Alles begann in Israel: Beim Plaudern mit der ebenfalls angereisten dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen vor eineinhalb Wochen sei ihm klar geworden, dass andere EU-Staaten – Dänemark etwa – schneller mit Impfstoff beliefert werden als Österreich, erzählt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Was auf dieser Reise begann, hat die türkis-grüne Koalition in den vergangenen Tagen tiefer erschüttert als alle anderen Krisen bisher. Kurz beauftragte seinen innersten Kreis, herauszufinden, wie es trotz der gemeinsamen EU-Beschaffung zu solchen Unterschieden kommen kann, telefoniert selbst mit einigen anderen Regierungschefs.

Noch bevor die Ergebnisse auf dem Tisch liegen, meldet sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) krank: Nach einem Kreislaufkollaps, unterzieht sich der 59-Jährige, der als oberster Krisenmanager seit einem Jahr unter enormen Druck arbeitet, einem Gesundheitscheck im Spital, seine Amtsgeschäfte überträgt er formal Klimaministerin Leonore Gewessler.

Anschober nimmt den Krankenstand ernst: Kurz, dem die Dimension des Problems Mitte vergangener Woche bewusst wird, versucht mehrmals, den Minister telefonisch zu erreichen – und scheitert. Stattdessen versucht Vizekanzler Werner Kogler direkt Informationen aus dem Gesundheitsministerium zu bekommen – was in den Strukturen des Hauses versandet.

Am Freitag reißt Kurz der Geduldsfaden: Er geht in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz mit dem Vorwurf gegen die EU an die Öffentlichkeit, die Impfverteilung sei ein „Basar“, auf dem über illegitime Nebenabreden manche Länder mehr als andere herausholten.
Das stimmt nicht, wie sich bald herausstellt: Dass Staaten die Kontingente aufkaufen können, die andere Staaten abgelehnt haben, haben die Mitgliedstaaten selbst vereinbart –die Unionsbehörden sind aus dem Schneider.

Die ÖVP sucht sich daraufhin ein neues Ziel: Am Samstag schießt sie sich auf Anschobers Spitzenbeamte ein – Corona-Sonderbeauftragter Clemens Martin Auer und Generalsekretärin Ines Stilling müssten den Hut nehmen; Anschober selbst nimmt der Koalitionspartner aber nicht ins Visier.

Die Grünen überlegen zu diesem Zeitpunkt noch immer, wie sie reagieren sollen – und entscheiden sich gegen eine Konfrontation: Ja, der Zeitpunkt sei fragwürdig, der Stil von Kurz’ Attacke schlecht, heißt es hinter den Kulissen – aber man wolle sich nicht mit Streit und Machtkämpfen aufhalten: Gerade vergangene Woche ist bei grünen Kernthemen wie im Klimaschutz viel weitergegangen, die Agenda soll konsequent umgesetzt werden.

Erst am Sonntag erreicht Kurz Anschober endlich wieder persönlich. In einem langen Telefonat sprechen die beiden kaum noch über die EU – auch Kurz weiß inzwischen, dass er diesbezüglich falsch lag –, sondern darum, dass Auer eigenmächtig entschieden habe, im Jänner eine Chance auf den Zukauf von mehr Impfstoff verstreichen zu lassen; rund 100.000 Dosen von Pfizer seien Österreich so entgangen.

Kurz erklärt Anschober, er habe alle Protokolle des dreimal wöchentlich tagenden Impf-Koordinationsgremiums, in dem auch das Kanzleramt sitzt, durchschauen lassen – nie sei diese Option erwähnt worden.

Dieses Gespräch ist das Ende für Auers Karriere als oberster Impfstoff-Beschaffer. Er erklärt Anschober seine Gründe – dass Österreich ohnehin 30,5 Millionen Dosen bestellt habe, also das Vierfache dessen, was notwendig ist, um die Bevölkerung (abzüglich Minderjähriger) durchzuimpfen, dem Spitzenbeamten ist aber selber klar, dass das nicht haltbar ist.

Am Sonntagabend zieht Anschober ihn ab, im Morgenjournal Montagfrüh verkündet der wieder gesundete Minister die Rochade – Auers Job macht künftig die Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit, Katharina Reich.