Ernst Sandrieser (56) reicht es. Mit seiner Familie wandert er Ende des Monats aus der 25-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai aus. Am 24. Juni haben die Kinder ihren letzten Schultag, wenige Tage danach geht es für Sandrieser zurück nach Kärnten. Der vorerst neue Lebensmittelpunkt wird die 1326-Seelen-Gemeinde Arriach sein. Grund für diesen drastischen Schritt ist Chinas rigorose Null-Covid-Politik. Ende März verhängte Shanghai einen strikten Lockdown. Und auch wenn die Regierung dieser Tage die Maßnahmen etwas gelockert hat, führt für Sandrieser an seinen Auswanderungsplänen vorerst kein Weg vorbei. "Man ist der Willkür der Regierung und jener sogenannten Nachbarschaftskomitees ausgesetzt. Die bestimmen über dein Leben und deine Freiheit."

Zwei Monate lang konnte die Familie ihren Wohnkomplex und somit einen Umkreis von 1,5 Kilometern nicht verlassen. Schulen, Geschäfte, etc. – alles zu. "Ich bin 2004 nach Shanghai gekommen, es ist eine unglaublich dynamische Stadt. Es war ein sehr angenehmes Leben hier, bis zu diesem Lockdown", erzählt der gebürtige Kärntner im Skype-Interview. Trotz massiver wirtschaftlicher Schäden hält China bislang radikal an seiner Zero-Covid-Strategie fest. "Nicht nur viele Ausländer, sondern auch gut ausgebildete Chinesen kehren dem Land den Rücken", rechnet Sandrieser mit einem regelrechten Brain-Drain, also der Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland.

Frust und Enttäuschung

Er selbst kam vor knapp 20 Jahren nach Shanghai – mit der Aufgabe, für den oberösterreichischen Faserhersteller Lenzing das Chinageschäft aufzubauen. 2014 fasste der Kärntner dann den Entschluss, in die Selbstständigkeit zu wechseln. Er leitet seither seine eigene Handelsfirma im Textil- und Faserbereich. In Shanghai lernte er seine Frau Lai Ping kennen, die gemeinsamen Kinder Elisa und Adam sind mittlerweile zwölf und 13 Jahre alt. Gerade für sie waren die vergangenen Monate eine enorme Belastung. Sandrieser: "Sie konnten ihre Freunde so lange nicht sehen. Zudem ist es sehr belastend, für das Homeschooling täglich zehn Stunden vor dem PC zu verbringen."

In Kärnten sollen Elisa und Adam ab Herbst die International School Carinthia in Velden besuchen. Ihre vorerst neue Heimat kennen die beiden Teenager nur von den Ferien – im Sommer zum Baden, im Winter zum Skifahren. Kein leichter Schritt für alle. Aber die Enttäuschung und der Frust wiegen schwer. "Es hängt immer dieses Damoklesschwert über einem, dass man positiv getestet wird und dann in eines dieser schrecklichen Isolationszentren gebracht wird", so der 56-Jährige. Die chinesische Regierung ging dabei vor allem am Anfang nicht zimperlich vor. Infizierte oder direkte Kontaktpersonen wurden sogar gewaltsam aus ihren Wohnungen geholt. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt. "Nach heftigsten Protesten hat sich das zum Glück geändert", schildert Sandrieser.

Lebensmittellieferungen funktionierten mehr schlecht als recht. Zwei Packungen Haltbarmilch und ein paar Snacks gab es in den vergangenen Wochen für die vierköpfige Familie von der Regierung. "Damit wären wir wohl verhungert. Die von der Regierung versprochene Versorgung war großteils ein Chaos", kann Sandrieser das zum Glück recht entspannt sehen. Denn über private Initiativen klappte es ganz gut, an Lebensmittel zu gelangen. "Wir haben natürlich auch den Vorteil, dass meine Frau Shanghaierin ist und dadurch ein gutes lokales Netzwerk hat."

Unter solchen Umständen ist es für den Kärntner – zumindest vorerst – unmöglich, weiter in China zu leben. "Auch, wenn Shanghai unser Lebensmittelpunkt ist." Sein Unternehmen kann er von überall in der Welt aus leiten. Endlich wird es Sandrieser nun wieder möglich sein,  Kunden und Geschäftspartner zu treffen. Zu unsicher war es ihm in den vergangenen 2,5 Jahren, seit Ausbruch der Pandemie, das Land zu verlassen. Zu viele offene Fragen und Auflagen, was die Wiedereinreise betrifft: "Reisen war so gut wie nicht möglich."

Sandrieser mit Frau Lai Ping und den Kindern Adam und Elisa
Sandrieser mit Frau Lai Ping und den Kindern Adam und Elisa © Privat

Aus der Ferne beobachten

Und so freut sich Sandrieser jetzt erst einmal auf das Wiedersehen mit den Verwandten in Kärnten. Wie lange er mit seiner Frau und den beiden Kindern bleiben wird, ist offen: "Wir haben eigentlich schon die Absicht, dass wir irgendwann wieder nach Shanghai zurückkommen. Ich muss schauen, wie sich die Situation in China weiterentwickelt."

Fürs Erste beobachtet er das lieber von der Ferne aus.