Für Ferrari war der Sieg von Charles Leclerc eine Erlösung, für den Monegassen und die Formel-1-Welt eine sehr emotionale Geschichte, angesichts der Freundschaft zwischen Leclerc und dem am Samstag in Spa tödlich verunglückten französischen Formel-2-Piloten Anthoine Hubert. Für Sebastian Vettel bedeutete das Wochenende in Belgien jedoch eine bittere Niederlage: Am Freitag noch einigermaßen auf gleichem Level mit seinem Teamkollegen, im Qualifying und im Rennen dann aber ohne jede Chance, zum Wasserträger von Leclerc degradiert. Dass er am Sonntag Abend beim offiziellen Ferrari-Pressetermin fehlte, sorgte natürlich sofort für Spekulationen. Frust, Ärger im Team? Blödsinn, hieß es bei den Roten – er habe nur einen Flieger erreichen wollen, deshalb früher weg gemusst...

Teamchef Mattia Binotto lehnte auch alle Vermutungen ab, dass Vettel nach diesem Wochenende jetzt endgültig auf dem Weg zur Nummer zwei bei Ferrari sei: „Man muss das Gesamtbild sehen. In Hockenheim ist er ein fantastisches Rennen gefahren, in Ungarn lag er auch vor Charles. Auch hier war ja am Anfang auf dem Soft-Reifen der Unterschied minimal, erst dann auf dem Medium hatte er massive Probleme mit dem Reifenverschleiß, wir wissen noch nicht genau, warum. Das müssen wir herausfinden.“ Aber so etwas könne immer wieder einmal passieren, selbst „ein minimaler Unterschied in der Abstimmung kann einen massiven Unterschied ausmachen.“

Vettel "hat sich in den Dienst des Teams gestellt"

Was Binotto besonders lobte: „Sebastian hat sich sofort in den Dienst des Teams gestellt, als er keine eigenen Siegchancen mehr hatte. Er hat uns sehr geholfen, den Sieg von Charles sicher zu stellen. So etwas ist nicht einfach für einen Fahrer, aber er hat das super gemacht.“ Tatsächlich hatte Vettel eigentlich früher zu einem zweiten Reifenwechsel herein kommen wollen, blieb aber dann auf dem abgefahrenen Medium noch länger draußen, um Lewis Hamilton etwas abzublocken, so dass sich Leclerc an der Spitze ein Polster herausfahren konnte. Es klappte: „Die drei Runden hinter Vettel haben Lewis fünf Sekunden gekostet“, rechnete man bei Mercedes vor – am Ende fehlte Hamilton eine Sekunde – oder eine Runde mehr – zum Sieg...

Vettel selbst hatte für seine Probleme auch keine wirkliche Erklärung: „Ich rutsche mehr, aber ich weiß nicht warum.“ Wobei das Rutschen dann den Reifenverschleiß noch weiter erhöht... „ Allgemein habe ich mich einfach schwer getan, nicht das Gefühl fürs Auto gehabt und nicht den richtigen Grip gefunden.“ So verlor der Heppenheimer vor allem im kurvenreichen Mittelsektor viel Zeit, in Sektor eins und drei, wo es eher geradeaus geht, konnte er mit Leclerc mithalten.

Der Fahrstil als Problem?

Gut möglich, dass da auch wieder Vettels altes Problem ins Spiel kommt: Sein Fahrstil, der ein stabiles Heck des Autos braucht. Vieles spricht dafür, dass Ferrari im Laufe des Wochenendes das Auto so abstimmen musste, dass es auf der Vorderachse mehr mechanischen Grip hatte – um in den Kurven einigermaßen mithalten zu können. Das bedeutet aber automatisch, dass das Heck deutlich unruhiger wird. Womit Leclerc gut leben kann – Vettel dagegen überhaupt nicht.

Zumindest nach außen gab der sich gegenüber seiner Wasserträger-Rolle im Rennen dem Team über auch in keiner Weise kritisch. „Der Speed war ja auch nicht da bei mir. Dann ist es völlig normal, dem Team zu helfen.“ Er habe jetzt ein paar Hausaufgaben zu erledigen – schließlich steht schon nächste Woche das große Ferrari-Heimspiel in Monza an. Für die Scuderia das wichtigste Rennen des Jahres. Charles Leclerc wird dort mit enormem Rückenwind hinkommen, von der Begeisterung der Tifosi getragen werden. Vettel weiß ganz genau: Ein gelungener Konter dort wäre für ihn extrem wichtig, um noch einmal eine Trendwende zu schaffen. Auf einer Strecke, auf der nach den Spa-Erkenntnissen Ferrari noch einmal vorn sein könnte. Vielleicht zum letzten Mal in diese Saison.