"Es gibt Zeiten, in denen sich die Wege aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven, die jeder von uns hat, trennen. Heute endet für mich eine außergewöhnliche Reise, die mehr als zwanzig Jahre dauerte, in einem Unternehmen, dem ich unermüdlich meine ganze Liebe und kreative Leidenschaft gewidmet habe."

Mit diesen Worten verabschiedete sich Alessandro Michele und legte nach mehr als sieben Jahren als Kreativdirektor der renommierten, italienischen Modemarke Gucci sein Amt nieder. Vermutet werden interne Differenzen, Gucci solle Michele gebeten haben, einen Designwandel einzuleiten. 20 Jahre hatte der Italiener mit der exzentrischen Ader das Modehaus mitgestaltet, seit 2015 kamen die Kollektionen aus seiner Feder.

Berühmte Musen

Micheles Kreativität holte das vorher bereits als etwas eingestaubt betrachtete Luxuslabel aus seinem Schönheitsschlaf und belebte es wieder. Klassisch, italienische Eleganz gepaart mit der richtigen Portion Exzentrik versetzte Gucci den Stoß in Richtung Moderne, den die Marke, die 1921 von Guccio Gucci gegründet wurde, benötigte.

Bis Michele Menschen wie Billie Eilish, Harry Styles, Jared Leto und Dakota Johnson zu seinen Musen, Freunden und Markenbotschaftern zählte, brauchte es Zeit. Zeigte sich Michele zu Beginn noch zurückhaltend und scheu in der Öffentlichkeit, wuchs der Designer mit wachsender Erfahrung über sich selbst hinaus und erfand sich und das Modehaus mit jeder Kollektion immer wieder neu.

Pionier genderfluider Mode

Bereits sein Debüt am Laufsteg in der Saison Herbst/Winter 2015 deutete bereits die Richtung an, in die Michele die Marke in weiterer Folge führen würde. Damals kombinierte er klassische Gucci-Loafers mit dem bekannten Hufeisen mit Futter - und läutete eine neue Ära für das bislang eher konservative Modehaus ein.

Geschickt spielte Michele nicht nur mit der Mode des jeweiligen Jahrzehnts, der Kreativdirektor war auch maßgeblich daran beteiligt, genderfluide Mode in der breiten Masse zu etablieren und inspirierte zahlreiche andere Labels mit seiner Arbeit. War er zu Beginn damit allein auf weiter Flur, schwappte die Offenheit gegenüber Designs, die gelöst von allen üblichen Gendernormen funktionieren, schnell auf den Rest der Modewelt über. Bis heute ist der Einfluss Micheles auf die Entwicklung des Umgangs mit genderfluider Mode unbestreitbar - eine Art, Stil zu schaffen, die dem Italiener aus Rom viele Fans bescherte. 

Seine letzten großen Coups

Den klassischen Regeln der Branche wusste sich Michele ebenfalls gekonnt zu entziehen und ließ sich auf zahlreiche Zusammenarbeiten ein, die als unüblich galten. Arbeitete er 2021 noch mit Demna von Balenciaga zusammen, übertrumpfte er selbige Marke im Jahr danach mit einer Kooperation mit Adidas, die um den Globus ging.

Mit der HA HA HA-Kollektion, die er gemeinsam mit Harry Styles vor Kurzem auf den Markt brachte, und der Gucci Love Parade in Los Angeles landete der Designer, dessen Geschichte bei Tom Ford und im Accessoires-Studio von Gucci begann, seine letzten großen Coups. Noch ist die Zukunft des Designers ungewiss, doch auf die Zeit mit dem Label blickt er positiv zurück, wie er schreibt: "Während dieser langen Zeit war Gucci mein Zuhause, meine Adoptivfamilie. An diese Großfamilie, an alle, die sie betreut und unterstützt haben, sende ich meinen aufrichtigsten Dank, meine größte und innigste Umarmung. Gemeinsam mit ihnen habe ich mir etwas gewünscht, geträumt, vorgestellt. Ohne sie wäre nichts von dem, was ich aufgebaut habe, möglich gewesen."