Ein nachmittäglicher Streifzug durch den Ortskern von Oberstdorf wurde zum Spießrutenlauf. Die teils engen Gassen waren verstopft mit jungen und gealterten Skisprungfans, an jeder zweiten Hausecke wummerte Ballermann-Musik aus den Boxen, floss der Alkohol in Strömen und grölten Herr und Frau Deutschländer um die Wette. Eine ausgelassene Stimmung, als hätte ein DSV-Adler die mittlerweile 24 Jahre anhaltende Durststrecke, in der kein Springer unseren nördlichen Nachbarn den Tournee-Gesamtsieg holen konnte, beendet.

Wenige Stunden später wurde die deutsche Fangemeinschaft (mit 25.500 Zuschauern meldete die Schattenberg-Arena ein ausverkauftes Haus) von der knallharten Realität eingeholt. Denn der Triumph bei der 74. Vierschanzentournee wird wohl ein weiteres Mal nicht über einen ihrer Weitenjäger führen. Nicht etwa, weil die Deutschen einen Topfen gesprungen wären, sondern vor allem, weil es Domen Prevc gibt.

Erster slowenischer Sieg

Der 26-Jährige, der die bisherige Saison mit mittlerweile sechs Tagessiegen dominiert, feierte in Oberstdorf nicht nur einen überragenden Triumph, sondern holte für sein Heimatland Slowenien auch den ersten Sieg im Oberallgäu überhaupt. Und das in beeindruckender Manier – so beträgt der Vorsprung auf den ersten Verfolger, den Österreicher und Titelverteidiger Daniel Tschofenig, bereits 17,5 Punkte. Das sind umgerechnet rund zehn Meter. Eine Welt im Skispringen.

„Ich will den Moment genießen und so weitermachen. Wenn die Dinge einfach ausschauen, ist man auf einem hohen Level. Dahinter steckt viel Arbeit. Für mich ist es jetzt leichter, weil ich gezeigt habe, dass ich es kann und der Druck weniger ist“, sagte der „Domenator“, dessen Landsmann Timi Zajc sich zuerst noch den zweiten Platz punktegleich mit Tschofenig teilte, nach der Materialkontrolle aber nachträglich disqualifiziert wurde. Die Beinlänge des Anzugs war um drei Millimeter zu lang.

„Kein Sprint, sondern ein Marathon“

Tschofenig schwebte nach seinem Auftritt auf Wolke sieben: „Ein extrem genialer Wettkampf – vor allem nach den letzten Wochen, die echt schwierig waren. Vor so einer tollen Kulisse so coole Sprünge runterzuklopfen, ist einfach super“, freute sich der 23-jährige Achomitzer, der den Kampf um den Gesamtsieg trotz des Riesenvorsprungs von Prevc noch nicht als entschieden sieht: „In Oberstdorf kann man nur verlieren, aber nichts gewinnen. Die Tournee ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Wir werden weiterarbeiten und schauen, was am Ende rausschaut.“

OBERSTDORF,GERMANY,29.DEC.25 - NORDIC SKIING, SKI JUMPING - FIS World Cup, Four Hills Tournament, large hill, men. Image shows the rejoicing of Daniel Tschofenig (AUT). Keywords: trophy. Photo: GEPA pictures/ Thomas Bachun
Kann zufrieden sein: Daniel Tschofenig © GEPA pictures

Hinter dem drittplatzierten Deutschen Felix Hoffmann landete Jan Hörl, der nach dem ersten Durchgang noch auf Position zwei gelegen war, auf dem vierten Rang: „Ich habe mich in der Gesamtwertung gut positioniert, auch wenn der zweite Sprung nicht mehr so toll war. Aber ich freue mich vor allem über die Steigerung gegenüber den letzten Wochen“, sagt der Salzburger, der auch Teamkollegen Tschofenig zu seiner Leistung mit folgenden Worten gratulierte: „Tschofe ist eben eine Wettkampfsau!“

Fünf ÖSV-Adler in den Top neun

Apropos Leistung – die war vom gesamten österreichischen Team stark: Gleich fünf ÖSV-Adler setzten in den Top neun auf: Die Jungspunde Stephan Embacher (7.) und Jonas Schuster (8.) reihten sich sogar noch vor Schanzenstar Stefan Kraft (9.) ein. Schuster war nach dem ersten Durchgang noch auf Platz drei gelegen, aber: „Der zweite Sprung war nicht so gut. Trotzdem war es eine super Erfahrung, als Drittletzter dort oben zu sitzen. Dass es nicht fürs Podest gereicht hat, gehört zum Lernprozess dazu. Jetzt freue ich mich auf Garmisch.“

Dort werden die Österreicher nach dem Ruhetag am Dienstag in der Qualifikation am Mittwoch zum ersten Angriff auf Domen Prevc blasen.