Neue Daten zu ME/CFS zeigen die weiterhin bestehenden Probleme, welche die Pensionsversicherung (PVA) mit der schweren, nicht heilbaren Multisystemerkrankung hat. Seit 2019 verzeichnet die PVA einen starken Anstieg der ME/CFS-Fälle. Wurden es 2019 noch 16 Anträge auf Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspension bzw. Rehageld gestellt, waren es 2024 dann 288 Fälle – ein Plus von 1.700 Prozent. Die Daten stammen aus einer aktuellen Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen durch Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) hervor.

Es zeigt sich zudem, dass Anträge von ME/CFS-Betroffenen häufig von Seiten der PVA abgelehnt werden – mit steigender Tendenz. Im Jahr 2022 – im ersten der in der Beantwortung angeführten Jahre mit einer signifikanten Zahl an durch die PVA gestellten Diagnosen (107) - wurden 61 der gestellten Anträge bzw. 57 Prozent abgelehnt. 2024 lag die Ablehnungsquote bereits bei 66 Prozent. Zum Vergleich: In den Jahren davor mit sehr wenig durch die PVA diagnostizierten ME/CFS-Fällen lag die Ablehnungsquote noch zwischen 27 und 50 Prozent.

Podcast mit ME/CFS-Spezialist Thomas Weber

„Extrem schwer, Rehageld bewilligt zu bekommen“

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Für den ME/CFS-Spezialisten Michael Stingl bilden diese Daten die Realität ab und zeigen, dass es mit ME/CFS „extrem schwer“ sei, „Rehageld bewilligt zu bekommen“, wie er gegenüber der Austria Presse Agentur sagte. Das passe nicht mit der „oft hochgradigen Beeinträchtigung zusammen und entspricht letztendlich auch nicht dem Stand der Wissenschaft, wo das große Ausmaß der Einschränkung bei Alltags- und Arbeitsfähigkeit regelmäßig gezeigt wurde“. Die Problematik der Kardinalsymptomatik der PEM (siehe Faktenbox) werde in der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit oft nicht gewürdigt, aber oft auch nicht im Begutachtungsprozess an sich. „Durch Überanstrengung in diesen Verfahren kommt es regelmäßig zu Zustandsverschlechterungen“, so Stingl. „Und das ist bezüglich Rekonvaleszenz von Menschen mit PEM genauso kontraproduktiv wie eine Überschätzung der Arbeitsfähigkeit.“

Dabei ist aber völlig unklar, wie viele Anträge aufgrund einer ME/CFS-Erkrankung, die die schwerst Betroffenen ans Bett fesselt, überhaupt gestellt wurden. Denn die PVA erfasst nicht, aufgrund welcher Diagnosen Anträge gestellt werden – erfasst werden nur die von den Gutachtern vergebenen Diagnosen. Dass aber Gutachter im Rahmen der Antragstellung, gerade bei ME/CFS-Erkrankten häufig nicht anerkennen bzw. in andere Diagnosen abändern, ist ein lange bekannter Vorwurf, über den auch die Kleine Zeitung schon mehrmals berichtet hat.

Das Problem mit den Gutachtern

In der Anfrage wollte Ralph Schallmeiner (Grüne) auch Informationen zu den Schulungen bzw. Fortbildungen der PVA-Gutachter erhalten. Denn Erkrankte wie auch die Betroffenen-Organisation ÖG ME/CFS zeigen immer wieder auf, dass Gutachterinnen und Gutachter wenig Wissen über ME/CFS-Erkrankte haben bzw. mit Betroffenen nicht adäquat umgehen. So werden etwa Symptome umgedeutet bzw. „psychologisiert“ oder auch Gutachten und Diagnosen von Fachärzten negiert.

Doch die Antworten der Gesundheitsministerin zu diesem waren widersprüchlich. Zum einen hieß es auf die Frage nach Fortbildungs-Verpflichtungen der Gutachter, dass es „nicht möglich“ sei, für jede erdenkliche medizinische Konstellation „speziell geschultes Personal zur Verfügung zu stellen“. Zum anderen hieß es aber, die „Begutachtungen erfolgen nach hohen Standards und werden von hochqualifizierten Ärztinnen und Ärzten durchgeführt“. Fakt ist: Um als Gutachter für die Pensionsversicherungsanstalt tätig sein zu können, muss man eine Zertifizierung bei der „Österreichischen Akademie für ärztliche und pflegerische Begutachtung“ erlangen. Ist man dann als Gerichtssachverständiger tätig, muss man sich alle fünf Jahre rezertifizieren lassen – auch mit einem Fortbildungsnachweis. Es gibt aber keine Vorgaben, in welchem Bereich man sich fortbilden muss.

Aktionsplan wird weiter nicht umgesetzt

Vor gut einem Jahr hat der damalige Gesundheitsminister Johannes Rauch einen Aktionsplan zu postakuten Infektionssyndromen (PAIS), zu denen auch ME/CFS zählt, präsentiert. Doch dieser wird auch weiterhin nicht umgesetzt, für Betroffene gibt es in ganz Österreich keine öffentliche Anlaufstelle. Zuletzt hieß es aus dem Staatssekretariat für Gesundheit zudem, dass es einzelnen Mitgliedern der Bundeszielsteuerungskommission gar an einer „gemeinsamen Definition“ für ME/CFS fehle. Eine Forderung, die Kathryn Hoffmann, Co-Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Postakute Infektionssyndrome an der MedUni Wien, nicht nachvollziehen kann. Denn diese Definition sei nicht vom Referenzzentrum erstellt worden, sondern wurde - „wie weltweit üblich“ - im langjährigen wissenschaftlichen Prozess international erstellt. Hoffmann verwies auf die Anerkennung der Krankheit durch die WHO im Jahr 1969. „Mir ist keine weitere Krankheit bekannt, bei welcher Behörden eine Krankheitsdefinition angezweifelt hätten und selbst erstellen wollen“ - dies lasse „Wissenslücken bei einigen derzeit am Prozess Beteiligten“ vermuten.