Die Drohung des russischen Vize-Regierungschefs Alexander Nowak, die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 – die längste Unterwasser-Pipeline weltweit – zu stoppen, diene "dazu, noch mehr Angst in den Markt zu bringen", sagt Carola Millgramm, die Leiterin der Gasabteilung bei der E-Control. Bereits jetzt seien die Großhandelsmärkte extrem verunsichert.

Aktuell verdient Russland dank der explodierenden Preise mit Energieexporten 700 Millionen Dollar täglich. Mehr als je zuvor.

Nord Stream 1 – das Rückgrat der Versorgung Westeuropas mit russischem Gas – sei die verlässlichste Gaspipeline. Die Transportkapazitäten von 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr reichen rechnerisch aus, um 26 Millionen Haushalte zu versorgen.

Die 7,4 Milliarden Euro teure Leitung ist im Moment die einzige, "die komplett stabil Gas nach Europa liefert", sagt Millgramm. Genau das mache sie zum Ziel für russische Drohungen – und möglicherweise auch zum Hebel für den Ernstfall.

Auf Österreich hätte ein Ausfall der Ostsee-Pipeline, die sich mehrheitlich im Besitz der russischen Gazprom befindet, begrenzte Auswirkungen, sagt die E-Control-Expertin. Nur fünf bis zehn Prozent der österreichischen Gasversorgung strömten via Nord Stream 1 und Leitungen in Tschechien und der Slowakei nach Österreich. Allerdings träfe ein Stopp der Gaslieferungen Deutschland mengenmäßig massiv.

Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung der E-Control
Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung der E-Control © Privat

Das könnte sich wiederum negativ auf Österreich auswirken.
Auch wäre Österreich dann alternativlos auf die Ukraine-Route angewiesen. Noch laufe auch dort alles normal „ohne Einschränkungen“, sagt Millgramm. „Aber allein mit der Ukraine-Route würden wir noch verwundbarer werden.“ Leitungen können bei kriegerischen Auseinandersetzungen beschädigt werden und ausfallen.

Eine weitere Leitung, die Jamal-Europa, führt über Belarus und Polen nach Frankfurt/Oder. Die Kapazität der 1999 fertiggestellten Pipeline ist deutlich geringer als jene von Nord Stream 1, das gelieferte Gas derzeit starken Schwankungen unterworfen.

Noch registriert die E-Control keine Signale, dass Nord Stream 1 zugedreht werde. Zu deren Eröffnung vor gut zehn Jahren waren die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen noch lebhaft, die Warnrufe östlicher Nachbarstaaten vor wachsender Abhängigkeit zu Russland ignorierte Berlin. Das Verhältnis kühlte sich zusehends ab, der Bau der parallel zu Nord Stream 1 verlaufenden Gaspipeline Nord Stream 2 war bereits heftig umstritten. Die zehn Milliarden Euro teure Pipeline wird noch lange nicht in Betrieb gehen, die Projektgesellschaft ist bereits insolvent.