Sie komme zwar spät, dennoch sei es nicht übertrieben, von einer "geldpolitischen Zeitenwende zu sprechen", betont Peter Brezinschek Chefanalyst der RBI. Die Europäische Zentralbank hat sich entschieden – vor dem Hintergrund einer Rekordinflation von 8,1 Prozent in der Euro-Zone – eine Normalisierung der Geldpolitik einzuläuten. Dafür laufen mit Juli die milliardenschweren Anleihenkaufprogramme aus, dann wird der – derzeit negative – Einlagenzinssatz (zu dem Banken bei der EZB Geld parken können) angehoben. Bei der nächsten Zinssitzung im Juli steigt dann, erstmals seit elf Jahren, auch der Leitzinssatz um 25 Basispunkte auf 0,25 Prozent. EZB-Präsidentin Christine Lagarde machte aber deutlich, dass dies nur der Anfang einer Serie von Zinserhöhungen in diesem Jahr sein dürfte. Gerechnet wird nun mit vier Erhöhungen in diesem Jahr. "Der EZB-Rat geht davon aus, dass er die EZB-Leitzinsen im September erneut anheben wird." Dann sei auch "ein größerer Zinsschritt" möglich, sollten die mittelfristigen Inflationsaussichten unverändert bleiben oder sich verschlechtern, wie Lagarde erläuterte. Die Normalisierung der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik sei "nicht nur ein Schritt, es ist eine Reise".
Brezinschek hält es daher für realistisch, dass der Leitzins im Dezember bei 1,25 Prozent liegt. "Das wäre ein deutlich stärkeres Signal als von vielen erwartet wurde." Unmittelbar wirkten sich diese Ankündigungen auf die Renditen von zehnjährigen Staatsanleihen aus. Diese lagen für Österreich noch vor wenigen Monaten im negativen Bereich und kratzten gestern – infolge der EZB-Beschlüsse – an der Marke von zwei Prozent.