Die von ÖVP und Grünen vereinbarte Koalition hat heute die letzte Hürde genommen. Bei einem außerordentlichen Bundeskongress der Grünen in Salzburg stimmten 275 Delegierte über die Regierungsbeteiligung und den Pakt mit der ÖVP sowie über das grüne Regierungsteam ab. Das Ergebnis: Eine große Mehrheit (93,18 Prozent) stimmte für Türkis-Grün, die Koalition ist damit fix. Nur 15 Delegierte stimmten dagegen. Ausgereicht hätte die einfache Mehrheit.

"Die Grünen - Grüne Alternative (Grüne) tritt in eine Bundesregierung mit der Partei 'Die neue Volkspartei' ein und bestätigt das vorliegende Regierungsabkommen mit dem Titel 'Aus Verantwortung für Österreich'", so der genaue Wortlaut des angenommenen Antrags.

Wenig später wurde auch über das Regierungsteam abgestimmt. 99,25 Prozent zeigten sich mit der Wahl von Werner Kogler als Vizekanzler, Leonore Gewessler als Umwelt- und Infrastrukturministerin, Rudolf Anschober als Sozialminister, Alma Zadic als Justizministerin und Ulrike Lunacek als Staatssekretärin für Kunst und Kultur einverstanden.

Kurz gratuliert Kogler zu "klarem Erfolg"

ÖVP-Obmann Sebastian Kurz hat unmittelbar nach der Abstimmung beim Bundeskongress den Grünen und ihrem Bundessprecher Werner Kogler zur Zustimmung zum Regierungsabkommen gratuliert. Auf Twitter sprach der künftige Bundeskanzler von einem "klaren Erfolg" Koglers und der Grünen beim Bundeskongress.

"Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit in der Bundesregierung", schrieb Kurz weiter.

Lob und Kritik an Koalition

Die Generaldebatte hat sowohl Lob für die Verhandler als auch Kritik am Verhandlungsergebnis gebracht. Die meisten Delegierten, die sich zu Wort meldeten, gingen auf die Chancen einer Regierungsbeteiligung ein. Einigen ging das Abkommen aber nicht weit genug, was Spannung für die Abstimmung zum Pakt versprach.

Grünen-Bundessprecher Werner Kogler hatte das Auditorium in seiner Rede dazu aufgefordert, kritisch zu sein. Das sei ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen, sagte er. In den Wortmeldungen gab es dann - auch bei Rednern, die keine Zustimmung zum Pakt ankündigten - Lob für die Verhandler und Dank für den großen Einsatz. Die meisten Delegierten betonten auch, dass es sich beim Regierungsprogramm natürlich um einen Kompromiss handle und dass die Verhandlungen mit der ÖVP kein grünes Wunschkonzert gewesen sind.

Kogler warb für Abkommen

Mit einem enthusiastischen Redeschwall hat Kogler für das Wagnis einer Koalition mit der ÖVP geworben. Fast eine Stunde lang tigerte der Bundessprecher über die Bühne, verteidigte das ausverhandelte Programm und erteilte Rechtsextremen in der Regierung eine Absage. "Die Zeit ist reif für die österreichischen Grünen", so sein Aufruf.

Im Bereich Klimaschutz lieferte Kogler eine Ankündigung, die für Lacher im Publikum sorgte: „Dicke große Stinker-Diesel-SUVS werden teurer werden, sorry for this!”

Die schwarze Lederjacke, in der er in den Saal eingezogen war, legte er gleich einmal ab, um in Hemdsärmeln die Genese des nun vorliegenden Pakts - vom Absturz 2017 über den Ibiza-Skandal, das Comeback bei Europa- und Nationalratswahl bis zur Aufnahme von Sondierungen und Regierungsverhandlungen mit der ÖVP und dem kürzlich erfolgten Abschluss - Revue passieren zu lassen. Man habe es sich nicht so leicht gemacht, wie manche vermuteten, betonte Kogler. Klar sei: "Wir sind gewählt worden, um Verantwortung zu übernehmen."

Großes Wagnis

Eine Koalition sei ein "ganz großes Wagnis", sagte er. Gebe es ein Ja der Delegierten, dann sei dies "klassisch Pionierarbeit, die wir hier leisten würden". In vielen anderen Ländern sei es ähnlich, es seien die Konservativen und die Grünen, die stärker würden. Mit einer Zusammenarbeit könne man nun federführend versuchen, voranzugehen: "Jetzt wird eben geschaut von Europa nach Österreich."

Die SPÖ habe derzeit nicht die Kraft solche Herausforderungen zu stemmen, die FPÖ wiederum "die genetische Bestimmung, auf die schiefe Bahn zu gelangen". Dafür, als Grüne nun eine Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP zu versuchen, gebe es daher kaum attraktive Alternativen. "Es bleibt ein Risiko, und nichts anderes behaupte ich", sagte er und ergänzte in Hinblick auf den Klimaschutz: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren."

Programm "kann sich sehen lassen"

Das Programm verteidigte er dann Punkt für Punkt. Man habe vereinbart, Ökologie und Ökonomie unter sozialer Absicherung unter einen Hut zu bringen. 2022 komme entweder eine größere ökosoziale Steuerreform oder eine andere Art der CO2-Bepreisung. Schneller gehe dies realistischerweise nicht, wies er die "Zeigefingerei" der Kritiker zurück: "Das kann sich sehen lassen, das brauchen wir uns von niemandem wegreden lassen, und schon gar nicht von denen, die sich nicht auskennen."

Geschafft habe man auch einen Lückenschluss beim Unterhaltsrecht, im Kampf gegen Niedriglöhne, und auch für Frauen. "Ja, es ist blöd, es schaut komisch aus, dass das Frauenministerium nicht bei den Grünen ist", andererseits habe man etwa einen massiven Ausbau der Frauenhausplätze geschafft. Und: "Frauenverachter" gebe es nun nicht mehr auf der Regierungsbank.

Applaus für die Verhandler

Ein wenig chaotisch und ohne großen Pomp hatte der Bundeskongress in Salzburg nun auch mit dem öffentlichen Teil begonnen. Zunächst geht es um Tagesordnung und Organisatorisches. Ein Abgeordneter aus Wien hätte gerne eine geheime Abstimmung - das ist nicht vorgesehen, kann aber später noch einmal vorgebracht werden. Unter Applaus treffen Werner Kogler und das künftige Regierungsteam ein. Kogler gibt fast allen die Hand, der Applaus hält minutenlang an - es gibt nur noch wenig Zweifel am Ausgang der Abstimmung.

Die Ereignisse der letzten Stunden

Nach der einstimmigen Empfehlung zur Annahme, die der Erweiterte Bundesvorstand der Grünen am Freitagabend getroffen hat, stehen die Chancen für ein Ja außerordentlich gut. Interessant bleibt zunächst, wie hoch die Zustimmung ausfallen wird.

Der Vormittag bei dem Kongress in Salzburg war der Information der Delegierten gewidmet, die Verhandler standen Rede und Antwort. Ab 13 Uhr dürfen Journalisten dann dabei sein. Angesetzt ist zunächst eine Rede von Bundessprecher (und Vizekanzler in spe) Werner Kogler. Dann folgt die Präsentation des Pakts durch die Verhandler und (nach einer Debatte) die Abstimmung darüber. Auch der Rest des Regierungsteams darf sich dann präsentieren, bevor sich alle fünf ebenfalls dem Votum der Delegierten stellen.

Kritische Stimmen

Beim Eintreffen in der Früh waren durchaus auch kritische Stimmen zu vernehmen, die sich daran stießen, dass die Grünen für das Bündnis mit der ÖVP über ihre Schmerzgrenze gegangen seien. Doch selbst die ehemalige ÖH-Vorsitzende Viktoria Spielmann, die im Vorfeld via Social Media ihr ablehnendes Stimmverhalten angekündigt hatte, ging vor Journalisten davon aus, dass es insgesamt eine breite Zustimmung zu dem Pakt geben werde.

Unter jenen, die sich - wenn auch mit Bauweh - zu einem Ja deklarierten, waren Personen, von denen auch anderes zu erwarten gewesen wäre: Etwa Niki Kunrath von der als besonders kritisch geltenden Wiener Landesorganisation oder auch einzelne Repräsentanten der Grünen Jugend. Ablehnung dürfte es wohl von den Minderheitenvertretern des "10. Bundeslands" geben.

Pakt trage "große grüne Handschrift"

Kogler verteidigte den Pakt mit der ÖVP, eine "große grüne Handschrift" sei darin erkennbar. Zweiflern empfahl er die genaue Lektüre des Programms, und im Übrigen werde die Regierungspraxis und die Änderung der politischen Kultur zeigen, wo der Unterschied zwischen Türkis-Blau und Türkis-Grün liege.

"Selbst bei einer Biobutter würde ich mich nicht unterbuttern lassen", meinte Kogler zu entsprechenden Kritikern. Er erinnerte an Vorhaben wie das Informationsfreiheitsgesetz, eine ökologische Steuerreform mit ersten Schritten bereits vor 2022 und generell den Ausstieg aus dem Fossil- und den Einstieg ins Solarzeitalter mit dem Jahr 2040.

Die Frage der präventiven Sicherungshaft wollte Kogler - flankiert mit seinen künftigen Regierungskollegen Leonore Gewessler, Rudolf Anschober, Alma Zadic und Ulrike Lunacek - auch auf Nachfrage nicht groß ausbreiten. Auch hier verwies er auf den Pakt, in dem auf Verfassungskonformität abgestellt werde. Er wolle sich nicht auf Schlagworte reduzieren lassen, meinte Kogler, "ich spiele da nicht mehr mit". Deutlicher wurde da seine Stellvertreterin Nina Tomaselli. In der "Presse" glaubt sie nicht, dass eine Sicherungshaft kommen wird. Sie geht davon aus, "dass das verfassungskonform nicht möglich ist, dass man Menschen nur aufgrund ihrer Gedanken oder aufgrund desse, was sie tun könnten, einsperrt".

"Auf Augenhöhe"

Dass die Grünen über keinen kontrollierenden Finanzstaatssekretär verfügen, begründete Kogler damit, dass es opportuner sei, sich Unterstützung in seinem eigenen Ressort zu sichern. Im Übrigen habe er mit dem designierten ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel eine gute Arbeitsbasis. Er, Kogler, werde zumindest in erster Zeit auch dessen Gegenüber in der Regierungskoordination sein. "Wir werden uns auf Augenhöhe begegnen", so Koglers Fazit.

Mit welcher Zustimmungsquote er am entscheidenden Bundeskongress am Samstag rechne, wollte Kogler vorab nicht sagen. Nach der einstimmigen Annahmeempfehlung durch den Erweiterten Bundesvorstand hatte er offen gelassen, mit welchem Ergebnis er rechnet. Mit einer Zweidrittelmehrheit wäre man "super unterwegs", doch "fünfzig Prozent und eine Stimme reichen auch". "