Wie kann es nach der schrecklichen Amoktat für die Schüler und das Lehrpersonal des BORG Dreierschützengasse aber auch die Angehörigen weitergehen. Darauf und auf die Frage, welche Maßnahmen künftig getroffen werden sollten, suchte Margit Laufer in der ZiB2 zusammen mit der Notfallpsychologin Barbara Juen vom Roten Kreuz Antworten.
Derzeit stehe vor allem die Akutbetreuung der Schüler, der Lehrer und der Angehörigen im Fokus, so die Notfallpsychologin. „Am Anfang geht es darum, zu verstehen, was eigentlich passiert ist, und zusammen zu sein“, erklärt Barbara Juen. Bei den Jugendlichen gehe es aber auch darum, sich abzulenken, um nicht immer an das schreckliche Ereignis denken zu müssen. Auch bei den Eltern gehe es darum, was geschehen ist, zu begreifen.
Nach Akutphase langsam Schulräume wieder zurückerobern
Bei den direkt Betroffenen, also den Angehörigen der Opfer, stehe nun besonders das Erfassen im Vordergrund, dass man einen Angehörigen verloren hat. Hier gelte es, die „heftigen Gefühle, aber auch die Trauer zunächst einmal auszuhalten“, so die Notfallpsychologin. Der nächste Schritt bei den Hinterbliebenen sei dann, zu überlegen, wie man sich von den Verstorbenen verabschieden wolle, wie die Beerdigung gestaltet werden soll, oder welche Rituale bei der Trauerbearbeitung helfen können. Erst „Und dann kommt natürlich die Frage, wie können wir wieder in den (Schul-)Alltag zurückkehren.“
In dieser Akutphase braucht es laut Juen gute Konzepte und Begleitung. „Es geht darum, sich das Gebäude und die Klassenräume wieder zurückzuerobern, was anfangs mit viel Angst verbunden ist“, beschreibt Juen diesen Schritt. Dabei sei vor allem ein langsames Heranführen an den Ort der Amoktat notwendig. „Vor allem noch bevor man zum eigentlichen Schulunterricht zurückkehrt“, betont die Notfallpsychologin. Wichtig sei es, Rituale zu finden, wie sich die Schüler in der Schule und den Klassenzimmern wieder sicher fühlen könnten.
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Aufstockung bei Schulpsychologen nötig
Das gelte auch für die Lehrer, die sich als Betroffene und Helfende in einer doppelten Belastungssituation wiederfänden. Hier sind Schulpsychologen, -sozialarbeiter und -ärzte besonders gefordert - sowohl in der Nachsorge als auch in der Prävention. Doch genau bei den Fachkräften sieht die Notfallpsychologin ein großes Defizit. „Die Versorgung ist denkbar schlecht“, konstatiert Juen und verweist auf Deutschland. Hier habe es nach dem Amoklauf in Winnenden enorme Aufstockung bei den Schulpsychologen gegeben.
Nachbesserungsbedarf sieht Barbara Juen auch bei den Gutachten, die aktuell für den Besitz einer Waffe nötig sind. Aktuell konzentrierten sich die Tests vor allem auf die Stressresistenz, das aus Sicht der Expertin viel wichtigere Explorationsgespräch (Untersuchung von Persönlichkeitseigenschaften, Interessen, Werthaltungen, Einstellungen, Problemen und Denkweisen der Testperson, Anm.) werde im Gesetz aktuell nur angeregt, aber nicht vorgeschrieben. „Rein aus den Tests kann man nicht erkennen, ob er geeignet ist“, betont Juen. Grundvoraussetzung sei bei den Gutachten, sich für die Testperson ausreichend Zeit zu nehmen.
Regelmäßige psychologische Überprüfung von Waffenbesitzern
Dies erkläre aus Sicht der Psychologin auch den Widerspruch, warum der Amoktäter den psychologischen Test bei der Stellung nicht bestanden habe, das Gutachten für den Waffenbesitz aber schon. „Hier werden unterschiedliche Tests durchgeführt und unterschiedliche Bereiche abgefragt, daher sind diese Tests schwer miteinander vergleichbar.“
Auch eine regelmäßige psychologische Überprüfung von Waffenbesitzern ist aus Sicht der Expertin sinnvoll. Die Tests müssten auch regelmäßig dem neuesten wissenschaftlichen Standard angepasst werden. „Hier müsste die aktuelle Verordnung nachgebessert werden“, empfiehlt Juen.
Zu den am Donnerstagabend durchgesickerten Plänen der Regierung, die Waffengesetze zu verschärfen, sagte Juen: „Unser aller Bedürfnis ist derzeit, so schnell wie möglich wieder Sicherheit herzustellen. Da scheinen schnelle Vorschläge und kleine Änderungen aus der Politik auf den ersten Blick zu helfen. Aber ich befürchte, dass das eine komplexere Problematik ist.“