, sagt Sourij. So gibt es Sensoren, die kontinuierlich den Glukosespiegel überwachen. „Unsere Patienten wissen permanent, wo ihr Blutzucker gerade steht, ob er im Steigen oder Fallen begriffen ist.“ Gepaart mit Insulinpumpen (Automated Insulin Delivery/AID) kann die Abgabe bei Patienten von Typ-1-Diabetes automatisch gesteuert werden.

„Ich möchte nicht sagen, dass diese Diagnose nicht trotzdem ein Einschnitt ist, aber wir haben sehr gute Möglichkeiten, die Therapie an das Leben der Menschen anzupassen“, sagt Diabetes-Experte Harald Sourij
„Ich möchte nicht sagen, dass diese Diagnose nicht trotzdem ein Einschnitt ist, aber wir haben sehr gute Möglichkeiten, die Therapie an das Leben der Menschen anzupassen“, sagt Diabetes-Experte Harald Sourij © Sissi Furgler

„Abnehmspritzen“ haben Diabetes-Behandlung revolutioniert

Auf der anderen Seite haben die Wirkstoffe Semaglutid, Liraglutid, Dulaglutid und Tirzepatid, die gemeinhin als „Abnehmspritzen“ bezeichnet werden, die Behandlung von Typ-2-Diabetes erleichtert. „Das sind wesentliche Medikamente, die sehr effizient den Blutzucker senken“, weiß Sourij. Zusätzlich helfen diese sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten, Gewicht zu verlieren, weil sie das Sättigungsgefühl verstärken. Das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle wird gesenkt. Und: Kommen diese Wirkstoffe schon in der Phase des Prädiabetes, einer Phase, in der der Zuckerhaushalt bereits gestört ist, zum Einsatz, kann das Auftreten einer Diabetes-Erkrankung um rund fünf Jahre hinausgezögert werden.

Künftig wird es noch weitere Fortschritte in der Behandlung geben. Auch an der MedUni Graz laufen mehrere Studien mit neuartigen Wirkstoffen. „Manche werden in Spritzen, manche auch schon in Tablettenform verabreicht werden“, sagt der Experte. „Im nächsten Jahr wird ein neues Basalinsulin zur Verfügung stehen, das für Patienten mit Typ-2-Diabetes eine enorme Erleichterung sein wird. Denn man muss es nur mehr einmal wöchentlich und nicht täglich verabreichen.“

Um es aber nicht so weit kommen zu lassen, kann jede und jeder selbst sein Diabetes-Risiko minimieren. Und zwar durch das, was man gemeinhin als gesunden Lebensstil versteht. Also, ausgewogene Ernährung sowie ausreichend körperliche Betätigung. „Versuchen Sie die empfohlenen 150 Minuten Bewegung bei mittlerer Anstrengung pro Woche einzuhalten“, rät Sourij. „Und achten Sie auf ein gesundes Gewicht, also dass Sie die Schwelle zum Übergewicht möglichst nicht überschreiten.“