Ich gestehe: Ich war einmal Beisitzer bei einer Präsidentenwahl und habe an der Auszählung der Stimmzettel mitgewirkt. Als (ganz legaler) Doppelstaatsbürger war ich Mitglied der Wahlkommission, die im Jahr 2012 im französischen Konsulat in Wien über die Stichwahl zwischen François Hollande und Nicolas Sarkozy zu wachen hatte. Ich verrate keine Geheimnisse, denn in Frankreich findet die Auszählung der Stimmen bei Gemeinde-, Regional-, Parlaments- und Präsidentenwahlen öffentlich (!) statt. Jede Bürgerin, jeder Bürger darf – scharf getrennt von der Kommission – zuschauen. Wahlen als öffentlicher Akt, der nicht im Hinterzimmer stattfindet. Ein Vorbild für Österreich?

Zuerst wurden die abgegebenen Kuverts gezählt, dann die Stimmzettel und mit den offiziellen Listen verglichen. Schließlich wurden die einzelnen Stimmzettel nach Kandidaten aussortiert und in Zehner-Blöcken aufgetürmt. In einem Hinterzimmer des Designcenters in Linz müsste an den aufgetürmten Stimmzetteln für die Mitglieder der Wahlkommission relativ bald ersichtlich gewesen sein, dass Andreas Babler mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als Hans Peter Doskozil. Oder waren die Beisitzer gar nicht im Raum, sondern an der Bar? Wozu es bei einer analogen Auszählung von 600 Stimmzetteln eine Excel-Liste braucht, bleibt ein Rätsel. 

Unweigerlich wirft dieses Fiasko die Frage auf, ob es bei der Auszählung der zweiwöchigen Mitgliederbefragung Ende April/Anfang Mai, bei der Doskozil knapp vor Babler und Rendi-Wagner lag, mit rechten Dingen zugegangen ist. Nicht, dass getrickst wurde, sondern dass womöglich auch hier schlampig gezählt wurde – und vielleicht doch Rendi-Wagner Platz eins einheimste? In jedem Fall sollen heute die am Linzer Parteitag abgegebenen 600 Stimmzettel noch einmal ausgezählt werden. Hoffentlich sind diese in der Löwelstraße noch auffindbar bzw. wurden nicht am Samstag am Abend in einer Mülltonne in Linz entsorgt. ZiB-2-Moderator Martin Thür, ein ausgewiesener Zahlen-Nerd, der durch einen Tweet auf die Ungereimtheiten aufmerksam und die gestrige Korrektur angestoßen hat, wusste gestern davon zu berichten, dass die Stimmzettel in einem Plastiksackerl am Samstag nach Wien gebracht worden sind. 

In internationalen Medien firmiert Österreich wieder einmal als Lachnummer. Eine solche Peinlichkeit liefern nicht einmal Volksschüler bei der Wahl zum Klassensprecher ab. Weil gestern der Vergleich zu 2016 gezogen wurde: Ein Wahlergebnis zu vertauschen hat eine andere Dimension als die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl wegen einer nicht ganz regelkonformen Auszählungspraxis in steirischen, Kärntner, oberösterreichischen, Tiroler Bezirkswahlbehörden. 

Der Schaden für die SPÖ ist ein maximaler, auch für Andreas Babler. Hätte der Traiskirchner Bürgermeister das rhetorische Feuerwerk, das er am Parteitag entfacht hatte, noch in Linz in einen Wahltriumph verwandelt, die SPÖ hätte das Momentum auf ihrer Seite. Nun herrscht Fassungslosigkeit. Doskozil hat sich nun komplett ins Burgenland zurückgezogen, wohl auch aus der Fehleinschätzung, dass ihm nach der Übernahme der Bundes-SPÖ Delegierte und Wähler zu Füßen liegen würden. Der tiefe Graben, der sich in Linz durch die Partei zog, dürfte ihn überrascht haben. Kaum anzunehmen, dass er an einer Wiederholung des Parteitages, sollte alles schiefgehen, teilnehmen würde.