Der russische Regierungschef Alexander Nowak drohte Montagabend mit einem Gas-Lieferstopp durch die Pipeline Nord Stream 1 – und will gleichzeitig die von Deutschland auf Eis gelegte Leitung Nord Stream 2 in Betrieb nehmen. Aber welche Bedeutung haben diese Pipelines eigentlich? Und welche Alternativen gibt es?

Welche Bedeutung hat Nord Stream 1?

Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 – 1224 Kilometer lang – verbindet Russland mit Deutschland und liefert sibirisches Gas nach Westeuropa. Die weltweit längste Unterwasser-Pipeline ist die ältere „Schwester“ der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2. Nord Stream 1 geht auf eine Vereinbarung des damaligen Noch-Bundeskanzlers Deutschlands Gerhard Schröder (SPD) und des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2005 zurück.

Die Rohrsegmente wurden auf dem Verlegeschiff des italienischen Pipelinebauers Saipem Stück für Stück zusammengeschweißt und danach auf dem Meeresboden verlegt. Die tiefste Verlegestelle – 210 Meter unter der Wasseroberfläche – liegt bei Gotland. Ein Leitungsstrang der Pipeline besteht aus rund 100.000 1,2 Meter dicken Rohren, die jeweils 12 Meter lang sind und mit Erzbeton ummantelt wurden. Der Beton verhindert einen Auftrieb der Stahlrohre.

Die 7,4 Milliarden Euro teure Pipeline wurde im November 2011 in Betrieb genommen und erweiterte die Transportkapazitäten um 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr – das reicht aus, um rechnerisch 26 Millionen Haushalte zu versorgen. 2021 lag das Volumen sogar bei 59 Milliarden Kubikmeter, eine nahezu 100-prozentige Auslastung.

Putin und Schröder vereinbarten 2005 den Bau von Nord Stream
Putin und Schröder vereinbarten 2005 den Bau von Nord Stream © AFP

Seit der Inbetriebnahme wurden rund 450 Milliarden Kubikmeter vom sibirischen Portowaja nach Lubmin nahe Greifswald im ostdeutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern transportiert.

Zur Eröffnung 2011 – noch unter dem russischen Präsidenten Dimitri Medwedew – wurde die Leitung als Ausdruck der lebhaften russisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen wahrgenommen, der erste Strang der Ostsee-Pipeline erregte aber auch schon vor über zehn Jahren das Missfallen osteuropäischer Staaten, die vor der Abhängigkeit zu Russland warnten. Allerdings galt Nord Stream auch als Beitrag zur Diversifizierung der Transportwege für Erdgas – zu den existierenden Transportkorridoren über die Ukraine und Weißrussland.

Zur Eröffnung von Nord Stream 2011: Kanzlerin Angela Merkel, Dimitri Medwedew und Gerhard Schröder
Zur Eröffnung von Nord Stream 2011: Kanzlerin Angela Merkel, Dimitri Medwedew und Gerhard Schröder © EPA

Nord Stream 1 gehört zu 51 Prozent dem russischen Staatskonzern Gazprom, deutsche, französische und niederländische Investoren und Energieunternehmen teilen sich die restlichen 49 Prozent.

Wechselvolle Geschichte von Nord Stream 2

Seit September 2021 fertiggestellt, aber aufgrund des Ukraine-Konfliktes (der bekanntlich im Krieg mündete) bisher nicht in Betrieb gegangen, ist Nord Stream 2. Deren Baustart erfolgte 2018. Die 1230 Kilometer lange Pipeline verläuft vom westrussischen Wyborg nach Lubmin parallel zu Nord Stream 1.

Das Investitionsvolumen lag bei über zehn Milliarden Euro. Die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Zug ist eine Tochtergesellschaft des russischen Gasmonopolisten Gazprom. Zu den Pipeline-Investoren gehören die deutschen Konzerne Wintershall Dea und Uniper, die niederländisch-britische Shell, die österreichische OMV sowie Engie aus Frankreich.

Die Nord Stream 2 AG im Schweizer Kanton Zug steht laut einer Schweizer Behördenvertreterin vor dem wirtschaftlichen Aus. Die Fernwartung der Pipeline vom Unternehmenssitz in der Schweiz wurde eingestellt, obwohl sich in der Pipeline 330 Millionen Kubikmeter Erdgas befinden, die unter einem Druck von 120 bar stehen.

Welche Gasleitungen es sonst noch gibt

Westeuropa wird über weitere Pipelines beliefert: Jamal-Europa führt durch Belarus und Polen bis Frankfurt/Oder. 2020 wurden rund 260 Terawattstunden (TWh) Gas nach Deutschland importiert, das waren 18 Prozent der gesamten Importmenge. Laut dem Pipelinebetreiber Gascade fließen stündlich 1,2 Millionen Kilowattstunden ostwärts. Die Kapazität ist deutlich geringer als die der Hauptröhre Nord Stream 1.

Die 1999 fertiggestellte Jamal-Europa führt von der Jamal-Halbinsel in Sibirien durch Russland, Belarus und Polen nach Deutschland. Die Zulieferungen über die Jamal-Pipeline schwanken derzeit stark, zu manchen Zeitpunkten werden gar keine Lieferungen mehr angezeigt.

Welche Pipelines gibt es noch?

Andere Pipelines gehen durch die Ukraine und über die Slowakei in Richtung Westen. Im Süden wird über Turkstream Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei geliefert. In Europa wird Gas in der Nordsee gefördert: Pipelines aus Großbritannien, Dänemark, Norwegen und den Niederlanden kommen in Deutschland an.

Zudem gelangt Gas aus den Lagerstätten im Kaspischen Meer nach Südeuropa; zwei Pipelines führen von Aserbaidschan durch die Adria und durch die Türkei.

Welche Alternativen gibt es zu den Gasleitungen?

Eine Möglichkeit ist Flüssiggas. Im Jänner lagen die Flüssiggas-Einfuhren aus den USA nach Deutschland bei etwa elf Milliarden Kubikmetern so hoch wie nie zuvor. Doch auch hier wird es schwierig, die Mengen deutlich zu erhöhen. Zudem sind die Kapazitäten in den Häfen begrenzt. So verfügt etwa Deutschland nicht über ein eigenes Flüssiggasterminal. Experten halten es für unmöglich, alle russischen Lieferungen in kurzer Zeit zu substituieren.

Und kann Gas nicht einfach ersetzt werden?

Ein großer Teil des russischen Gases wird zum Heizen genutzt und kann dort nicht so ohne Weiteres ersetzt werden. Bei der Stromerzeugung sieht es etwas anders aus: Insbesondere können europaweit Kohle- oder Atommeiler stärker hochgefahren werden.