Es war ein nasskalter und grauer Montagmorgen, als Deutschland am 24. Jänner 2022 eine neue Form des Protestes erlebte. Auf den Autobahnzufahrten rund um Berlin blockierten knapp zwei Dutzend Mitglieder der Letzten Generation den Frühverkehr, ein Weiterkommen gab es für die Autofahrer erst, als die Polizei einschritt und die Aktivisten von der Fahrbahn zog.

Was in Berlin begann, hielt über Monate hinweg die halbe Bundesrepublik in Atem. Die Mitglieder der Letzten Generation klebten sich fast im Wochenrhythmus auf wichtigen Einfalls- und Durchzugsstraßen in den Großstädten fest und protestierten vor Museen, Flughäfen und Erdölpipelines für eine radikale Klimawende. 550 Aktionen zählte allein die Berliner Polizei im vergangenen Jahr, die Staatsanwaltschaft in der deutschen Hauptstadt hat inzwischen 3700 Verfahren geführt. 

Fast genau zwei Jahre nach der morgendlichen Autobahnblockade im Berliner Umland soll zumindest in Deutschland – in Österreich will man weitermachen – aber Schluss mit dem Festkleben sein. „Statt uns in Kleingruppen aufzuteilen und Straßenblockaden zu machen, werden wir gemeinsam mit vielen Menschen ungehorsame Versammlungen machen“, teilte ein Sprecher der Letzten Generation in Berlin mit. Der Protest, der sich zukünftig vor allem auf „Orte der fossilen Zerstörung“ und die direkte Konfrontation mit Politikern konzentrieren soll, werde aber weiter „unignorierbar“ bleiben.

„Zuletzt gab es nur noch Kurzmeldungen“

Für den Protestforscher Vincent August kommt das Ende des teils massiv kritisierten Klebeprotests allerdings nicht überraschend, zumal die Gruppe schon im vergangenen Sommer einen Kurswechsel signalisiert hat. „Die konfrontative Taktik des Klebens hat sich erschöpft“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe „Ökologische Konflikte“ an der Humboldt-Universität zur Kleinen Zeitung. „So hat man zuletzt deutlich gesehen, dass die mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit wesentlich schwächer war als zu Beginn. Wurde anfangs noch regelmäßig und groß über die Proteste berichtet, gab es zuletzt wenn überhaupt nur noch Kurzmeldungen.“

Doch nicht nur im Kampf um die mediale Aufmerksamkeit ist es in den vergangenen Monaten deutlich stiller um die Letzte Generation geworden. Auch der Durchschlag der Proteste auf konkrete Politikentscheidungen hat nicht so stattgefunden, wie von den Aktivsten angestrebt. Die Forderung nach Tempo 100 auf den Autobahnen verhallte ebenso wie der Ruf nach einem Aktionsplan zum schnelleren Erreichen der Klimaneutralität. Das Kleben habe „leider nicht das gebracht, was man sich erhofft hat“, sagt der Wiener Klimapolitikprofessor Reinhard Steurer, der sich schon früh mit der Letzten Generation solidarisiert hat. Umsonst sei es dennoch nicht gewesen, meint Steurer: „Es war wichtig, man hat wegen des Klebens über das Thema geredet. Und wir können sagen, dass wir nichts unversucht gelassen haben.“ Sein Blick in die Zukunft ist eher pessimistisch: „Wir schauen uns als Gesellschaft angesichts der Klimakrise gerade beim Scheitern zu.“

Auch Umweltpsychologe Thomas Brudermann von der Uni Graz hat sich als Forscher hinter die Letzte Generation Österreich gestellt. Der Protestform des Klebens könne er bei aller Kritik auch etwas abgewinnen: „Das erregt viel Aufmerksamkeit, die dringend nötig wäre.“ Natürlich verstehe er auch den Ärger der im Stau stehenden Menschen, aber er verweist auf das Dilemma der Protestierenden: „Würden Sie sich an eine Ölplattform oder an einen Privatjet kleben, interessierte es leider weniger Leute.“ Die Diskussion gehe seiner Ansicht nach derzeit in eine „problematische Richtung“: „Es wird darüber diskutiert, junge, verzweifelte Leute zu bestrafen, anstatt die Klimakrise ernsthaft anzugehen.“

Was der Letzten Generation trotz der entschiedenen Ablehnung bei der großen Mehrheit aus Expertensicht gelungen ist, war das Klimaschutzthema über viele Monate hinweg auf die Tagesordnung zu setzen. „Dazu war etwa Fridays For Future nach dem Abschwellen der Massenproteste alleine nicht mehr in der Lage“, sagt Protestforscher August.

Auf diese Kraft der Themensetzung durch das Kleben hofft man in Österreich nach wie vor. „Politisch und kulturell besteht einfach ein Unterschied zu Deutschland“, sagt Sprecherin Marina Hagen-Canaval. Die Proteste würden hierzulande „manchmal mit Kleber, manchmal ohne“ weitergehen. Man wolle die Protestformen evaluieren und gegebenenfalls neue suchen. Dass es für den Österreich-Ableger der Letzten Generation als Einzelkämpfer nicht einfacher wird, liegt aber auf der Hand.

Mehrheit der Menschen glaubt daran, dass Lösungen verhindert werden

So zeigt eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts Marketagent, dass die Debatte über die Klimakrise in Österreich vor allem von Unsicherheit bestimmt wird. Demnach sind fast 84 Prozent der Menschen der Meinung, dass die Polarisierung und Spaltung in der Gesellschaft zunehmen, wenn es um das Thema geht. Und dass eine lösungsorientierte Debatte zu Klimathemen immer schwieriger wird. Mehr als drei Viertel der Menschen geben außerdem an, dass sie nicht verstehen, wie klimapolitische Entscheidungen zustande kommen und mehr als 87 Prozent haben das Gefühl, die Politik würde dabei vor allem Einzelinteressen bedienen. Dass generell zu wenige Maßnahmen gegen die Klimakrise gesetzt werden, gaben zwei Drittel der Befragten an. Rund 73 Prozent glauben sogar, dass Lösungen aktiv verhindert werden.

In Auftrag gegeben hat die insgesamt 1000 Interviews ein neu gegründetes Institut. Dahinter stecken die Klimaexpertin Katharina Rogenhofer, die Unternehmerin Tina Deutsch und Florian Maringer, der zuletzt im Kabinett des Klimaministeriums tätig war. Das Institut namens „Kontext“ will Licht in die Klimadebatte bringen, die Diskussionen, Lösungen und Maßnahmen einordnen, so Rogenhofer. Als gemeinnütziger Verein will man dabei unabhängig von parteipolitischen und wirtschaftlichen Interessen arbeiten. Ein Beirat soll dem Institut helfen, darin sitzen etwa die Juristin Irmgard Griss oder AMS-Chef Johannes Kopf. Das Institut soll – so Rogenhofer – „Glaubenssätze und berechtigte Ängste beleuchten, die vom Handeln abhalten“, und etwa auch zeigen, „wer Verantwortung trägt und Maßnahmen setzen könnte und welche Interessen die Umsetzung erschweren“.