Auf den Stufen vor dem Petersdom steht ein schlichter Sarg aus Zypressenholz, darauf liegt eine aufgeschlagene Bibel. Kein Luftzug bewegt die Seiten. Unabänderlich, ewig und rätselhaft stehen die Schriftzeichen für sich.

So ganz anders als an dem fernen wolkenverhangenen Tag im April, als der Mann, dessen sterbliche Überreste jetzt in der hölzernen Truhe ruhen, an genau derselben Stelle das Requiem für seinen Vorgänger auf dem Papstthron zelebrierte. Das ist jetzt bald siebzehn Jahre her und der Wind wehte. Er fuhr in die Heilige Schrift, warf die Blätter hin und her und ließ die Lettern tanzen.

Wie die Sinnbilder zweier gänzlich gegensätzlicher Leben und Pontifikate wirken die beiden Szenen im Gegenschnitt: stürmisch und von prophetischer Ungeduld das des Polen Johannes Paul II. Im Zeichen eines unbeirrbaren Wahrheitsanspruches, der Gelehrsamkeit und gegen Ende hin der kontemplativen Stille dagegen jenes von Benedikt XVI.

Als Papst blieb der Deutsche glücklos. Und dennoch lässt sich ihm nicht Größe absprechen. Groß war sein Amtsverzicht am letzten Februartag des Jahres 2013, nachdem Joseph Ratzinger eingesehen hatte, dass seine Kräfte für die Ausübung des Petrusamtes nicht mehr reichten. Und noch größer ist das Vermächtnis, das er als Theologe und leidenschaftlicher Gottessuchender hinterlässt.

Wie wird sich, wenn der Abstand groß genug ist, die Welt einmal an diesen Mann erinnern? Sankt Peter liegt an diesem kalten Jännertag im Nebel. Viele seiner Anhänger hätten Benedikt im Wissen, wie lange einem das Wetter bei Beerdigungen in Erinnerung bleibt, lieber bei Sonnenschein das letzte Geleit gegeben. Aber mehr wiegt in diesem Fall wohl, dass sich sämtliche Befürchtungen, der Papa emeritus könnte ein zu gewöhnliches Begräbnis erhalten, als unbegründet erweisen.
Der Ablauf der Trauerfeierlichkeiten folgt mit kleinen Änderungen der Liturgie für die Beerdigung von im Amt verstorbenen Päpsten. Und auch die kühle Funktionalität, die Beobachter im Nachhinein am Requiem bemängeln, gründet auf einem Missverständnis: Hier wird kein bayerischer Landpfarrer beerdigt, dem die Dorfhonoratioren allerlei Sentimentalitäten ins Grab nachrufen, sondern "il sommo pontefice emerito", wie ihn das auf dem Petersplatz verteilte Libretto tituliert, der gewesene Pontifex Maximus, das ehemalige Oberhaupt der katholischen Kirche – der weltweit größten Glaubensgemeinschaft, die auf eine zweitausendjährige Geschichte zurückblickt und dieser Tradition entsprechend natürlich auch die Begräbnisfeier ausrichtet.

Eine Totenglocke wie ein Metronom

Zehntausende Gläubige aus aller Welt haben sich seit dem frühen Morgen auf dem Petersplatz versammelt, Alte, Junge, Nonnen, Geistliche und Nichtkleriker, gekrönte und ungekrönte Staatsoberhäupter, als auf den Schlag genau um 8.45 Uhr zwölf päpstliche Ehrenministerialen im schwarzen Frack den Sarg aus der Basilika auf den Vorplatz tragen und dort abstellen. Erzbischof Georg Gänswein, der Privatsekretär Benedikts, eilt hin, kniet nieder und küsst ihn. Kardinäle und Bischöfe haben sich da bereits zu beiden Seiten des Altars versammelt. Das Purpur ihrer Gewänder und das Weiß der Mitren hebt sich vom Grau der Travertinquader ab, aus denen die Basilika erbaut ist. Kurz scheint es so, als würde der Himmel über Michelangelos Kuppel aufklaren. Ein paar Minuten vor neun Uhr wird Papst Franziskus im Rollstuhl zum Altar geschoben. Der Argentinier trägt ein rotes Messgewand. Eine Totenglocke läutet, präzis wie ein Metronom – ein Taktgeber der Trauer. Und dann plötzlich setzt die Schola ein: "Requiem aeternam dona ei, Domine, et lux perpetua luceat ei" – "Die Ewige Ruhe gib’ ihm, Herr, und das ewige Licht leuchte ihm". Die Totenmesse für Benedikt XVI. hat begonnen.

Nüchtern, aber feierlich ist das zum großen Teil auf Latein gehaltene Requiem, genauso wie es sich der Verstorbene gewünscht hatte. Aber aus exakt dieser Einfachheit bezieht die Feier ihre ganze Kraft. Im Mittelpunkt steht der Mensch in seiner Vergänglichkeit – und sei es ein ehemaliger Papst, der – seiner Macht entkleidet – nun im Tod seine Vollendung findet. Von Jesus am Kreuz, der seinen Geist vertrauensvoll in Gottes Hände legt, handelt das Evangelium nach Lukas, das ein Diakon in italienischer Sprache vorträgt. Und von Gottvertrauen und Hingabe spricht auch Papst Franziskus in seiner kurzen, aber prägnanten Predigt.

Persönliche Worte findet er wenig. Aber offen redet er von der Mühsal des Petrusamtes und den damit verbundenen Schwierigkeiten zwischen "Kreuzungspunkten und Widersprüchen". Wie der Meister schultere der Hirte "die ermüdende Last des Eintretens für andere", auch wenn er zermürbt werde, "dort, wo das Gute zu kämpfen hat und die Brüder und Schwestern in ihrer Würde bedroht werden".

Franziskus lobt das Gottvertrauen seines Vorgängers: Dieses bringe die Sanftmut hervor, "die fähig ist zu verstehen, anzunehmen, zu hoffen und alles zu wagen – über das Unverständnis, das dies hervorrufen kann, hinaus". Vor dem Holzsarg des emeritierten Papstes sagt Franziskus: "Benedikt, du treuer Freund des Bräutigams, möge deine Freude vollkommen sein, wenn du seine Stimme endgültig und für immer hörst!" Und dann legt der Papst die Hand auf den Sarg des Papa emeritus und verneigt sich.

"Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten", singt die Schola. Applaus brandet auf. Die Träger schultern den Sarg, der Trauerkondukt formiert sich und in einer langen Zweierreihe verschwinden Bischöfe und Kardinäle in der Basilika, wo Benedikt unter Ausschluss der Öffentlichkeit im ursprünglichen Grab seines nach der Heiligsprechung umgebetteten Vorgängers Johannes Paul II. beigesetzt wird.