Bereits zwei Stunden bevor Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im stickigen Sitzungslokal des Ibiza-Untersuchungsausschusses Platz nimmt, ist die Schlange vor der Wiener Hofburg lang. Unzählige Medienvertreter begehren Einlass in jene Räume, in denen sich Kurz an diesem Vormittag den Fragen der Fraktionsmitglieder stellen muss. Sie haben ihn geladen, um seine Rolle bei angeblichem Postenschacher, illegalen Parteispenden und möglichem Gesetzeskauf zu beleuchten.

Zu Beginn gibt sich Kurz entspannt und gut gelaunt, lächelt in die Runde. Doch schon bald sitzt er mit verschränkten Armen und finsterer Miene im „heißen Stuhl“. Mehrfach muss der Kanzler erklären, warum er dem Ausschuss seinen Terminkalender nicht zur Verfügung stellt. Termine aus seiner türkis-blauen Amtszeit seien essenziell für die Aufklärung, betont der heutige Koalitionspartner, vertreten durch Grünen-Fraktionschefin Nina Tomaselli. „Wann Sie zum Zahnarzt gegangen sind, interessiert uns nicht.“ Er habe alle relevanten Unterlagen aus dieser Zeit – wie es das Gesetz vorsieht – dem Staatsarchiv übergeben, wiederholt Kurz mehrfach.

"Ich lösche meine SMS regelmäßig"

Auch die SMS-Konversation zwischen Kurz und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sorgt für großes Interesse bei den Abgeordneten. Damit könne er aber nicht dienen, sagt Kurz. „Ich lösche meine SMS regelmäßig – aus Sicherheitsgründen.“ Als die Fraktionen jedoch nicht lockerlassen, bietet er überraschend an, über seine SMS-, Chat- und Telefoniergewohnheiten Auskunft zu geben – in einer geheimen Sitzung. Die Begründung: Sicherheitsbedenken. Die Ausschussmitglieder beraten sich aufgeregt, von einer Geheimsitzung wird jedoch abgesehen.

Angesprochen auf die Bedeutung einer SMS von Strache erklärte Kurz lächelnd: „Ich bin Bundeskanzler und nicht Erziehungsberechtigter.“
Genau wollten es die Abgeordneten auch beim Thema Casinos Austria wissen. Hier steht bekanntlich die Bestellung des FPÖ-Mannes Peter Sidlo und ein möglicher Novomatic-Deal im Fokus. Es könne schon sein, dass Strache diesen Namen in einer seiner „unzähligen“ SMS an ihn habe fallen lassen, erinnert sich Kurz. Sonderlich wahrgenommen oder gar unterstützt habe er Sidlo jedoch nie, erklärt er und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.

Mehr sagen konnte er über die Bestellung von ÖBAG-Chef Thomas Schmid, den er „seit rund zehn Jahren“ kenne und zu dem er ein gutes Verhältnis habe. Einfluss auf die Bestellung von Schmid, der zwei Stunden später selbst vor dem Ausschluss Platz nehmen musste, habe er jedoch keinen ausgeübt.

"Mir platzt hier gleich der Kragen"

Auch Fragen nach eventuellen unrechtmäßigen Parteispenden in der Zeit von Türkis-Blau begegnete Kurz mit Ablehnung. Hier sei alles gesetzeskonform verlaufen, Spenden aus den Bereichen Glücksspiel und Waffenproduktion habe man sogar ausgeschlagen. Es habe zudem keine politische Gegenleistung für Spenden gegeben.

Kurz ist von manchen Fragen der Abgeordneten sichtlich irritiert, er schüttelt mehrmals verärgert den Kopf, gibt sich teils sogar belustigt. Doch einmal wird es ihm zu viel. Als FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker fragt, wer denn nun die ÖVP führe, wenn er über die Vorgänge in seiner Partei nichts wisse, poltert er: „Mir platzt hier gleich der Kragen! Es waren immerhin Mitglieder Ihrer Partei, die der Grund waren, dass diese Koalition geplatzt ist und dass jetzt Verfahren gegen Politiker laufen“, ruft Kurz sichtlich verärgert. Er habe in der Regierung „viel mitbekommen“, er habe ja „regiert“. Aber was die FPÖ vermeintlich angestellt habe, gelte für die ÖVP sicher nicht.

Einen weiteren Schlagabtausch liefert sich der Kanzler gegen Ende seiner Befragung mit Ex-Chefredakteur und Neos-Abgeordnetem Helmut Brandstätter. Aus der Frage, ob Kurz unliebsame Journalistinnen und Journalisten im ORF austauschen will, entpuppt sich ein Streit darüber, wie parteiisch Brandstätter früher geschrieben habe. Dieser drohte Kurz wiederum mit einer Klage. Nach mehr als vier Stunden Befragung verlässt Kurz eilig das Ausschusslokal.