Im Iran ist die Sittenpolizei aufgelöst worden, die bisher für die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zuständig war. "Die Sittenpolizei wurde aufgelöst, aber die Justizbehörde wird sich weiterhin mit dieser gesellschaftlichen Herausforderung auseinandersetzen", zitierte die Tageszeitung "Shargh" den Generalstaatsanwalt Mohammed Jafar Montazeri am Sonntag. Präsident Ebrahim Raisi traf indes am Sonntag mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel zusammen.

Krisengipfel am Sonntag

Auf der Agenda des nicht-öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur ISNA. Am Samstagabend hatte Raisi sich nach Angaben des Präsidialamts mit Parlamentspräsident Mohammed-Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholamhossein Mohseni-Ejei beraten. Es gab keine Details dazu, worüber genau auf dem Krisengipfel am Sonntag gesprochen werden sollte. Im Vorfeld gab es Spekulationen, es könnte um Forderungen der Demonstranten gehen. Zu diesen gehören unter anderem die Revision der iranischen Verfassung und die Aufhebung des Kopftuchzwangs, aber auch Neuwahlen oder ein Referendum zum Aufbau des politischen Systems des Landes. Beobachter allerdings hatten keine großen Erwartungen an das Treffen.

Kopftuchzwang abzuschaffen wäre "erster Schritt"

Kritiker der politischen Führung reagierten auch verhalten auf die Ankündigung der Auflösung der Sittenpolizei. Das Problem sei nicht die Sittenpolizei, sondern der Kopftuchzwang, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. "Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können", forderte er. Und dies sei "nur der erste Schritt."

Beobachtern zufolge würde die Auflösung der Sittenpolizei zwar kein Ende des Kopftuchzwangs für Frauen bedeuten, aber einen wichtigen Teilerfolg der Frauenbewegung im Iran darstellen.

Die Sittenpolizei war der Auslöser der seit über zwei Monaten andauernden systemkritischen Aufstände in dem Land. Mitte September verhafteten die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini. Unter ihrem Kopftuch sollen ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das islamische System und dessen Gesetze und Vorschriften.

Vorschriften ignoriert

Seit dem Ausbruch der Proteste werden der Kopftuchzwang und die islamischen Kleidervorschriften von vielen Frauen, besonders in Großstädten, zunehmend ignoriert. Demnach müssen Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen. Dieses Gesetz ist seit über 40 Jahren Teil der gesellschaftspolitischen Doktrin des Iran um, wie es heißt, "Land und Volk vor der westlichen Kulturinvasion zu retten".

Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach Einschätzung von Menschenrechtlern rund 470 Demonstranten getötet, darunter 64 Kinder und 60 Sicherheitskräfte. Die offiziellen Angaben diesbezüglich sind widersprüchlich. Der Sicherheitsrat spricht von 200, ein Kommandant der Revolutionsgarden von 300 Toten. Außerdem wurden in den vergangenen mehr als zwei Monaten Tausende verhaftet, unter ihnen Studenten, Journalisten, Sportler sowie Künstler. Einige Demonstranten wurden von Revolutionsgerichten auch bereits zum Tode verurteilt. Ab Montag sind landesweit weitere Proteste - und laut Oppositionskreisen auch Streiks - geplant.