Das Täuschungsmanöver scheint perfekt zu funktionieren: „Wie ist es möglich, dass eine so schöne Frau keinen Freund hat?“, schrieb ein prominenter deutscher Fußballer in einer liebestollen Direktnachricht an Emily Pellegrini. Sie haben diesen Namen noch nie gehört? Das hat einen guten Grund. Frau Pellegrini – man beachte den schnittig ausgedachten Namen – gibt es nämlich noch nicht allzu lange. Und: Nichts an ihr ist im eigentlichen Sinne echt.

Virtuell, willenlos und rund um die Uhr einsetzbar

Die Bilderbuchschönheit gehört zu einer neuen Generation von „Influencerinnen“, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Der Clou: Sie ist virtuell, besteht Bits und Pixels – ein programmiertes Model, hinter der eine millionenschwere Wirtschaft steht. Pellegrini entstammt einer Armada aus KI-Models – andere heißen Milla Sofia oder Aitana Lopez (siehe Bilder). Die Gesichter in perfekter Symmetrie und ebenmäßig wie aus Alabaster, die offenherzig hergezeigte Figur makellos und auf ihre Art täuschend realistisch. Die enorme Bandbreite – echter und natürlicher! – fraulicher Attraktivität wird hier für einen Massenmarkt digital „weggebügelt“.

Milla Sofia, ein „24-jähriges Robotermädchen aus Finnland“
Milla Sofia, ein „24-jähriges Robotermädchen aus Finnland“ © Instagram/Milla Sofia

Das Konzept geht auf: KI-Models bzw. vielmehr die Hightechfirmen dahinter scheffeln mit der Scharade Unsummen. Generierte Influencerinnen haben keine variierende Tagesform, können ohne jede Pause durcharbeiten, machen alles, was man ihnen aufträgt. Social-Media-Star Pellegrini, laut Marketingkonzept ein „Mädchen, das Spaß liebt“, hat übrigens eine – nur in Nuancen anders aussehende – „Schwester“.

Christoph Holz, Vortragsredner, Podcaster und Lektor für digitale Ethik an der FH Steyr © Robert Staudinger

KI-Experte Christoph Holz umschreibt im Interview die Vorzüge: „KI-generierte Influencerinnen wie Aitana Lopez können bei Bedarf sofort an neue Gegebenheiten oder Produkte angepasst werden. Der Content geht nie aus. Sie sprechen jede Sprache der Welt und erlauben daher konsistente Werbebotschaften auf der ganzen Welt. Und sie können einer Marke nicht durch private Skandale schaden!“ Und die Einnahmequellen? „Auch wenn die größten Umsätze im Erotikbereich gemacht werden, gibt es eine Menge seriöser Anwendungsbereiche. Um in verschiedenen Märkten glaubwürdig anzukommen, mussten beispielsweise Modelabels bislang für jedes Land und jede Zielgruppe aufwändig eigene Fotoserien produzieren. Heute kann ich ein KI-Model nach meinem Aussehen konfigurieren und mir anschauen, wie ein bestimmtes Kleidungsstück auf einer Party oder bei der Arbeit wirkt.“

Natürlich gibt es von den virtuellen Influencerinnen nicht nur Standbilder. Sie sprechen, tanzen, turnen, bewegen sich wie ein echter Mensch – und manche veröffentlichten bereits virale Songs auf YouTube. Ihr Gesicht wird dafür mittels KI auf den Körper eines Menschen „projiziert“ – ein sogenannter „Deepfake“ als dahingelogenes Gesamtpaket, mit dem etwa in der Politik schon längst manches Schindluder betrieben wird. 

Spielt Unsummen ein: Fitness-Influencerin Aitana Lopez
Spielt Unsummen ein: Fitness-Influencerin Aitana Lopez © Instagram/Aitana Lopez

Die Neue Zürcher Zeitung versuchte jüngst einen Chat mit Pellegrini und bekam schlagfertige Antworten: „Hi, Emily, du siehst toll aus. Bist du wach?“, schrieb man ihr auf der Plattform „Fanvue“. Dort teilt sie für neun Dollar pro Monat Bilder und Videos mit Abonnenten. „Danke für das Kompliment, woher kommst du?“. Die NZZ: „Aus der Schweiz, du?“ Pellegrini: „Ich bin aus Italien, Liebster.“ Auf die aufrührerische Frage, ob sie echt sei: „Hehe, natürlich bin ich echt, Baby. Warum fragst du?“

Der „Schöpfer“ hinter der großbusigen Schönheit mit der Wespentaille und den weiblichen Hüften bleibt bislang anonym. Laut eigenen Angaben verdient er mit dem Geschäftsmodell – und nichts anderes sind KI-Models – bereits Zehntausende Euro pro Monat, Tendenz stark steigend. Die einen verstehen die Täuschung nicht, die anderen steigen bereitwillig darauf ein. Und die Werbewirtschaft? Wirft den virtuellen Models bzw. den Firmen dahinter längst Angebote nach.

Dass Kollegin Milla Sofia, eine „24-Jährige aus Finnland“, sich in sozialen Medien selbst als „Roboter-Mädchen aus Helsinki“ und „Feministin“ bezeichnet, scheint trotzdem nicht bei allen Followern das Licht aufgehen zu lassen. Sie sei noch „am Überlegen, für welche Marke sie Modebotschafterin werden will“. Was über Kooperationspartner verdient wird, streifen die Hightech-Firmen ohne Abzüge ein.

Ist das Künstliche die neue Realität?

Ethisch betrachtet wirft das technisch Mögliche gewichtige Grundfragen auf: Wie weit entfernt sich Homo sapiens vom tatsächlich Menschlichen? Was ist die Langzeitstrategie hinter den KI-Grazien? Was können all die unwahren KI-Models bei Mädchen und jungen Frauen auslösen? KI-Experte Holz bilanziert: „Es braucht keine wissenschaftliche Analyse, um zu sehen, dass Schönheitsideale und sexualisierende Merkmale überbetont werden. KI-Models haben keine Schamgrenze, was die Einnahmen auf kostenpflichtigen Abo-Plattformen sprudeln lässt.“

Der Vortragsredner, Podcaster und Lektor für digitale Ethik an der FH Steyr, nicht ohne Ironie: „Menschen, die von solchen Abbildungen besonders angesprochen werden, nennt man im Volksmund auch Männer. Aller Gleichberechtigung zum Trotz bleiben wir Männer recht einfach gestrickt. Wichtiger als die Realitätstreue ist die Geschichte, die im Kopf entsteht.“

Am Ende ist es eine gar nicht so schöne neue Scheinwelt. Man bewahre das Wahre: Auch das kann die Botschaft hinter den sonderbar farblosen KI-Models aus dem Digitallabor sein.