Sie sind die ersten, die zum Bundespräsidenten vorgelassen werden, weil sie sich um acht Uhr früh bereits am Ballhausplatz eingefunden haben. Obwohl  die Tore zur Präsidentschaftskanzlei erst um zwölf Uhr geöffnet werden, ist die Warterei vor der Hofburg nicht mit großen Entbehrungen verbunden. Keine einzige Wolke trübt den Himmel, die Temperaturen sind mehr sommerlich als herbstlich, die beiden sind nicht allein, sondern in Begleitung von lieben Freunden.

Gegen zehn Uhr vormittags hat sich der Heldenplatz mit Tausenden, wenn nicht sogar Zehntausenden gefüllt. Auch die Schlange vor der Hofburg, beim Kanzleramt, vor dem Außen- oder dem Innenministerium wird immer länger. Sirma und Düzgun Kapan haben sich nicht angestellt, um ein begehrtes Selfie mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu erhaschen oder um später martialische Militärfahrzeuge zu bewundern. Ihre Mutter, Mülkiye Lacin, sitzt seit Juli in einem kleinen Dorf in der Türkei fest, sie ist auf freiem Fuß, darf aber das Land nicht verlassen. Der Fall ist seit wenigen Tagen medial bekannt.

Lehrerin an Wiener Schule

"Wir fühlen uns von den österreichischen Behörden etwas im Stich gelassen", klagen die beiden Kinder, es gebe keinen persönlichen Kontakt mit ihnen und kaum Informationen.  Mülkiye Lacin ist gebürtige Kurdin, lebt seit 1991 in Wien, im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft, Lehrerin an einer Wiener Schule. Ob sie politisch aktiv gewesen sei? "Sie hat natürlich immer wieder kurdische Lieder gepostet und auf die Situation der Kurden in der Türkei aufmerksam gemacht", so die Kinder, die in Wien aufgewachsen sind und in Österreich Wurzeln geschlagen haben. "Ich bin Wienerin und Kurden", sagt Sirma im breiten Wienerisch.

Bisher keine Anklage

Im Außenamt weist man den Vorwurf, man rühre keinen Finger, entschieden zurück. "Die österreichische Botschaft in Ankara hat wiederholt bei den Behörden in Ankara interveniert und auf die Einstellung des Verfahrens gedrängt", erklärt Peter Guschelbauer, Pressessprecher im Außenamt. Auch habe man der Frau rechtlichen Beistand angeboten, sie habe diesen abgelehnt mit dem Hinweis, dass sie bereits einen Anwalt eingeschalten habe. Alle drei bis vier Wochen rufe man sie an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

Frau Lacin hat das Glück, nicht hinter Gitter zu sitzen, sondern nach einer 24-stündigen Inhaftierung auf freiem Fuß zu sein. Was die türkischen Behörden ihr konkret vorwerfen, wissen weder die Angehörigen noch die Betroffene oder die österreichischen Behörden. Auch Außenminister Alexander Schallenberg hat sich des Falls angenommen.

Schwieriger als der Fall Zirngast

Hinter vorgehaltener Hand ist zu erfahren, dass gut ein Dutzend vergleichbarer Fälle existieren. Dass die Betroffene - anders als im Fall von Max Zirngast - türkisch-kurdische Wurzeln habe, also von Ankara als "eine von ihnen" eingestuft werde, mache den Fall noch schwieriger. Wie kompromisslos das Erdogan-Regime ist, hat ja der Fall des deutschtürkischen Journalisten Denis Yücel gezeigt, der trotz heftigster Interventionsversuche von Angela Merkel erst nach mehr als einem Jahr frei gekommen ist.

Knapp nach 12 Uhr wird die kleine Gruppe zum Bundespräsidenten vorgelassen. Man überreicht Unterlagen mit allen Details, Van der Bellen versichert, dass er sich den Fall anschauen werde. Im Außenamt wird  versichert, dass man mit den Angehörigen in Kontakt treten werde, um ihnen zu verdeutlichen, dass man sich sehr wohl des Falls angenommen habe und auch aktiv - von Wien aus bzw. über den österreichischen Botschafter in Ankara - bei den türkischen Behörden tätig geworden ist.