Sie sind Jahrgang 1960. Wären Sie in den heutigen Rahmenbedingungen noch einmal gerne Jugendlicher?
Bernhard Heinzlmaier: Das kann ich mit einem klaren Nein beantworten.

Was ist so abstoßend am Jetzt im Vergleich zum Damals?
Heinzlmaier: Der größte Unterschied ist, dass die jungen Leute heute schon sehr früh in einen teilweise ruinösen Konkurrenzkampf gestürzt werden. Schon auf Volksschulkinder lastet ein unglaublicher Bewährungsdruck. Überall herrscht Selektion. Zu meiner Zeit war es repressionsfreier.

Überfordert man die heutige Jugend?
Heinzlmaier: Nicht nur die Jugend. Man überfordert den Menschen generell. Was wir heute machen, übersteigt die Resilienz, die uns anthropologisch grundgelegt ist. Wir werden über unsere natürlichen Grenzen getrieben und dadurch zermürbt und zerstört. Das sieht man auf allen Ebenen: überall Ausleseprinzip, überall Rankings, überall Kontroll-und Erfolgsdruck.

Ist es eine natürliche Reaktion, dass sich die Jugend aus diesem Hamsterrad verabschiedet? Zumindest wirft ihr die ältere Generation eilfertig latente „Wurschtigkeit“ und fehlende Leistungsbereitschaft vor. Oder sind das nur anerzogene „Mängel“?
Heinzlmaier: Ich sehe das gegenteilig. Unsere Studien zeigen, dass die Jugendlichen heute so anpassungsorientiert sind wie nie zuvor. Sie unterwerfen sich dem Reglement. Sie leisten keinen Widerstand, sondern sind adaptiv-pragmatisch, völlig unpolitisch und nüchtern nur auf den eigenen Vorteil ausgerichtet. Das vorherrschende Prinzip heißt Aufstieg durch Anpassung. Das ist schlimm – aber verständlich. Weil wer sich in der heutigen Zeit auflehnt, wird vom System überrollt. Die 68er-Generation hat noch Widerstand leisten können, weil das System noch nicht so perfekt war.

Dieser Anpassungsthese widersprechen doch die aktuellen Klimaschutz-Demonstrationen. Da lehnen sich Jugendliche gegen das Establishment und seine neoliberale Wirtschaftsordnung auf.
Heinzlmaier: Na ja. Im Vergleich zur Protestkultur der 68er sind die heutigen Demonstranten total angepasst. Sie gehen Hand in Hand, gut frisiert und frisch gewaschen demonstrieren und dann wieder schön nach Hause. Das ist ein bisserl Spaß der reichen Kinder, die so ihre moralische Pubertätskrise erleben. Die wollen mit 17, 18 Jahren die ganze Welt retten. Auf den Neoliberalismus zielt das alles nicht ab, weil all diese Demonstrationen progressiver Neoliberalismus sind. Alle Vorschläge zum Klimaschutz, die kommen, bewegen sich innerhalb des radikalen neoliberalen Kapitalismus.

Sind sie deswegen schlecht?
Heinzlmaier: Ja. Ich sage Ihnen auch, warum.

Nämlich?
Heinzlmaier: Der Kampf gegen den Klimawandel wird vorrangig von den armen Unterprivilegierten finanziert werden. Die Reichen, die den Klimawandel verursacht haben, die an den Wirtschaftsuniversitäten sitzen, die an Spitzen der Unternehmen stehen, die werden die Klimaschutzmaßnahmen nicht zahlen. Eine richtige Klimaschutzpolitik würde die armen Teile der Bevölkerung völlig von der CO2-Steuer ausnehmen. Zahlen soll ausschließlich die reiche obere Gesellschaftshälfte.

Das klingt nach Klassenkampf.
Heinzlmaier: Ich bin nicht der Mensch, der sagt, dass Marx so schlecht war. Der Klassenkampf ist ja nicht vorbei. Er ist nur leider vom Rechtspopulismus getragen, weil die armen Unterschichten und die sich bedroht fühlenden Mittelschichten zum Rechtspopulismus vertrieben wurden. Der Rechtspopulismus ist nichts anderes als eine Rebellion gegen die Politik der Reichen, die für die Benachteiligten kein Herz und Hirn haben.

Die Instabilität in der Gesellschaft wird wachsen?
Heinzlmaier: Ja, den Menschen wird Angst eingeredet. Und wenn sie Angst haben, werden sie alle retro. Sie wollen wieder zurück in die Vergangenheit. Rechtspopulismus ist nichts anderes als: Die Zukunft wird schlecht, wir müssen zurück in die gute alte Zeit. Das ist hochproblematisch.

Warum?
Heinzlmaier: Die Leute sagen: Ich wähle nur die Partei, von der ich materiell etwas habe. Die unteren 50 Prozent der Gesellschaft wollen keine Ideale, die wollen Geld. Und das muss man ihnen geben, weil für diese Schichten Selbstverwirklichung Freizeit und Konsum sind. Wenn man ihnen kein Geld gibt, nimmt man ihnen die Selbstverwirklichungsmöglichkeiten.

Ist die Elterngeneration in Sachen Generationenvertrag unserer Gesellschaft vertragsbrüchig?
Heinzlmaier: Der Gegensatz läuft nicht entlang von Generationen, sondern zwischen Arm und Reich. Es gibt in der alten wie in der jungen Generation benachteiligte Arme. Wir brauchen keinen Kampf der Generationen, sondern endlich einen Aufstand der Unterprivilegierten und Benachteiligten. Es bräuchte einen Lehrlingsaufstand gegen die fett gefressene Bourgeoisie, die ihren Kindern alles ermöglicht, während für die Finanzierung einer vernünftigen Lehrlingsausbildung kein Geld da ist.

Die Jugend prägt ein Dauerhunger nach Stimulation durch Neues. Wohin führt diese immer exzessiver ausgelebte Reizgier?
Heinzlmaier: Es reißt uns die Gesellschaft auseinander. Das obere Drittel will in die Zukunft, die unteren zwei Drittel sind retro und gegen alles, was das obere Drittel macht. Das wird der große soziale Bruch, der sich durch die Gesellschaft ziehen wird.

Es läuft auf verführungskräftige Symbole und beängstigende Oberflächlichkeit hinaus – oder ist das zu kulturpessimistisch?
Heinzlmaier: Wichtig ist heute, dass man die Werte, die man hat, in Bilder und Symbole verwandeln kann. Politik heißt nicht mehr, wer die besseren Argumente hat, gewinnt. Man kann heute nicht mehr mit den Leuten auf der Vernunftebene argumentativ reden und mit einer fundamentalen Diskurspolitik Wahlen gewinnen. Die Leute interessiert das alles nicht. Man muss die Botschaften auf wenige Themen reduzieren. So macht man wenigstens einen fortschrittlichen Populismus.

Führt das aus staatspolitischer Sicht nicht zu einer Verengung von Demokratie und Aushöhlung ihrer Strapazierfähigkeit?
Heinzlmaier: Das glaube ich nicht – weil die Demokratie ohnehin schon völlig ausgehöhlt ist.

Wie geht es dem Projekt Europa aus der Sicht des Jugendforschers?
Heinzlmaier: Europa ist nur so viel wert, wie die Leute davon haben. Auch da gibt es eine Teilung der Gesellschaft. Dass es sich um das größte Friedensprojekt unserer Zeit handelt, ist den Verlierern leider ziemlich egal. Sie fragen sich eher: Was habe ich in Bezug auf meine Wohnsituation oder am Arbeitsplatz davon, bekomme ich mehr Geld aufs Konto oder etwas billiger? Wenn man den konkreten Nutzen der EU nicht darstellen kann, werden die Menschen nicht dafür sein. Umgekehrt gilt: Je mehr sie von ihr profitieren, desto glühendere Europäer sind sie. Wie man heute seitens der Parteien mit Europa umgeht, ist ein Witz: Man setzt auf die Mandate immer jene, die man loswerden will.

Braucht es eine Jugendquote in der Politik?
Heinzlmaier: Ich bin grundsätzlich ein Quotenskeptiker. Freilich wäre es besser, wenn mehr junge Leute in der Politik wären. Aber am ehesten braucht es eine Quote von qualifizierten Leuten. Das ist momentan das Problem.