In den letzten Wochen kochte die Lage zwischen Landwirten und Handel hoch, die Agrarministerin sprach von „Erpressung“ und „Marktmissbrauch“. Wie konnte die Lage so eskalieren, oder ist das nur Theaterdonner?

HANNES ROYER: Die Preise im Lebensmittelhandel haben seit Jahren unterstes Niveau, das ist dem freien Markt geschuldet. Zum Überkochen brachte die Situation, dass Molkereien mit Preissteigerungen zu tun haben, wie es sie 20 Jahre nicht gegeben hat. Bei einzelnen Ketten stößt man seit Mai auf taube Ohren. Ein Affront.
RAINER WILL: Ich möchte zwischen politischer Kommunikation und Realität unterscheiden. Österreich war säumig, die EU-Richtlinie gegen unfaire Geschäftspraktiken umzusetzen. Eine Woche bevor das Gesetz kam, wurde das politisch hochgespielt und pauschal auf den Handel hingehaut.
ROYER: Es gibt ein gutes Miteinander, aber wenn es um Preisverhandlungen geht, nutzen Einzelne ihre Marktmacht aus.
WILL: Wir übersehen oft die Zwischenstufe zwischen Produzent und Handel. Der größte Lebensmittelhändler hat 35 Prozent Marktanteil. Die Berglandmilch ist für 50 Prozent der produzierten Milchmenge verantwortlich. Auch hier ist Marktmacht konzentriert.
ROYER: Die Molkereien sind Genossenschaften und gehören zu 100 Prozent den Bauern. Und die machen 0,1 Prozent Gewinn. Also nichts.

Lebensmittelpreise sind im Vergleich weniger stark gestiegen. Drückt man die Preise, um nicht als Inflationstreiber dazustehen?
WILL: Der Handel muss für jede Geldbörse etwas anbieten. Der Handel bekommt Prügel von den Verbrauchern und der Arbeiterkammer, wenn der Preis zu hoch ist, und Prügel von der Landwirtschaftskammer, wenn er zu niedrig ist. Dazwischen spielt sich der Markt ab.
ROYER: Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Und tun immer so, als ob wir die ärmsten Schlucker wären.

Wo ist der Notausgang aus dieser ewigen Preisspirale?
WILL: Der Schlüssel für einen höheren Preis ist die Differenzierung. Österreich hat 177 Prozent Eigenversorgungsgrad bei der Milch. Es geht um die Lenkung von Menge und Produkteigenschaften. Jetzt ist es so: Steigt der Milchpreis, steigen die Mengen und der Preis fällt wieder ins Bodenlose.
ROYER: Die Hälfte unserer Republik ist Grünland im Berggebiet. Das kann nur über Wiederkäuer wie das Rind in Lebensmittel verwandelt werden, in diesem Fall Milch und Fleisch. Aber ja, auch die Landwirtschaft hat noch Hausaufgaben zu erledigen und sich in den letzten Jahren zum Teil vergaloppiert.
WILL: Es ist entscheidend, wie sich der Konsument weiterentwickelt. Wir haben 11 Prozent Vegetarier und 30 Prozent Flexitarier, das verändert das Marktpotenzial. Auf der anderen Seite haben Regionalität und Bio an Wertigkeit gewonnen, da können wir gemeinsam einen Beitrag leisten.
ROYER: Wenn ich dir zuhöre, habe ich das Gefühl, im Lebensmittelhandel gibt es nur Heilige.
WILL: Umgekehrt werden uns stets die Genossenschaften als Heilige dargestellt – nur der Handel sei böse.
ROYER: Wir werden ab sofort die Ketten beim Namen nennen. Wir sehen, vor allem seit Corona, dass einzelne Supermärkte und vor allem Diskonter einen extrem fairen Umgang mit der Landwirtschaft pflegen. Andere legen an Präpotenz zu.

Zum Beispiel?
ROYER: Die meistverkaufte Butter ist die S-Budget-Butter, die für Spar in Deutschland großteils mit tschechischer Milch abgepackt wird, obwohl wir in Milch schwimmen. Da muss man schon verstehen, lieber Rainer, dass Landwirte Sturm laufen. Wir müssen bitte akzeptieren, dass es Österreich nicht zum billigsten Preis gibt. Wir haben hier geografisch einfach kleinere Strukturen. Der größte Kälberproduzent in Holland hat 5,2 Millionen Kälber. Stellen Sie sich einen Hof in Österreich mit so vielen Tieren vor.
WILL: Der Handelsverband hat die Plattform „Lebensmittel wertschätzen“ gegründet. Da hast du das auch angesprochen. Meines Wissens gibt es Bemühungen, das umzustellen.

Wo gibt es weitere gemeinsame Bemühungen, etwas weiterzubringen?
BEIDE: Ganz klar bei der Herkunftskennzeichnung.
WILL: Hier gibt es einen großen Hebel. Bei verpacktem Frischfleisch, Obst, Gemüse und Fisch steht darauf, wo es herkommt. Das wäre auch bei der Wurst gut. Sehr viel Fleisch kommt aber in die Gastronomie und die öffentlichen Küchen. Wenn auf der Speisekarte steht, holländisches Fleisch kostet so viel und heimisches 50 Cent mehr, wird fast jeder zum heimischen greifen. Dafür muss man es wissen.
ROYER: Da hat der Bauernflügel in der ÖVP das Nachsehen gegen den Wirtschaftsflügel.

Wurden Kunden zu Schnäppchenjägern erzogen?
WILL: Es soll der als Erster aufzeigen, der nicht zuerst auf den Preis schaut. Das Flugblatt ist nach wie vor eines der beliebtesten Instrumente der Österreicher. Es bringt nichts, wenn man teurer ist, aber die Menge nicht absetzen kann.
ROYER: Es ist wichtig, Konsumenten klarzumachen: Wenn ihr Produkte aus Österreich haben wollt, ist das High End.

Gerade in der Lebensmittelwerbung ist ein Trend zur Regionalität bemerkbar. Wird das tatsächlich so gelebt oder nur beworben?
ROYER: Leider sind die Geschäftsbeziehungen oft härter als das, was dargestellt wird.
WILL: Es gibt niemanden, der so viel Geld in den Ausbau der Regionalität pumpt, wie der Handel. Die Nivellierung der Qualität nach oben ist für die Landwirtschaft herausfordernd.

Wie groß ist die Macht der Kunden? Der Handelsverband hat einen Nachhaltigkeitskompass vorgestellt, in dem Konsumenten ihren Einfluss hintanstellen.
WILL: In der Befragung kommt klar heraus, dass nach dem Preis und der Qualität auf Platz drei die Regionalität kommt, dahinter Bio. Über zwei Drittel geben hier eine Bereitschaft zur Überzahlung an. Drei Viertel haben Interesse, dass es ein Bonusprogramm für nachhaltigen Konsum gibt.
ROYER: In der Studie ist schon der Aspekt bemerkenswert, dass der Einzelne so wenig daran glaubt, etwas verändern zu können. Dabei ist jeder Griff ins Regal ein Produktionsauftrag. Ich appelliere an die junge Generation, nachzudenken, wo das Produkt herkommt. Sonst kommt uns das Billige irgendwann teuer zu stehen.

Der Handel hat über Schienen wie „Zurück zum Ursprung“ oder „Ja! Natürlich“ vorgegeben, wie die Produktion zu erfolgen hat.
WILL: Der Handel ist vorangeschritten, um neue Segmente zu erschließen und weg vom Preisargument hin zum Differenzierungsargument zu kommen. Aber es können sich nicht alle die höhren Preise leisten. Ich würde mich freuen, wenn es mehr Marken von Bauern gäbe.
ROYER: Jeder Bauer bekommt die Trends zu Vegan & Co. mit. Trotzdem hat man den Eindruck, dass die Landwirtschaft oft bremst, etwa bei Tierwohl. Wir übersehen die Lebensmittelindustrie am Weltmarkt. Ein global agierender Wursterzeuger hat kein Interesse an Tierwohl-Bedingungen, wenn er in die ganze Welt exportieren will. Das sind auch Großabnehmer landwirtschaftlicher Produkte und sie haben viel Macht. Dabei muss sich die Landwirtschaft selber auf die Füße stellen.

Wir fassen zusammen: Regionalität, Tierwohl, Herkunftskennzeichnung – hier ziehen Bauern und Handel an einem Strang.
ROYER: Genau so ist es.
WILL: Das ist unser Wunsch. Um mit der Eingangsfrage zu schließen: Es muss in der Realität was vorangehen und nicht nur bei einer politischen Headline.