Silber für Sie bei den Paralympischen Spielen in Tokio, aber was gibt es für "Sailor’s Blue"?
PEPO PUCH:
Er hat gleich ein paar Äpfel bekommen. Dann hatte er aber riesiges Pech. Er ist zurück in die Box gekommen und hat gepinkelt. Jetzt muss er drei, vier Stunden drinnen warten, bis die Dopingkontrolleure genug Urin haben. Die stehen jetzt mit dem Häferl daneben und warten.

Sie haben mit ihrer Darbietung trotz eines Fehlers die Führung übernommen, aber es kamen noch sechs Reiter. Wie war es, warten zu müssen?
Natürlich ist es schön, wenn es aufgeht. Man hofft ja nicht auf die Fehler der anderen, sondern will mit seiner eigenen Leistung brillieren.

Wie war es mit der Nervosität?
Die fällt mit dem Absteigen vom Pferd weg, weil du weißt, dass du nichts mehr ändern kannst. Dann kann man nur noch reflektieren. Als Sportler soll man in die Zukunft denken und nicht in der Vergangenheit schwelgen.

War es ein Erfolg der mentalen Stärke?
Du arbeitest in meiner Sporart mit einem Lebewesen zusammen. Das ist ein Pferd und kein Tennisracket. Als ich gemerkt habe, dass er sich sofort wieder bemüht, wusste ich, dass es geht. Man muss natürlich den Überblick behalten und darf sich nicht über irgendetwas ärgern. Denn dann ist alles verhaut.

Gleich zu Beginn unterlief Ihnen und "Sailor's Blue" ein schwer Fehler. Was ist passiert?
Das Pferd hat sich erschreckt und hat zu galoppieren begonnen, aber das darf "Sailor's Blue" nicht. Ich habe das nicht erwartet. Ich habe die Selektion damit komplett geschmissen und keine Noten bekommen. Das ist doppelt teuer, denn die Punkte fließen in die Schlussnote ein. Ich muss das Ergebnis akzeptieren, aber es wäre mehr möglich gewesen.

War die Situation kritisch?
Nein. Es ist ja nur so, dass wir im Bewerb nicht galoppieren dürfen. Aber der Galopp ist ja die schönste Gangart, die es gibt, für mich auch Spastik-lösend. Der Schritt ist schwingend und löst. Der Trab ist ja nur eine Beutlerei, aber der Galopp macht eine lange, wellenartige Bewegung. Darum galoppiere ich zu Hause viel, weil ich da weniger Schmerzen habe. Eine Spastik kann man sich wie einen Muskelkrampf vorstellen. Ich habe die  vom Hals abwärts bis inklusive des Brustbereichs. Beim Reiten wird das weniger.

Wie lange werden sie denn noch reiten?
Alle sagen zu mir: 'Du bist so ein alter Hund, warum reitest du noch?' Und ich sage dann: Weil ich weniger Schmerzen habe.

Können Sie erahnen, wovor sich das Pferd erschreckt hat?
Ich bin immer wieder an diese Stelle hingekommen und dann wurde es auch besser. Ich kann ohnehin nicht viel lenken, aber hier konnte ich überhaupt nichts tun. Jeder kann sich aber einmal erschrecken, und kurz darauf war er wieder artig. Mein Pferd ist wahnsinnig wach und elektrisch. Das ist einerseits Qualität  aber jetzt hat es leider nicht ganz so funktioniert.

Gegen Ende des Programms ist dann auch noch die Feuerwehr mit lauter Sirene in der Nähe vorbeigefahren. Was habe Sie da gemacht?
Ich habe mit ihm geredet und mich tiefer in ihn hineingedacht. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht uns gilt und wir unsere Sache durchziehen.

Was waren Ihre Gedanken nach dem Fehler?
Da bin ich dann nicht mehr volles Risiko gegangen. Für mich war wichtig, überhaupt noch in die Kür der besten Acht zu kommen. Ich bin mit angezogener Handbremse heimgeritten. Auch, damit ich für die nächsten Bewerbe, für den Teamtest, nicht überdrehe. Ich dachte, der Zug sei leider eh schon abgefahren.

Kann es sein, dass sich das Pferd am eigenen Schatten erschrocken hat?
Mein Pferd war ein Vielseitigkeits-Pferd. Er kennt das. Er geht viel raus, ist Straßenverkehr, Wasserpassagen und Klettern gewohnt. Wir versuchen, unsere Pferde möglichst breit zu trainieren, damit sie auch Spaß haben. Der eigene Schatten sollte theoretisch kein Problem sein.

Könnte es an der Geräuschkulisse liegen?
Ich weiß es nicht, könnte sein. Aber ich muss es erst analysieren. Alles andere wäre zu früh und Kaffeesud lesen.

Sie werden sich den Bewerb auf Video ansehen?
Genau. Es geht ja jetzt mit dem Teambewerb weiter. Es sieht so aus, als würden wir das Freestyle erreichen und damit haben wir auch wieder eine Chance. Wir müssen in die Richtung arbeiten, dass das funktioniert.

War die Hitze ein Problem?
Wir haben uns darauf eingestellt und gewusst, wie es sein wird. Für uns ist die Hitze überhaupt kein Thema, auch nicht für die Pferde. Wir haben unser Trinkmanagement und unsere Kühlsysteme. Wir wussten von Anfang an, dass wir 34 Grad und eine hohe Luftfeuchtigkeit haben werden.

Was für ein Pferd ist "Sailor's Blue"?
Er ist ein Trakehner von einem Hannoveranischen Blut. Das sind Sandro-Hits und bekannt dafür, dass sie sehr guckig (Anm. leicht schreckhaft) sind. Er wäre das eigentlich nicht, ist schon einige Championate gegangen, wo die Arenen kein Problem waren. Aber er ist Hannoveranisch gebrannt, also im Zuchtbuch von Hannover eingetragen. Seine Sensibilität, und dass er die ganze Zeit fragt, was er tun darf, ist eigentlich etwas Schönes. Aber übersensibel zu sein, kann in manchen Fällen auch nach hinten losgehen. Wir gewinnen aber nichts, wenn wir hier brav reiten. Wir müssen an die rote Linie gehen. Anfangs war er einfach kurz über dieser Linie, aber dann hat es wieder gepasst. So ist das bei Lebewesen.

War er dann böse oder sah er das ganz entspannt?
Er war überhaupt nicht böse. Er war sofort wieder bei sich und keinesfalls nachtragend.

Wie können Sie während des Ritts auf das Pferd einwirken?
Auf der einen Seite mit den Gewichtshilfen. Hier ist das Schauen sehr wichtig, ich muss die Linie vorschauen. Schaue ich nach rechts, stehe ich automatisch mehr am rechten Fuß. Natürlich ist das wahnsinnig schwierig, weil ich mit meiner Spastik sehr viel Bewegung drinnen habe. Sehr wichtig ist auch, dass ich mit ihm meditiere und ihn mental zu mir bringe. Ich muss an den Übergang denken und er macht ihn dann. Das Schönste, was ein Reiter haben kann, ist mit seinem Pferd wirklich mental verschmolzen zu sein. Das gelingt mir mit ihm meistens, aber nicht immer.

Sie waren mit "Fine Feeling" und "Fontainenoir" bei den Paralympics sehr erfolgreich. Ist das zu vergleichen?
Das ist sehr unterschiedlich. 'Fine Feeling' war eine rothaarige Stute. Das war das Hormongesteuertste, das du dir vorstellen kannst. Die hat auf mich aufgepasst wie auf ihr Fohlen. Sie ist auch sehr musikalisch. Das hat man in London und in Rio gesehen. Weil ich nur 20 Prozent Lungenvolumen hatte, ist mir schwindlig geworden. Aber sie ist eine halbe Runde gegangen, während mir schwarz vor den Augen war. Sie kannte aber die Kür und den Takt. Sie ist so musikalisch und hat es einfach selbst interpretiert. Das hat sich auch bei den Noten ausgewirkt. 'Fontainenoir' ist eher ein Techniker, der alles sehr exakt macht, aber genaue Anweisungen braucht. Der sensibelste von allen ist aber   'Sailor's Blue'. Er versucht wirklich nur, meinen Gedanken nachzulaufen. Alles andere stört ihn eher.

Wird das halbe Dutzend an Medaillen in Tokio noch voll gemacht?
Jetzt backen wir einmal langsam kleine Brötchen weiter (lacht). Aber das Turnier fängt jetzt erst an und wir haben noch zwei Bewerbe.