Welche Erinnerungen tauchen bei Ihnen auf, wenn Sie an Ihren Vater denken? Vielleicht sind es Bilder von gemeinsamen Urlauben, Witze, über die zusammen gelacht wurde, oder das wärmende Gefühl einer liebevollen Umarmung. Aber das muss nicht sein. Denn nicht für alle sind die Erlebnisse, die sie mit ihren Eltern hatten, positiver Art. Für manche handelt es sich um solche Erinnerungen, die ein Gefühl der Schwere auslösen oder sogar nachts wachhalten.

Auch Sophie* hatte schon in der Kindheit ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater. „Meine Eltern haben sich getrennt, als ich zwei Jahre alt war. Ich bin am Land aufgewachsen, und dort kennt jeder jeden. Dass meine Mama und mein Vater sich getrennt haben, hat dazu geführt, dass ich schon früh von anderen ausgeschlossen wurde“, erzählt die Südoststeirerin.

''Du musst hingehen - er ist ja dein Vater''

Zu ihrem Vater konnte Sophie schon in ihrer Kindheit keine Bindung aufbauen. Meist fühlte sie sich in seiner Nähe unwohl. Häufig trank er Alkohol und Sophie hatte manchmal das Gefühl, sie wisse nicht, was alles passieren könne, wenn er betrunken war. Zusätzlich fühlte es sich für sie nicht so an, als würde ihm etwas an der Beziehung zu ihr liegen – alles Liebevolle und Beschützende fehlte. Später äußerte Sophie dann den Wunsch, ihren Vater nicht mehr besuchen zu wollen. Daraufhin beantragte dieser aber die gemeinsame Obsorge.

Was folgte, war eine Zeit, die Sophie heute als traumatisierend beschreibt: „Es heißt zwar immer, dass es bei diesen Gerichtsverfahren um das Wohl des Kindes gehen soll, aber für mich war es eine sehr belastende Zeit, weil ich ständig zu Richtern und Psychologen geschleppt und über jedes Detail meines Lebens ausgequetscht wurde.“ Oft bekam sie zu hören: „Du musst zu ihm gehen, immerhin ist er dein Papa.“
Sie erzählt: „Ich war noch ein Kind und fühlte mich sehr in die Ecke gedrängt. Es hat bei mir einen Schaden hinterlassen. Ich habe heute noch ständig Angst, von anderen verurteilt zu werden, und besitze kaum Selbstbewusstsein.“ Was Sophie damals dennoch schaffte: Sie musste ihren Vater vorerst nicht mehr besuchen.

Nach einiger Zeit begann sie allerdings wieder, sich mit ihrem Vater zu treffen, denn die Alimente, die er zahlte, erzeugten einen großen Druck: „Dennoch habe ich es emotional nicht mit ihm ausgehalten. Es hieß aber: Wenn ich den Kontakt nicht halte, bekomme ich auch kein Geld mehr. Es fühlte sich an, als müsste ich mich ,prostituieren‘ – also zwei oder drei Mal im Monat mit meinem Vater essen gehen und mich herzeigen lassen.“

Den Kontakt brach sie wieder ab: „Es war der Punkt, wo ich mir dachte: Es geht jetzt einmal um mich. Ich tue, was mir guttut und nicht, was andere von mir erwarten.“ Doch die Wunden, die diese Beziehung hinterließ, waren nicht einfach durch Kontaktabbruch zu beheben. „Ab der Pubertät war ich dann unterbewusst auf der Suche nach einem Vaterersatz.“ Das führte dazu, dass Sophie die Nähe von älteren Männern suchte – was manche davon auch ausnutzten. Sexuelle Gewalt war die Folge.

Blick nach vorne 

Heute studiert Sophie und arbeitet daran, ihren Vater hinter sich zu lassen. Hilfe bekommt sie von Freunden, Familie und ihrer Psychologin. „Ich möchte meine Geschichte erzählen, weil ich denke, dass es vielen Frauen so geht. Ihnen möchte ich sagen, dass man lernen muss, Distanz zu jenen zu schaffen, die einen verurteilen. All das, was ich erlebt habe, ist keine Seltenheit, aber den Kontakt zu einem Elternteil abzubrechen, ist immer noch ein großes Tabuthema.“ Doch genau diese Entscheidung – sich mit ihrem Vater nicht mehr zu treffen und ihr Leben ohne ihn zu führen – war für Sophie der nötige Schlussstrich, der es nun möglich macht, zu heilen.