Was sich derzeit in Chabarowsk im Fernen Osten abspielt, ist für russische Verhältnisse ein echter Bruch des Gewohnten: Das dritte Wochenende in Folge gingen in der Stadt nahe der chinesischen Grenze Zehntausende Menschen bei nicht genehmigten Demonstrationen auf die Straße, um gegen die Verhaftung des Provinz-Gouverneurs Sergei Furgal zu protestieren. Sie hielten Plakate hoch und riefen Sprechchöre gegen Präsident Putin. „Freiheit“ und „Putin, tritt zurück“ skandierten sie vor der Provinzverwaltung.

Furgal war am 9. Juli von einem vermummten Spezialkommando des Inlandsgeheimdienstes FSB vor seinem Haus abgeführt worden – er wurde in einen Geländewagen mit abgedunkelten Scheiben gezerrt und ins 6000 Kilometer entfernte Moskau gebracht, wo ihm der Prozess gemacht werden soll. Er wird beschuldigt, vor 15 Jahren mehrere Morde an Geschäftsleuten in Auftrag gegeben zu haben – was Furgal bestreitet. Die Vorwürfe basieren auf Aussagen von Häftlingen.

Kreml-Kandidaten besiegt

Die Protestierenden in Chabarowsk dagegen sehen in der Verhaftung einen Rachefeldzug gegen ihren Gouverneur: Der Politiker der Liberaldemokratischen Partei hatte 2018 mit fast 70 Prozent Zustimmung die Regionalwahlen gewonnen – und damit Putins Kandidaten klar abgehängt. Furgals Popularität wuchs weiter – und übertraf bald jene Putins. Der Gouverneur kürzte sein eigenes Gehalt um zwei Drittel und jenes hoher Staatsbeamter um 15 Prozent, das eingesparte Geld steckte er in Sozialprojekte, darunter kostenloses Essen an Schulen.

Moskau setzte zunächst auf eine Politik der Nadelstiche: Zuerst wurde Chabarowsk der Status der Hauptstadt der Region aberkannt, dann wurden Fördergelder gekürzt. Doch Furgals Beliebtheit tat das keinen Abbruch – im Gegenteil. Dass er das Verfassungsreferendum, mit dem sich Putin eine Amtszeitverlängerung verschaffte, nicht bewarb, wurde ihm dann wohl endgültig zum Verhängnis: Eine Woche nach der Abstimmung erfolgte die Verhaftung. Das Verfahren gegen ihn soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.