Ein Heuriger in Wien, auf der anderen Seite der Donau. Christ ist ein Traditionsbetrieb, seit 400 Jahren wurde hier Landwirtschaft betrieben, seit einem halben Jahrhundert geht es um Wein. Der beste Ort, um eine alte Tradition wieder auferstehen zu lassen: den Heurigen – fast ein halbes Jahr vor den Erste Bank Open, Österreichs größtem Tennisturnier. Dieses ist gesünder denn je, die VIP-Tickets sind jetzt schon so gut wie vollständig vergriffen, der Vorverkauf liegt 40 Prozent (!) über der Marke des Vorjahres – und das war ein Rekordjahr. Herwig Straka kann beruhigt sagen: "Tennis boomt. Das merkt man auch bei uns."

Hinter ihm steht Thomas Muster, Österreichs Nummer eins. Die meiste Zeit des Jahres meidet er die Öffentlichkeit ("Mir ist lieber, es steht nichts über mich in der Zeitung, daher rede ich nichts"), nur für das Wiener Turnier macht er als Botschafter eine Ausnahme, hat etwa "Tom's Talk" etabliert, mit illustren Gästen. Und er nimmt sich nach wie vor kein Blatt vor den Mund. Erst recht nicht, wenn es um Dominic Thiem geht, der zuletzt mit der letztlich verlorenen Partie in Madrid gegen Stefanos Tsitsipas wieder Anlass zur Hoffnung gab. 

Muster: "Danach weiß man es immer besser"

Auch Muster verfolgt Thiem. Nicht aus Sentimentalität oder Schadenfreude, weil die Zeit als Trainer eine kurze war. "Dabei hätte ich das für niemand anderen als Dominic gemacht", fügt er an. Doch sah er sich jede Partie des 29-Jährigen in den vergangenen drei Jahren an. Und stellt eiskalt fest: "Dominic hat in den letzten drei Jahren viele katastrophale Entscheidungen getroffen. Aber im Moment ist man eben immer nur so gescheit, wie man ist. Danach weiß man es immer besser."

Von links: Werner Christ, Thomas Muster und Herwig Straka
Von links: Werner Christ, Thomas Muster und Herwig Straka © GEPA pictures/ Edgar Eisner

Was sowohl Muster als auch Ex-Manager Herwig Straka goutieren: die Trennung von Trainer Nico Massu. "Ich schätze ihn sehr2, sagt Muster, "aber das hätte man schon vor der Saison machen müssen." Nachsatz: "Aber dass Dominic nicht der Entscheidungsfreudigste ist, hat er ja schon oft bewiesen." Aber es gelte nicht, Fehler der Vergangenheit zu suchen (und zu finden), sondern in die Zukunft zu schauen: "Er hat noch einige Jahre vor sich. Ich traue ihm schon heuer wieder die Top 30, Top 40 zu – wenn er fit ist."

Klar sei, dass seine Aussage nach der Verletzung: "Es dauert dreimal so lange, um dahin zurückzukommen, wo man war", stimmt. "Er braucht die Technik, den Speed und das Spiel, dass er produzieren kann. Und dafür einen Coach, der ihn wieder in die Spur bringt. Diese Entscheidung ist ja nun gefallen." Eine Entscheidung, die schon viel verändern könne. Und, stellt Muster klar: "Was im Hintergrund passiert, dazu will und kann ich mich gar nicht äußern." Ihn interessiere es, Thiem zu verfolgen, zu sehen, wie er psychisch und spielerisch das gestellte Problem löse. 

Bisher allerdings sei klar gewesen, dass es nicht klappen konnte. "Dominic war nicht matchfit. Vielleicht aber hat es die Tiefpunkte gebraucht", sagt Muster. Und was der 55-Jährige auch sagt: "Er muss sich neu erfinden. Sechs Meter hinter der Grundlinie kannst du kein Match gewinnen. Mitunter hatte er bei einigen Turnieren ja Glück, dass es keine Linienrichter mehr gibt." Was klar sei: Um wieder nach vorne zu rücken, das Spiel zu diktieren, brauche es Selbstvertrauen. Und das bekomme man nur über Matchfitness – und viel Training. "Dominic ist ein Spieler, der hohe Wiederholungszahlen braucht, der alles einschleifen muss. Und es ist eben so: Bei einem Comeback musst du einmal so gut werden wie davor – und dann noch besser, weil das Tennis nicht stehen bleibt."

Mitleid gibt es von der Konkurrenz keines mehr

Er, Muster, wisse, wovon er spreche. Auch nach seiner Verletzung ("Aber ich habe nach sechs Monaten wieder gespielt, obwohl alle Bänder im Knie kaputt waren") habe er die Rückkehr 1990 gut geschafft, danach kam ein Loch: "1991 war ein Totalausfall, dann habe ich drei Jahre gebraucht, um die Kurve zu kriegen." Das Problem: die Motivation. "Es kommt das Alter, in dem du merkst, dass es andere Sachen gibt. Aber irgendwann musst du dich entscheiden, ob es dein Beruf ist und bleiben soll. Und dann musst du durch."

Es gebe Unterschiede zwischen den beiden: "Mein Grand-Slam-Sieg war im letzten Abdruck der Karriere, er war erwartet. Wir hätten erwartet, dass Thiem Paris gewinnt, aber dann sind die US Open passiert – unerwartet und viel früher als erwartet. Und dann kam das Loch. Er muss sich sagen: Jetzt erst recht!" Die ersten Schritte seien nun gemacht: "Am Anfang gab es beim Shakehands noch Mitleid von der Konkurrenz. Jetzt geht es in die richtige Richtung. Und klar ist: Keiner der Gesetzten will in der ersten Runde gegen Thiem spielen müssen. Deshalb kann auch schon in Paris was passieren, wenn er früh einen Großen rausnimmt." Der Zug sei noch nicht abgefahren.