„Die schönsten Weihnachten wären es, wenn alle daheim wären“, sagt der Schaffner in einem ÖBB-Railjet von Wien nach Kärnten am Vormittag des Heiligen Abends beim Kartenzwicken augenzwinkernd, als im Zug erste Weihnachtswünsche fallen. Dabei lässt es sich in der ersten Klasse gut aushalten. Doch von Reisenden, deren Sitzplatzreservierung in der Zweiten nicht funktioniert hat, wird der Schaffner sogar bis dorthin „verfolgt“. Später spricht er vom Zug als „Überraschungsei“.

„Bitte setzen Sie sich doch einfach einmal auf einen freien Platz hin“, sagt der Schaffner zum grantigen Reisenden, laut dessen Angaben zwei reservierte Sitzplätze in der zweiten Klasse erst gar nicht existieren. Es gebe ganz vorne noch freie Sitzplätze, damit solle bzw. müsse sich der Mann nun bitte begnügen.

Das will der Betroffene anfangs nicht einsehen. Er habe doch für eine Leistung, die er nicht erhalte, bezahlt. „Dann brauch ich nicht reservieren“, ärgert sich der Mann und zieht zornig ab. Gegebenenfalls kann er sich die Reservierungskosten im Nachhinein erstatten lassen. Die ÖBB empfehlen Reservierungen zum Kostenpunkt von drei Euro.

Schaffner mit Schmäh

„Vielleicht will er sich ärgern“, mutmaßt eine Beobachterin - allerdings sitzend, auf ihrem Erste-Klasse-Platz. Ein Blick in die zweite Klasse des Railjets zeigt allerdings, dass das schwierig - wenn auch nicht unmöglich - werden könnte.

„Sehen Sie, im Zug ist es derzeit oft wie in einem Überraschungsei - man weiß nie, was drin ist“, sagt der Schaffner das Ärgernis des zornigen Reisenden wohl reflektierend, als er weiterzieht und bei einer Familie - mit Plätzen, aber ohne Reservierung - die Fahrkarten kontrolliert. Deren Kinder dürfen nämlich gerade trotz der frühen Uhrzeit diese Süßigkeit verzehren.

Bei den rund herum Sitzenden kommt der klassisch österreichisch wirkende Schmäh des Schaffners gut an, viele schmunzeln. Ob das im ganzen Zug der Fall ist, der Wien über Klagenfurt, Villach und Spittal-Millstätter See mit Lienz verbindet, erschließt sich nicht.

„Hallo, frohe Weihnachten, wollen Sie vielleicht ein kleines Stück Schokolade“, geht es jedenfalls süß weiter, als ein junger Mann mit ÖBB-Jacke durch den Zug geht und an die Reisende Mini-Schoki von einem österreichischen Qualitätshersteller verteilt. Ob dieser Trost auch den Weg zum Mann findet, dessen Reservierung nicht funktionierte, blieb offen.

Die ÖBB haben wie vielfach berichtet, seit Ende der Coronakrise immense Passagier-Zuwächse in den Reisezügen und erwarten für heuer einen neuen Allzeitrekord. Wegen höherer Gewalt fehlende Railjets sorgten zuletzt für mehr Ärgernisse auf der Südbahn, dieser Tage fahren aber wieder alle der 60 Züge großen Flotte. Bis Mitte Jänner kommt es auf der Weststrecke noch zu Ausfällen von einigen Verstärkerzügen täglich.