Sie haben am 29. September, an Ihrem 62. Geburtstag, Ihr zweites Buch vorgestellt. Wie kam es dazu, dass „Ich darf alles“ entstand?
HUBERT NEUPER: Ich war auf der Suche nach Antworten auf die Frage, warum ich immer wieder in Krisen gerate. Antworten, die sich aus dem Geschriebenen ergeben, wenn man sich vorhantelt, das Ego überlistend – bis man draufkommt, warum man so ist, wie man ist. Das Buch ist dann beinahe ein Kollateralergebnis. Es ging an sich um die Suche nach Antworten.

Warum brauchten Sie die?
Ich habe mir immer wieder durch mein eigenes Denken unangenehme Lebenssituationen erschaffen, die oft nichts mit der Realität zu tun hatten. Ich hatte etwa das Gefühl, dass da Menschen sind, die mir etwas angetan haben. In der Reflexion erkannte ich, dass ich es selbst war, der auf das Verhalten anderer Menschen unangenehm reagiert hat. Ich habe mit meinem Denken unangenehme Lebensumstände erschaffen, immer wieder Vergangenes ins Jetzt geholt.

Sie haben schon 2003 nach einem Burnout ein Buch geschrieben. Was ist der Unterschied zum neuen Buch?
Damals war der Auslöser ein Artikel, in dem mir vorgeworfen wurde, Steuergeld in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Obwohl vor Gericht das Gegenteil bewiesen wurde, blieb der Gedanke, etwas falsch gemacht zu haben. Ein Trigger, dem ich folgte, wie so oft zuvor: Es kam die Angst, nicht zu genügen. Damals bin ich geflüchtet, habe das Buch geschrieben, dachte, die Zeit heilt alle Wunden. Das war ein Irrtum. Ich habe mich nicht geheilt, ich hatte nur verdrängt. Und dann passierte Ähnliches vor drei Jahren wieder.

Bei der Präsentation in Graz dabei: Opus um "Mastermind" Ewald Pfleger
Bei der Präsentation in Graz dabei: Opus um "Mastermind" Ewald Pfleger © ACTS/Thaller/KK

Warum?
25 Jahre war ich OK-Chef beim Skifliegen am Kulm. Ich fühlte mich aufgrund mancher Begleitumstände wieder ungenügend und verraten, der Reflex war wieder Flucht – diesmal nach Dubai. Und plötzlich war das, was ich 2003 nur verdrängt hatte, wieder da – alle Glaubenssätze waren wieder da. Und ich erkannte, dass man hinschauen muss, um zu heilen. Man muss erkennen und annehmen, nicht verdrängen; ohne Bedingungen, ohne Wenn und Aber – und egal, ob es dir passt, was du siehst oder nicht.

Was brachte das Hinsehen?
Ich habe erkannt, dass alles, was passiert, nur ein Ereignis ist. Erst der Verstand liefert die Bewertung – gut oder schlecht. Annehmen bedeutet, diese Bewertung wegzulassen. Denn erst, wenn man imstande ist, etwas neutral zu sehen, kann man eigenes Verhalten ändern. Das dauert seine Zeit, denn lange automatisiertes Verhalten ist deinem Ego lieber als Veränderung – aber die braucht es.

Ihr Buch heißt „Ich darf alles“ – ein Aufruf zur Anarchie? Soll man keinen Regeln mehr folgen müssen?
Nein, so ist das nicht zu verstehen. „Ich darf alles“ erinnert mich daran, meiner Intuition zu folgen. Dem Bauchgefühl, das uns immer den richtigen Weg zeigt, dass wir alle vor Entscheidungen haben. Man sollte dem Bauchgefühl folgen, auch wenn der denkende Verstand Argumente bringt, es nicht zu tun. Erkenne ich heute, dass mein Verstand wider die Intuition entscheiden will, erkläre ich dem Verstand: „Ich darf alles!“

Ist Ihr Buch also als Ratgeber zu verstehen?
Es wäre anmaßend, anderen Menschen unaufgefordert Rat zu geben. Es ist sogar unmöglich, andere Menschen zu ändern, das kann jeder nur selbst. Ich habe nur erkannt, dass es eine große Herausforderung ist, davon wegzukommen, dass dich der Verstand benützt – und es ist ein Prozess, bis es gelingt, dass du ihn für deine Zwecke einsetzen musst.

Gibt es ein Beispiel aus dem Alltag?
Wenn man Enttäuschungen erlebt, dann glaubt man, dass andere Menschen Schuld daran haben. Das ist ein Verhalten, das ich geändert habe. Wenn ich spüre, dass mein Verstand mir sagt, dass andere Schuld tragen, dann versuche ich, denjenigen zu kontaktieren, mit ihm zu reden. Und so verhindere ich, eine Sache so lang zu rationalisieren, bis ich einen Sündenbock habe. Ziel ist es nicht, den Verstand zu besiegen. Sondern, dass er ein Instrument ist, das wir benützen können. Tun wir das, hören wir auf, eine Rolle zu spielen, stellen uns an die erste Stelle.