Die Seychellen haben eine bisher vorbildliche Impfkampagne gegen Covid-19 gefahren. Rund 71 Prozent der Menschen haben mindestens eine Dosis eines Covid-Impfstoffs erhalten, 62 Prozent der Inselbewohner sind bereits vollständig geimpft. Von diesen haben 57 Prozent den chinesischen Sinopharm-Impfstoff und 43 Prozent das britische AstraZeneca-Vakzin erhalten. Trotzdem meldet das Land seit Ende April wieder einen Anstieg der Fälle, wobei 37 Pozent der neuen aktiven Fälle und 20 Prozent der Krankenhausfälle vollständig geimpft waren.

Australiens führende Epidemiologin Raina Macintyre von der Universität von New South Wales (UNSW) in Sydney hat nun eine Analyse im akademischen Magazin The Conversation veröffentlicht, die erklärt, woran die Kampagne gescheitert sein könnte und was nun zu tun ist. Laut Macintyre wurde die Herdenimmunität auf den Seychellen – trotz der hohen Impfquote im Vergleich zum Rest der Welt – ganz offensichtlich nicht erreicht.

Lernkurve für den Rest der Welt

Mehrere Gründe können laut der Expertin dafür verantwortlich sein: Zum einen kann dies daran liegen, dass eine Impfrate über 62 Prozent im Hinblick auf die verwendeten Impfstoffe nicht ausreichend ist oder dass die Wirksamkeit der beiden verwendeten Impfstoffe nicht hoch genug ist. Zum anderen könnte es an den Covid-Varianten liegen, die auf den Seychellen dominieren. Beispielsweise scheint die indische Variante B1617 ansteckender zu sein als andere Varianten. Möglich wäre aber laut der Expertin auch, dass Massenausfälle der für Transport und Lagerung erforderlichen Kühlkettenlogistik einen Teil der Impfstoffe unwirksam gemacht haben.

Macintyre glaubt, dass andere Länder von den Problemen auf den Seychellen lernen können. Ein besonders wichtiger Aspekt dabei sei, dass der jeweilige Impfschutz nicht für alle Virusvarianten gleich hoch sei, so die Epidemiologin. Beispielsweise soll die südafrikanische Variante B.1.351 auf den Seychellen im Umlauf sein und dieser Variante ist es bisher am besten von allen Covid-Varianten gelungen, „dem Impfschutz zu entkommen“, schrieb Macintyre. Eine südafrikanische Studie kam zu dem Ergebnis, dass das AstraZeneca-Vakzin beispielsweise nur eine Wirksamkeit von 0-10 Prozent gegen diese Variante aufweist. Die Regierung Südafrikas stellte deswegen die Impfung mit AstraZeneca bereits im Februar ein. Laut der australischen Expertin ist auch die Wirksamkeit des Sinopharm-Impfstoffs gegen diese Variante ungewiss. Sie vermutet anhand von Laborstudien, dass er aber zumindest „einen gewissen Schutz“ liefert.

Israel und USA sehen Erfolge

In ihrer Analyse hielt Macintyre die auf der mRNA-Technologie beruhenden Impfstoffe von BioNTech-Pfizer und Moderna dagegen. Als Beispiel führte die Wissenschaftlerin die USA an, die ebenfalls mit einer ansteckenderen Variante zu kämpfen hatten – nämlich der britischen Variante B117. „Die USA erzielten jedoch durch Impfungen immer noch eine dramatische Reduzierung der Covid-19-Fälle, wobei die meisten Menschen die Impfstoffe Pfizer und Moderna erhielten“, schrieb Macintyre. Auch Israel, wo ebenfalls die britische Variante dominiere, habe dank einer sehr hohen Impfrate – fast 60 Prozent der Bevölkerung wurden mit BioNTech-Pfizer geimpft – einen starken Rückgang an Neuinfektionen verzeichnet. Großbritannien, das inzwischen über die Hälfte seiner Bevölkerung einmal und fast 30 Prozent vollständig geimpft hat, hat eine Kombination von BioNTech-Pfizer und AstraZeneca verwendet. Auch dies habe zu einem deutlichen Rückgang der Fallzahlen geführt, schlussfolgerte die Forscherin. Gleichzeitig verwies die Expertin aber auch auf einen neuen Coronaausbruch im Nordwesten Englands, wo die indische Variante des Virus sich ausbreitet. Diese Variante verursacht derzeit auch Probleme in Singapur, das das Virus zuvor gut kontrolliert hatte.

Laut der australischen Epidemiologin müssen die Seychellen nun dringend eine Genomsequenzierung und -überwachung durchführen, um festzustellen, welche Varianten hauptsächlich vorherrschen. „Wenn die südafrikanische Variante dominiert, muss das Land einen Impfstoff verwenden, der gut dagegen wirkt“, schrieb sie in ihrer Analyse. Viele Unternehmen würden für diese Variante Booster herstellen, aber BioNTech-Pfizer wäre zumindest vorerst die beste Option. Sie zitierte dabei eine Studie aus dem Emirat Katar, die fand, dass der Impfstoff eine Wirksamkeit von 75 Prozent gegenüber der südafrikanischen Variante hat.

Gesamte Welt „muss geimpft werden“

Grundsätzlich gelte: Verwende ein Land Impfstoffe mit geringerer Wirksamkeit, so müssten sich mehr Menschen impfen lassen, um eine Herdenimmunität zu erreichen. „Wenn der Impfstoff zu 60 Prozent wirksam ist, steigt der Anteil, der geimpft werden muss, auf 100 Prozent“, so Macintyre. „Wenn Sie eine Wirksamkeit von weniger als 60 Prozent erreichen, so ist eine Herdenimmunität nicht erreichbar.“ Allerdings würden diese Rechnungen für die bisherige Virusvariante gelten, die das Jahr 2020 beherrscht hat. Die neuen Varianten, die deutlich ansteckender sind, würden eine nochmal höhere Impfquote erfordern, um eine Impfkampagne erfolgreich zu machen, schrieb die Expertin. Wichtig dabei: „Impfstoffe mit geringerer Wirksamkeit können hoch ansteckende Varianten nicht effektiv bekämpfen.“

Laut Macintyre ist der einzige Weg, um die Pandemie zu beenden, die gesamte Weltbevölkerung zu impfen. „Da sich die Pandemie in einigen Teilen der Welt weiter verschlimmert, steigt das Risiko gefährlicherer Mutationen, die gegen Impfstoffe resistent oder zu ansteckend sind, um mit aktuellen Impfstoffen bekämpft zu werden“, schrieb sie. Deswegen laute ihre Botschaft: „Je früher wir die ganze Welt impfen lassen, desto eher werden wir die Entstehung neuer Varianten kontrollieren.“