Es ist kein Sondergipfel, wie von Österreich verlangt, sondern das reguläre Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag. „Treffen“ wieder im übertragenen Sinn: Gestern wandelte Ratspräsident Charles Michel wegen der Coronalage alles wieder in einen Videogipfel um. Umso größer ist die Aufgabe für die Vertreter der Mitgliedsländer, sich auf eine gemeinsame Marschrichtung zu einigen.

Die Übung wird schwierig. Hauptthema ist der Kampf gegen die Folgen der Pandemie, und hier gibt es eine ganze Reihe von Problemen zu lösen. Zunächst müssen sich die EU-Länder auf den von Kanzler Sebastian Kurz vorgeschlagenen Korrekturmechanismus bei der Verteilung der lieferbaren Impfstoffe einigen. Wie berichtet, hatte die EU-Kommission eine Extra-Lieferung von zehn Millionen Dosen Biontech/Pfizer organisiert, die nun dazu verwendet werden können, jenen Staaten, die sich bei der Impfstoffbestellung verkalkuliert hatten, das Aufholen zu ermöglichen – Bulgarien etwa. Österreich würde laut Kurz aus diesem Topf 400.000 Dosen erhalten. Voraussetzung dafür ist, dass alle zustimmen; und dass einige Länder auf ihren Anteil verzichten, was noch sehr fraglich ist. In Brüssel sieht man das alles distanziert: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte mehrfach in den letzten Tagen klargelegt, dass die Kommission von Haus aus dagegen war, dass sich die Länder über das Pro-Rata-Prinzip (Verteilung der Impfdosen nach Bevölkerungsschlüssel) hinwegsetzen und sich Individuallösungen zurechtzimmern.

Eine noch größere Herausforderung stellt das für den Sommertourismus so wichtige „Grüne Zertifikat“ dar. Die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen wurden vergangene Woche von der Kommission in einen Gesetzesvorschlag gegossen, doch das ist erst die Ausgangsbasis.

"Grünes Zertifikat": Ball liegt jetzt bei den EU-Ländern

Im Eiltempo muss der Vorschlag nun vom Rat und vom Europaparlament abgesegnet werden, gleichzeitig soll es aber auch gelingen, alle EU-Länder bis Juni auf das gleiche technische Niveau zu bringen. Das Zertifikat soll über eine Handy-App und einen QR-Code einen nicht fälschbaren und datenschutzrechtlich einwandfreien Beleg dafür bieten, ob jemand geimpft ist (und mit welchem Vakzin), bereits eine Covid-19-Erkrankung hinter sich hat oder „frisch“ getestet ist. Welche Freiheiten die einzelnen Länder gewähren (etwa Restaurant- oder Kinobesuche, Erlass der Quarantäneregeln bei der Einreise usw.), bleibt ihnen selbst überlassen. Die Kommission will darauf achten, dass es zu keinen Diskriminierungen kommt.

Nach dem Vorbild von Israel (im Bild) arbeiten die EU-Länder auch an einem "Grünen Pass"
Nach dem Vorbild von Israel (im Bild) arbeiten die EU-Länder auch an einem "Grünen Pass" © AFP

Doch schon der erste Schritt ist von Streit begleitet: Akzeptiert werden könnten nur von der EMA freigegebene Impfungen – das wäre ein Dämpfer etwa für Reisende aus Ungarn, die mit Sputnik geimpft wurden. Unklar ist demnach auch, wie mit Reisenden aus Drittländern umzugehen ist. Im Entwurf der Gipfelerklärung sind zumindest ein koordiniertes Vorgehen bei Reisebeschränkungen sowie eine Verlängerung der Impfstoff-Exportkontrollen bis hin zum Exportbann enthalten, was den Konflikt mit Großbritannien verschärfen wird.

Die EU-Kommission hatte bereits am Mittwoch neue Exportauflagen ins Spiel gebracht, Details aber offen gelassen. Nach ihren Angaben wurden seit 1. Februar mindestens 41 Millionen Dosen Impfstoff aus der EU exportiert, obwohl hier Impfstoff fehlt und Impfungen nur langsam vorankommen. Zehn Millionen Impfdosen aus der EU gingen den Angaben zufolge allein nach Großbritannien.

"Ich kann europäischen Bürgern nicht erklären, warum wir Millionen Impfstoffdosen in Länder exportieren, die selbst Impfstoff produzieren - und von denen nichts zurück kommt", hatte von der Leyen gesagt. In Großbritannien hatte das Empörung ausgelöst.

Die "Financial Times" schrieb, Premierminister Boris Johnson habe von der Leyen im vertraulichen Gespräch vor einem "Impfstoffkrieg" gewarnt. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace warnte die EU am Sonntag bei Sky News, es wäre kontraproduktiv, Impfstoffexporte zu stoppen: "Denn was wir sicher über Impfstoffproduktion wissen, ist, dass sie gemeinschaftlich abläuft." Auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller wandte sich in der "Ärztezeitung" gegen einen EU-Exportstopp, weil dies "die ganze Logistikkette ins Straucheln" bringen könnte.

Zuvor hatte der britische "Telegraph" gemeldet, Pfizer/Biontech beziehe wichtige Zutaten für die Produktion in der EU aus Großbritannien. Dies wurde am Wochenende aus EU-Kreisen auch bestätigt. Die EU ziele gar nicht darauf, Impfstofflieferungen an Großbritannien abzustellen, hieß es in Brüssel. Vielmehr gehe es um Gegenseitigkeit und Verhältnismäßigkeit. EU-Kommissarin Mairead McGuinness sagte der BBC: "Wir beliefern Großbritannien mit Impfstoffen, also bin ich der Meinung, dass es dabei nur um Offenheit und Transparenz geht."

Weitere Sanktionen werden heute beschlossen

Doch auch auf anderen Feldern warten Herausforderungen. Heute schon wird bei einem Treffen der Außenminister in Brüssel ein Sanktionspaket zu Menschenrechtsverletzungen in insgesamt sechs Ländern gestartet. Die EU-Staaten verständigten sich erstmals auf Strafmaßnahmen gegen China wegen des Vorgehens gegen die muslimische Minderheit der Uiguren. Weiters sind Eritrea, Libyen, Nordkorea, Russland und der Südsudan betroffen.

Keine Sanktionen soll es gegen die Türkei geben. Weil das Migrationsabkommen zur Erneuerung ansteht und aus grundsätzlichen Erwägungen will die EU dem Land am Bosporus trotz ständiger Provokationen die Hand reichen und eine „nachhaltige positive Agenda“ setzen. Gestern erst trat die Türkei aus der Istanbul-Konvention aus, die Gewalt gegen Frauen verhindern soll.

Binnenmarkt, digitaler Wandel mit Besteuerungsplänen und die Prioritäten für das „Europäische Semester 2021“ stehen ebenfalls auf der Tagesordnung des zweitägigen Gipfels.