Diese Woche versuchte es Olaf Scholz mit einer Wiederholung. „Das ist der Wumms“, sagte der deutsche Finanzminister. Aber irgendwie mochte ihm niemand so recht folgen. Scholz präsentierte den Nachtragshaushalt, für das laufende Jahr muss er weitere sechzig Milliarden Euro Schulden aufnehmen. Im Corona-müden Land mochte daher niemand an Aufbruch glauben. 

Vor einem Jahr hatte Scholz schon einmal einen Wumms versprochen. Damals machte er die ersten Milliarden für die Corona-Hilfen locker. Sein SPD-Parteikollege Hubertus Heil stellte als Arbeitsminister die Kurzarbeiter-Hilfen bereit. Die Pandemie schien mit dem starken Staat klassische sozialdemokratische Themen zurückzubringen. Ein Jahr später kämpft die Union mit der Masken-Affäre, ihre Corona-Minister Peter Altmaier (Wirtschaft) und Jens Spahn (Gesundheit) schwächeln, aber auf den Wumms wartet die SPD noch immer. Selbst nach einer desaströsen Woche mit einer ungewöhnlichen Entschuldigung von Kanzlerin Angela Merkel. Die Sozialdemokraten verharren im Umfragetief. Die jüngsten Zahlen des ZDF vom Freitag bescheren der Union mit 28 Prozent herbe Verluste. Die SPD verharrt bei 15 Prozent, stattdessen profitieren die Grünen, die auf 23 Prozent zulegen. Die Sozialdemokraten aber stecken fest bei unter zwanzig Prozent. Es bewegt sich nichts in den Umfragen für die SPD.

Scholz bleibt dennoch ruhig und gelassen. So ist seine Art. Der Kanzlerin hat er umgehend nach dem Schuldeingeständnis seinen Respekt bekundet und alle Beteiligten in die Pflicht genommen - sich selbst nicht ausgenommen. Ohnehin hat die SPD beschlossen, die scheidende Kanzlerin von Kritik eher zu auszusparen. Trotz aller Corona-Mängel ist Merkel immer noch beliebt im Land. Scholz setzt auf einen Frühstart: Als erste Partei haben die Sozialdemokraten im Vorjahr ihren Kanzlerkandidaten ausgerufen. Und als erste Partei wollen sie am Wochenende ihr Programm für die Bundestagswahl im September besiegeln. „Zukunft und Respekt, Europa - das sind die zentralen Schwerpunkte des Programms“, sagt Scholz. Die SPD positioniert sich auf grünem Feld und setzt auf Klimaschutz. Außerdem bricht sie mit ihrer ungeliebten Agenda der Schröder-Jahre. Hartz-IV  soll einem Bürgergeld weichen, eine Kindergrundsicherung das Kindergeld ersetzen. Der Spitzensteuersatz soll steigen. Schluss mit dem dritten Weg. 

Das Erbe der Vergangenheit

Das ist eine kleine Ironie der Geschichte. Denn Scholz musste zu Beginn des Jahrhunderts als Generalsekretär seiner Partei die Arbeitsmarktreformen des Kanzlers Gerhard Schröder verteidigen. Noch heute hängt ihm aus dieses Zeit das Diktum des technokratischen „Scholzomaten“ nach. Noch heute geht die Parteilinke auf Distanz. Auch aus diesem Grund fiel Scholz 2019 bei der Wahl zum SPD-Chef durch. Stattdessen kürte die Partei zwei unbekannte Linke: die Digitalexpertin Saskia Esken und den Steuerfachmann Norbert Walter-Borjans. 

Die Wahl der beiden war weit mehr als nur die Kür einer neuen Führungsspitze. Die SPD entschied sich für ein neues Organisationsmodell - ganz nach französischem Vorbild. Die Führung wirkt vornehmlich nach innen in die Partei hinein, für Wahlen tritt nach außen der Kandidaten mit den besten Chancen an. Für die alte Mitgliederpartei SPD war dies eine Revolution. Die SPD ist nach innen eine Diskurstruppe (siehe die jüngste Debatte um Wolfgang Thierse und Identitätspolitik). Nach außen aber ist die Partei ein Kanzlerwahlverein. Nicht alle haben diesen Umbruch verstanden.

Scholz, 62, führt die SPD nun in den Bundestagswahlkampf. Seine Gegner sind noch offen. Die Grünen haben die Wahl zwischen einem nicht mehr unumstrittenen Robert Habeck und einer forschen Annalena Baerbock, bei der Union soll rund um Ostern die Entscheidung zwischen CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Armin Laschet fallen, mit leichten Vorteilen für Laschet. Noch steht Scholz also allein im Feld. Er kämpft vor allem mit seinem Image. Der Jurist wägt seine Worte sorgfältig, für Außenstehende mag das als pomadig erscheinen. „Schlumpfig“ zieh in jüngst Markus Söder in einer Corona-Runde. Das weit größere Problem aber ist das Martin-Schulz-Dilemma. Der aus Europa eingeschwebte Kanzlerkandidat pochte 2017 auf Moral und Gerechtigkeit - stieß aber mit dem Wahlprogramm an seine Grenzen. Es folgte: das Aus für Schulz, künftig Chef der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Und der Absturz für die SPD, ihre künftige Rolle ist noch offen. 

Das Virus und die Gerechtigkeit

In Corona-Zeiten, wo alle Länder am Regierungstisch sitzen, verliert die Große Koalition den Abschreckungseffekt auf Wähler. Vielmehr geht es um die Attraktivität weit über das eigene Kernmilieu hinaus. In Holland haben sich die Sozialdemokraten nicht mehr vom Auflösen ihres Milieus erholt. Auch Labour kämpft in Großbritannien mit den Folgen des dritten Wegs. Scholz hat die Pandemie zumindest rhetorisch ein Umfeld beschert, in dem er sich bewähren kann: Der alte Verfechter der Schwarzen-Null kann nun keynesianische Wirtschaftspolitik betreiben, Corona macht Gerechtigkeitsfragen aktuell und die Abstimmung im Herbst wird vor allem eins: eine Persönlichkeitswahl. 

Das haben die Landtagswahlen im März gezeigt. In Stuttgart siegte der Grüne Winfried Kretschmann mit dem von Merkel entliehenen Zitat „Sie kennen mich“. In Mainz machte die SPD-Regierungschefin Malu Dreyer einen Umfragevorsprung der CDU wett und lag am Wahlabend fast zwanzig Prozentpunkte über den Werten der Bundes-SPD. Wahlen werden volatiler. Umso mehr zählt der Kandidat. „Eins ist natürlich auch klar: die Emotionalität ist in Online-Formaten eine andere“, sagt der Mainzer SPD-Generalsekretär Daniel Stich dieser Zeitung über seine Lehren aus dem ersten rein digitalen Wahlkampf in der bundesdeutschen Geschichte. 

Die Wahlen im Herbst werden Besondere sein. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik tritt kein amtierender Kanzler an. Auch Corona lässt viele Gewissheiten wackeln. Die Union verliert ihre Rolle als Stabilitätsgarant. Damit schwächelt nach der SPD auch die zweite Volkspartei im Bunde. Das macht Ampelbündnisse aus drei Parteien wahrscheinlich. Und damit auch ungewöhnliche Koalitionen. Am Abend der Landtagswahlen vor drei Wochen bemühte sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sogleich mit der Botschaft: „Mehrheiten jenseits der Union sind möglich.“ Das stimmt. Nur unter wessen Führung, dass ist offen.