Überraschend deutliche Kritik an der in Österreich nicht vorhandenen Debatte im Umfeld der Impfpflicht wird in einem von der Akademie der Wissenschaften am Donnerstag präsentierten „Corona-Aufarbeitungsbericht“ geübt, das 175 Seiten umfassende Papier wurde in Anwesenheit von Bundeskanzler Karl Nehammer, Wissenschaftsminister Martin Polaschek und der Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit Katharina Reich – in Vertretung des Gesundheitsministers – im Bundeskanzleramt vorgestellt.

In einem ausführlichen Kapitel über die Historie und die Genesis der Impfpflicht wird zwar die epidemiologische Sinnhaftigkeit der Impfpflicht gar nicht gestreift. Das sei Sache von Mediziner, Virologen, Ethikern, Rechtswissenschafter und anderen Experten. Bekanntlich wurde die Einführung der Impfpflicht im Rahmen einer Konferenz der Landeshauptleute am Achensee unter Einbindung des damaligen Bundeskanzlers Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein verkündet.

Entscheidung aus heiterem Himmel

Die beiden Autoren des Berichts, Alexander Bogner von der Akademie der Wissenschaften, und Andreas Albietz (Institut für Technickfolgen-Abschätzung) stoßen sich vor allem, wie sie es selbst nennen, an der „Rhetorik der Alternativlosigkeit“ wie auch an der „Moralisierung der Impfung.“ Die Achenseer Entscheidung sei außerdem aus heiterem Himmel, ohne vorangegangenen Diskurs verkündet worden. „Der Beschluss bildete damit nicht den nachvollziehbaren Abschluss einer vorangegangenen öffentlichen Debatte, sondern erschien als politische Ad-hoc-Lösung.“

Verhängnisvolle „Rhetorik der Alternativlosigkeit“

Eine solche Vorgehensweise sei gesellschaftspolitisch fatal. „Politische Entscheidungen können nur dann vertrauensstiftend wirken, wenn sie aus einer offenen, transparenten Abwägung resultieren und sich in ihrer Begründungsrhetorik nicht auf Sachzwänge zurückziehen.“ Das führe unweigerlich dazu, dass der Konflikt „aufgeheizt“ werde, weil „Andersdenkenden moralisch unlautere Motive unterstellt“ werden. „In politischer Hinsicht öffnet eine Rhetorik der Alternativlosigkeit einen Raum für Stimmen, sich erfolgreich als einzige Alternative und als letzte Bastion der Freiheit zu inszenieren.

„Gefahr der Moralisierung“

Die beiden Autoren lassen auch kein gutes Haar an der „Moralisierung der Impfung.“ Die Politik hätte im Umfeld der Entscheidung auch immer wieder das Bild des „Notausgangs“ verwendet. „In der Beschreibung als Notausgang erscheint die Impfpflicht als die „Ultima Ratio“ der Pandemiebewältigung. Daraus wird auch der Zorn der (geimpften) Mehrheit auf die (ungeimpfte) Minderheit erklärbar; aus der Weigerung (oder dem Zögern), sich impfen zu lassen, wird in dieser Argumentation ein Versperren des Notausgangs.“ Die Moralisierung sei in der Pandemie „kein exklusives Recht der Mehrheit, die sich impfen ließ“ gewesen. „Für die radikalen Impf- und Wissenschaftsskeptiker war die Corona-Politik eine Form totalitärer Herrschaft und die Wissenschaft Teil eines Regimes der organisierten Freiheitsberaubung.“ Das habe Aggressionen freigesetzt: „Diese Aggressionen verweisen auf die Gefahren der Moralisierung: Wer glaubt, einen Kampf gegen das schlechthin Böse zu führen, wird leicht dazu verleitet, Gewalt für legitim oder sogar geboten zu halten.“

Kampf gegen Wissenschaftsskepsis

Im Zuge der Pressekonferenz wurden von der Regierung einige „Lehren aus der Pandemie§ präsentiert. So soll unter der Leitung des Bundeskanzlers ein Krisensicherheitskabinett installiert werden, das in Ernstfällen „strategische und transparente“ Entscheidungen fällt. Auch soll ein Krisensicherheitsberater eingesetzt werden, bei dem künftig die Krisenkommunikation zusammengeführt wird.

Im Kampf gegen die Wissenschaftsskepsis sollen Kinder- und Jugenduniversitäten oder die Etablierung von Wissenschaftsbotschaftern forciert werden. Auch ins Curriculum der Universitäten sollen Maßnahmen gegen die Wissenschaftsskepsis aufgenommen werden.

Ein weiterer Eckpunkt ist die Attraktivierung der Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe. 2024 fließt eine Milliarde in den Pflegefonds. Zudem soll eine Datenplattform eingerichtet werden, auf der systematisch alle Daten von den diversen Gesundheitsträgern, Bund, Ländern und Sozialversicherungen zusammengefasst werden, um gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse evidenzbasierter zu gestalten.