In der Bundeshauptstadt schlagen sich neuerdings Demonstranten auf offener Straße die sprichwörtlichen Köpfe ein. Was ist los mit Ihrem offenen Wien? Was tun?

BIRGIT HEBEIN: Wien ist eine weltoffene Stadt. Das, was hier in den letzten Tagen vorgefallen ist, das gewaltbereite organisierte Auftreten einer faschistischen Gruppe, der grauen Wölfe, die gewalttätig gegen Kurdinnen und Kurden sind, dafür haben wir keinen Platz. Da braucht es einen offensiven Umgang mit der Polizei, eine klare Haltung der Stadt, da gilt für uns: null Toleranz.

Wie geht die Stadt vor?

Bei uns ist kein Platz für Faschisten. Ich bin in laufender Abstimmung mit dem Bürgermeister, dem Polizeipräsidenten, dem Innenminister. Weitere Demos sind angekündigt. Die Polizei ist in Bereitschaft, wir werden offensiv vorgehen. Das ist ein Sicherheitsproblem, das gilt es zu bewältigen.

Sind sich da alle Parteien einig?

Wir tragen gemeinsam Verantwortung, sprechen uns ab. Ich habe gehört, die FPÖ will das für generelle Vorwürfe gegen Wien nützen. Das lehne ich strikt ab.

Wie geht es Ihnen, exakt ein Jahr, nachdem Sie von den Grünen als Vize-Bürgermeisterin auf den Schild gehoben wurden?

Gut! Ich bin jetzt ein Jahr Vize-Bürgermeisterin in der lebens- und liebenswertesten Stadt der Welt! Ich habe von Beginn an gesagt: Ich werde den Klimaschutz mit der sozialen Frage verbinden und das ins Zentrum meines Handelns stellen. Dieses Versprechen habe ich eingelöst, von den Klima-Schutzgebieten über das neue Planen von Stadtentwicklungsgebieten, vom klimafreundlichen und leistbaren Wohnbau mit viel Grünraum und dem Ausbau der Radwege bis zur Schaffung von Tausenden Arbeitsplätzen. Vor uns steht noch die große Aufgabe, unsere Stadt abzukühlen. Die enorme Hitze ist extrem gesundheitsgefährdend, da geht es darum, Platz zu schaffen, die Straßen abzukühlen, indem wir Bäume pflanzen und Fassaden begrünen. Ich will Wien zur Klima-Hauptstadt machen!

Zu Beginn des Jahres stiegen die Grünen in die Regierung auf. Was hat das mit Ihnen, was mit Ihrem Amt gemacht?

Ich habe immer gesagt, ich werde den Rückenwind nützen für die Stadt, ich bin ja für Wien verantwortlich. Und: Wir haben ja die größte Krise seit Jahrzehnten, das ist noch nicht vorbei.  Gerade auch unserem Minister Rudolf Anschober ist es gelungen, trotz aller rigider Maßnahmen da gut durchzusteuern. 

Fühlen Sie sich da eher als Zuschauerin oder als Helferin?

Ich nütze die Brücken zum Bund, auch im Sinne von Wien. Es gibt laufend Abstimmungen. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass eine gute Gesundheits- und Sozialinfrastruktur wichtig ist, dass es wichtig ist, rasch und gemeinsam zu handeln.

Empfinden Sie sich als Machtfaktor innerhalb der Partei?

Ich bin die Vorsitzende der größten grünen Landespartei, das bedeutet auch eine große Verantwortung in der Abstimmung bundesweit.

Haben Sie schon einmal so richtig auf den Tisch gehaut?

Wenn, dann würde ich es Ihnen nicht sagen. Wir diskutieren nicht auf dem Balkon, sondern im Wohnzimmer. Ich freue mich jedenfalls täglich, dass wir keine Gesundheitsministerin Hartinger-Klein und keinen Innenminister Kickl haben. Der Wechsel war gut, nicht nur für die gemeinsame Bewältigung von Covid-19.

Wie mächtig sind Sie gegenüber den „Aufmüpfigen“ bei den Wiener Grünen?

„Wir haben als grüne Partei viele Höhen und Tiefen erlebt, und wir haben daraus gelernt. Wir sind ein gutes, gemeinsames Team mit gemeinsamen Zielen. Die Partei hat sich geöffnet, viele Interessierte machen mit.

Kommt da nicht auch neuer Sand ins Getriebe?

Nein, das ist eine Bereicherung. Die kreative Kraft der Zivilbevölkerung, auch der Mitarbeiter in der Partei beeindruckt mich.

Next step: die Wahl in Wien: Ist ein Wechsel zu einer Koalition mit der ÖVP und anderen Parteien denkmöglich für sie, unabhängig davon, ob sich das überhaupt ausgeht?

Die Frage stellt sich nicht. Die Umfragen deuten darauf hin, dass der Bürgermeister wieder Michael Ludwig heißt. Er wird entscheiden zwischen dem Weg der Zukunft, in Richtung Wien als Klimahauptstadt, oder dem Zurück zu einem Bündnis mit der ÖVP. Ich kann nur sagen: Seit 10  Jahren gibt es Rot-Grün in Wien, seit 10 Jahren ist Wien die lebenswerteste Stadt.

Wie kam es dazu, dass Sie das Projekt der autofreien Wiener City gemeinsam mit dem Bezirksvorsteher Innere Stadt, Markus Figl von der ÖVP, vorangetragen haben?

Abgase haben kein Parteibuch auch die Maßnahmen dagegen nicht. Wenn wir nichts tun, steigt die Temperatur in Wien laut Auskunft der Forscher um 7,6 Grad bis 2050. Diese enorme Hitze wäre tatsächlich gesundheitsbedrohend. Es ist ein Gebot der Stunde, zu handeln. Die Konzepte und Vereinbarungen liegen auf Tisch. Mit dem Bürgermeister bin ich mir im Ziel einig: Wir wollen den CO2-Ausstoß innerhalb der nächsten zehn Jahre um die Hälfte reduzieren. In den Gesprächen mit Figl ging es um die konkrete Umsetzung eines Projekts, das die Lebensqualität verbessern.

Anders gefragt: Was macht für Sie den Charme von Michael Ludwig als Partner an Ihrer Seite aus?

Das Spannende ist doch die gemeinsame Möglichkeit, die Lebensqualität für die Menschen zu verbessern. Was ich an ihm mag? Den korrekten, professionellen Umgang, wir sind in sehr regelmäßigem Austausch.

Werden die Grünen bei der Wahl im Herbst als Folge der Regierungsbeteiligung Federn lassen und Sie als Partnerin an Stärke verlieren?

Mein Eindruck ist, dass die Wienerinnen und Wiener mit der rot-grünen Zusammenarbeit zufrieden sind.

Welches Wahlergebnis erhoffen Sie sich?

Das beste Ergebnis, das die Wiener Grünen je hatten!

Sie haben einmal gesagt, die Grünen seien schon ein bisschen empörungsmüde. Worüber können Sie sich noch empören?

Das was mich immer motiviert, ist der Kampf für Gerechtigkeit. Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass auch der öffentliche Raum unfair verteilt ist, dass Leistungsträgerinnen wie die Pflegerinnen und Verkäuferinnen künftig viel mehr an Wertschätzung erfahren müssen. Im Grunde führen wir immer eine Debatte über Verteilungsfragen, ich bin überzeugt davon, dass wir uns auch im Herbst dieser Frage intensiv widmen müssen.